Wie lassen sich weitere Anschläge verhindern? Die europäischen Innenminister wollen die Zusammenarbeit ihrer Sicherheitsbehörden verbessern. Da gibt es offenkundige Defizite.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Nils D. ist der Prototyp jener Menschen, die Europas Innenminister in Alarmstimmung versetzen – ein Bruder im Geiste der Attentäter von Paris. Der 24-jährige Deutsche soll im Oktober 2013 nach Syrien gereist sein, um sich dort einem Terrorkommando anzuschließen. Ende vergangenen Jahres kam der junge Mann in seine Heimatstadt Dinslaken zurück. Dort hat ihn am Samstag die Polizei festgenommen. Der entscheidende Hinweis soll von einem US-Geheimdienst stammen.

 

Männer wie Nils D. gibt es Tausende in Europa. 3000 islamistische Fanatiker sind von hier aus schon in den Dschihad gezogen, 550 allein aus Deutschland. Hunderte kamen zurück, aufgeputscht durch Terrorpropaganda und mit brutaler Gewalt vertraut. Sicherheitsexperten gehen nach Informationen der Stuttgarter Zeitung davon aus, dass es 400 „Gefährder“ dieser Sorte in Deutschland gibt. Das Innenministerium nennt offiziell die Zahl 260. Jeder einzelne von ihnen könnte zum Attentäter werden – und ähnliche Gräuel anrichten wie sie jetzt in Paris geschehen sind.

Erklärung mit acht Punkten

Wie zumindest das Risiko vermindert werden könnte, haben am Sonntag die Innenminister der EU-Staaten in der französischen Hauptstadt beraten. Sie haben sich auf eine dreiseitige Erklärung mit acht Punkten verständigt. Zum einen wollen sie die islamistische Terrorpropaganda im Internet mit einer Art Gegenaufklärung erwidern. Geplant sind auch handfestere Maßnahmen, um Terrortouristen vom Schlage eines Nils D. auf die Schliche zu kommen, bevor sie ähnliche Gewalttaten wie die Paris-Attentäter verüben. Zu diesem Zweck soll das Schengen-Informationssystem aufgerüstet werden, ein Computernetzwerk zur Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs. Unter den dort registrierten Fahndungsmerkmalen soll es künftig auch eine Rubrik mit dem Schlagwort „Foreign Fighters“ (Ausländische Kämpfer) geben.

Einen Vorschlag, wie das technisch und rechtlich umgesetzt werden könnte, hatte die EU-Kommission schon im Dezember unterbreitet. Manchen Staaten in der Europäischen Union haben allerdings juristische Vorbehalte. Die Innenminister wollen den Schengener Grenzkodex notfalls anpassen. Eine andere Frage ist, ob Polizei und Geheimdienste überhaupt in der Lage sind, die Verdächtigen zu überwachen. Dazu braucht es nach StZ-Informationen sechs bis acht Beamten je Schicht – also täglich bis zu 24 Beschatter. Das sind 9600 für 400 Terrorverdächtige. Die Polizeigewerkschaften schlagen Alarm. Es gebe dafür zu wenig Personal. „Wegen der großen Zahl der Gefährder werden die Sicherheitsbehörden schnell an die Grenzen der Belastbarkeit kommen“, warnt auch der CDU-Innenpolitker Clemens Binninger.

Eine bessere Zusammenarbeit der Behörden

„Eine optimierte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf nationaler und internationaler Ebene ist das Entscheidende im Kampf gegen den Terror“, sagt ein Sicherheitsexperte. „Die Lage ist so ernst wie noch nie.“ Die Innenminister wollen deshalb den Informationsaustausch zwischen der Polizei und den Geheimdiensten in der EU weiter verbessern, auch mit den USA sowie mit „Transit- und Herkunftsländern“ islamistischer Terrortouristen. Zu den letzgenannten Staaten zählen unter anderem die Türkei, Syrien sowie der Irak.

Dem gleichen Zweck soll ein Abkommen über den wechselseitigen Austausch der Daten von Flugpassagieren dienen, um das in Europa seit Jahren gerungen wird. Die USA lassen nur Leute einreisen, wenn ihre Herkunftsländer entsprechende Daten übermitteln. Innerhalb der EU ist der Informationsaustausch umstritten. Wegen Datenschutzbedenken blockiert das EU-Parlament ein solches Abkommen. Vor dem Hintergrund des Pariser Attentats hoffen die Innenminister nun auf einen Kompromiss.

Den Handel mit Waffen eindämmen

Ein weiteres Ziel ist es, den Handel mit illegalen Waffen einzudämmen. In den vergangenen Wochen, so Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in einem Interview mit der Zeitung „Bild am Sonntag“, seien allein in Deutschland mehrere hundert Ermittlungsverfahren gegen Terrorverdächtige eingeleitet worden. Dabei habe die Polizei bei Razzien „auch militärisch nutzbares Gerät“ aufgefunden.

Ein Stichwort, das in Deutschland immer wieder kontroverse Debatten auslöst, ist bei dem Ministertreffen in Paris offiziell nicht zur Sprache gekommen: die Vorratsdatenspeicherung. Hinter den Kulissen heißt es, die Minister hätten die Erwartung, dass die EU-Kommission umgehend einen neuen Richtlinienentwurf dafür vorlegt, der den strengen Auflagen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) genügt. In der großen Koalition ist umstritten, ob es sinnvoll ist, dass Deutschland im Vorgriff ein eigenes nationales Gesetz erlässt, das die Vorratsdatenspeicherung nach den Maßgaben der Verfassungsgerichts und des EuGH ermöglicht. Beide Instanzen hatten die bisherigen Regeln für unzulässig erklärt, aber keineswegs grundsätzliche Bedenken gegen die Vorratsdatenspeicherung geltend gemacht.

Die Realität nicht verkennen

Vorratsdatenspeicherung sei „das einzige Instrument, um verdeckte terroristische Netzwerke aufzudecken“, betont der CDU-Innenexperte Binninger. „Wer da sagt, das brauchen wir nicht, verkennt die Realität.“ Die CDU hatte auf ihrem Parteitag im Dezember einen entsprechenden Grundsatzbeschluss gefasst. Bei einem Treffend der Parteispitze am Wochenende war aber nur am Rande von der Vorratsdatenspeicherung die Rede. Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich die Forderung nicht zu eigen machen, weil sie dann erklären müsste, warum sie sich in diesem Punkt nicht gegen den sozialdemokratischen Koalitionspartner durchsetzen kann.

SPD-Justizminister Heiko Maas hat massive Vorbehalte. Die Innenminister seiner Partei sind sich aber mit ihrem Kollegen de Maizière jedoch einig, dass die Vorratsdatenspeicherung für die Terrorfahndung unverzichtbar sei. CDU-Vize Thomas Strobl beklagt: „Die Leute mit Sachkunde in der SPD können sich gegen die Betroffenheitsrhetoriker bisher nicht durchsetzen.“