Seit fünf Monaten diskutiert die Politik über ein NPD-Verbot. Inzwischen wachsen die Zweifel, dass es vor Gericht Bestand hätte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Explosion eines Wohnmobils am 4. November 2011 lenkte den Blick auf eine unterschätzte Gefahr: den Terror von rechts. Damals begingen zwei Neonazis in Eisenach Selbstmord. Inzwischen weiß man: sie haben eine beispiellose Mordserie auf dem Gewissen. Die Politik ist nicht untätig geblieben: drei Untersuchungsausschüsse versuchen, die Hintergründe aufzuklären. Das Bundeskabinett hat eine Neonazidatei beschlossen, in der verdächtige Personen registriert werden sollen. Verfassungsschutz und Polizei arbeiten zur Abwehr des braunen Terrors enger zusammen. Umstritten ist die Frage, ob noch einmal der Versuch unternommen werden sollte, die NPD zu verbieten. Wir fassen den Stand der Debatte zusammen.

 

Warum ist die NPD nicht längst verboten?

Niemand bezweifelt ernsthaft, dass die NPD eine Partei ist, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Vor elf Jahren hatte die (damals rot-grüne) Bundesregierung schon einmal den Versuch unternommen, die Partei verbieten zu lassen. Bundestag und Bundesrat unterstützten das Ansinnen mit eigenen Verbotsanträgen. Doch nach dem Grundgesetz darf nur das Bundesverfassungsgericht darüber befinden. Zwei Drittel der Richter des zuständigen Senats müssten ein Verbot befürworten. So weit kam es damals nicht. Das Verfahren gegen die NPD scheiterte im März 2003 aus formalen Gründen. Drei der sieben mit dem Fall befassten Richter bewerteten den Umstand, dass die Führungsgremien der Partei von Spitzeln („V-Leuten“) des Verfassungsschutzes durchsetzt waren, als ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“. Die gegen die NPD vorgebrachten Beweise hätten sich mutmaßlich „in nicht unerheblichem Umfang auf Äußerungen von Parteimitgliedern gestützt, die nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden unterhalten“.

Was spricht für einen neuerlichen Verbotsantrag?

Die NPD vertritt nach wie vor ausländerfeindliche, antisemitische, volksverhetzende Parolen. Sie verhöhnt den Parlamentarismus und das freiheitliche System der Bundesrepublik. Seit Jahren sprechen sich SPD-Innenminister, aber auch ihr bayerischer CSU-Kollege Joachim Hermann für einen zweiten Versuch aus, diese Partei zu verbieten. Nachdem die Mordserie des Zwickauer Neonazitrios aufgedeckt worden war, das auch Kontakte zur NPD unterhielt, sprach sich die Kanzlerin dafür aus, die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrags zu prüfen. Dies haben die Innenminister von Bund und Ländern im Dezember formal beschlossen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien begrüßen das.

Was passiert heute?

Was von der Innenministerkonferenz zu erwarten ist

Auf der Sonderkonferenz der Innenminister an diesem Donnerstag werden nicht etwa die Weichen für einen neuen Verbotsantrag gestellt. So weit ist es noch lange nicht. Zunächst müssen sich die Minister über die Kriterien einig werden, nach denen die Erfolgsaussichten für ein zweites Verbotsverfahren zu bewerten sind. Zudem sollten sich Bund und Länder abstimmen, wann sie ihre jeweiligen V-Leute in der rechten Szene abschalten. Einige Länder haben das schon getan. Auch die Innenminister der Unionsländer haben sich dazu bereit erklärt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat jedoch nach wie vor Spitzel im NPD-Apparat. Der Verzicht auf V-Leute ist nicht unproblematisch. „Wir schneiden damit auch Informationsstränge ab“, warnt der CSU-Innenexperte Stephan Mayer. „Die NPD wird für uns zur Black Box.“ Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will sich nicht jetzt schon auf ein Verbotsverfahren festlegen. Zunächst müssten ausreichende Beweise gesammelt werden – ohne Spitzel.

Wo liegen die Risiken eines Verbotsverfahrens?

Es gibt eine Reihe von Verfahrenshindernissen. Innenexperten von Union und FDP sind zumindest skeptisch, ob es gelingt, aus offenen Quellen nachzuweisen, dass die NPD „aggressiv-kämpferisch“ gegen die Verfassung arbeitet. Die Ermittlungen gegen das Zwickauer Neonazitrio haben keine hinreichenden Indizien ergeben, dass die NPD systematisch rechte Terrorgruppen unterstützt. Einschlägige Aktivitäten einzelner NPD-Funktionäre werden nicht ausreichen, der kompletten Partei anzulasten, sie arbeite auf einen Umsturz hin oder befördere den Terror. Darauf hat auch der Generalbundesanwalt schon hingewiesen. Für eine „bedeutende Hürde“ hält Bundesinnenminister Friedrich auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die NPD hatte bereits angedroht, sie werde sich an jene Instanz wenden, falls das Verfassungsgericht einen Verbotsantrag unterstütze. In Straßburg waren nach Auskunft aus dem Innenministerium bereits 14 vergleichbare Verfahren anhängig. In 13 Fällen habe der Gerichtshof den von Verbot bedrohten Parteien recht gegeben. Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger warnt: „Wenn wir erneut scheitern, wäre das die größte Niederlage für den Rechtsstaat.“

Wie lange würde ein Verbotsverfahren dauern?

Die SPD fordert, noch in diesem Jahr einen Verbotsantrag zu stellen. Das befürwortet auch der CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier. Damit steht er im Lager der Union jedoch alleine da. Dort heißt es, es werde allein schon etliche Monate dauern, gerichtsfeste Beweise zu sammeln. Dies könne aber erst beginnen, wenn der Verfassungsschutz keinerlei Kontakt mehr zu V-Leuten in den Führungsgremien unterhält. Der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), der die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum rechtsextremistischen Terror leitet, schätzt die Dauer eines Verbotsverfahrens auf bis zu fünf Jahre.