Seit mehr als zehn Jahren treffen sich im Forum 3 ganz zwanglos Literatur-Liebhaber zum Gespräch über eigene Sachen.

Stuttgart - Der alte, frivol pfiffige Name gilt noch, steht noch: Dichtungsring. Es geht auch ohne eingetragene Vereinsmeierei, ohne Sitzungspräsidium, ohne Casting-Liste und Tagesordnung. Aber die Regel steht seit mehr als zehn Jahren: Jeden ersten und dritten Samstag im Monat um 17 Uhr treffen sich aktive Literaturfreunde im Nebenraum des Cafés im Stuttgarter Forum 3, dem Jugend- und Kulturzentrum an der Gymnasiumstraße, erstes OG, mitten in der Stadt. Aktiv, das heißt: Menschen, die schreiben. Menschen, denen Schreiben wichtig ist, zum Alltag und zum Leben gehört. Keine Profis.

 

Da kann man sich in trendig tiefe milchig-rote Ledersofas fallen lassen oder mit gradem Rücken auf den passenden Sitzwürfeln Platz nehmen. An solchen trüben Ski-Ferien-Samstagen muss neben den stylischen Stehlampen auch mal das Deckenlicht höhergedimmt werden, damit gelesen werden kann. Dafür wird es nicht so eng. Vier Männer, vier Frauen sind heute da. Manchmal sind Frauen, der Literatur wohl schon immer zugetaner, in der deutlichen Mehrheit, sagt Romy Steinriede. Sie ist die erste heute, macht auch so eine Art behutsamer Moderation. Manchmal ist der Raum auch völlig überfüllt. Aber immer findet sich Platz für alle. Immer kommen alle zu Wort, immer finden alle Gehör. Jeder kann, jeder darf, keiner muss.

Als Erfinderin dieses lockeren literarischen Laien-Jour Fixe gilt Friedegund Shah, die sich bald nach den Anfängen ihres „Dichtungsrings“ im Forum 3 mehr ins heimatliche Ludwigsburg zurückgezogen hat. Aber sie fand Nachfolgerinnen und Nachfolger in dieser freien, auch herrschaftsfreien Gruppe, die das so locker fortführen konnten, ohne große Existenzkrisen und Führungsdebatten. Denn immer war auch der Bedarf da nach einem freien Austausch über literarische Sprache, eine eigene Sprache.

Es gibt Spannung, fremde Temperamente.

„Jeder hat seinen eigenen Stil, das sind total unterschiedliche Dinger“, findet die sanfte, fast unmerkliche Moderatorin. Sie selber, eine frühere Sonderschullehrerin, hat ein paar Prosa-Gedichte mitgebracht und die ausgedruckten Manuskripte fast säuberlich nebeneinander gelegt. Zuerst gibt sie Julia Resch das Wort, die ihre Tochter sein könnte und tatsächlich auch über solche familiären Kontakte in die Gruppe fand. Julia klappt den Laptop auf, um erstmals „was Längeres“ aus ihrem Schaffen vorzutragen. Im Stil ist es eine Art Bildungsroman, die Geschichte eines vielleicht adeligen, britisch verwöhnten Tunichtguts namens Nathaniel, den es als „freiwilligen Exilanten“ auf den Kontinent ins von Kunst gesättigte Italien verschlägt.

Ferdinand Stein lobt danach die „tolle Sprache“, ein paar andere zeigen sich beeindruckt von der Fülle an leichthändig eingestreutem Bildungsgut und von dieser springlebendigen Detailfreude: aus Triberg, nicht einfach aus dem Schwarzwald ist Nathaniels mitgeschleppte Kuckucksuhr. Bevor Ferdinand mit fast schon geschulter Stimm-Dramaturgie zu seinem ersten Prosastück mit dem Arbeitstitel „Der Eberhard“ anhebt, bietet die Moderatorin selbst ihre Arbeiten zur Auswahl an. Eine eigene Mali-Reise vor Jahrzehnten hat sie jetzt zu Betrachtungen von feinsinniger Formulierkunst verdichtet, etwa über die würdevolle Schönheit der Tuareg. Die Tiefen des Mona-Lisa-Bildnisses beschäftigen sie, aber auch die Narretei und ihren Aschermittwoch neben Annette Schavan. Ein Fundstück des Wiener Nuschlers Hans Moser, ein Prozess über die Hells-Angels zeigt sich so erinnerungssatt wie brandaktuell, ganz drin im Geschehen und Empfinden: „Der geflügelte Totenkopf schwebt überall.“

Ferdinand Steins „Schweinegeschichte“ um Eberhard hat als Tierfabel wie als zeitkritische Satire zur Massentierhaltung nicht nur Potenzial, sondern auch jede Menge Poesie und sprachliche Feinheit. Franz Lässig, zu spät gekommen, liest zum Abschluss aufgeregter, atemloser aus seinen „Briefen an Tante Marta“. Sie haben einen ganz hintergründigen Witz, überraschende Beobachtungen und einen hoch eleganten Sprachrhythmus.

Es gibt Spannung, fremde Temperamente. Aber „Vortrag und Kritik von Lyrik, Erzählungen und experimenteller Literatur“, so der offizielle Titel, hat etwas ganz Angenehmes, Wohltuendes, Freundliches. Der literarische „Dichtungsring“ ist eine richtig runde Sache.