Die Gesundheitsbranche tut sich beim Thema Start-ups und neue Konzepte oft noch schwer. Eine vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte Veranstaltung in Heilbronn zeigt das brach liegende Potenzial.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Heilbronn - Schon bei der Präsentationsrunde wird klar, dass beim Thema Innovation im Gesundheitswesen völlig gegensätzliche Welten aufeinanderprallen. Zweieinhalb Tage lang haben sich im Inselhotel in Heilbronn Menschen zu einem sogenannten Innovationcamp zusammengefunden, die normalerweise im beruflichen Alltag wenig miteinander zu tun haben: Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern auf der einen Seite – Musiker, Künstler, Spieleentwickler und Programmierfreaks auf der anderen.

 

„Simulationen in der Medizin“ ist eine der vier Arbeitsgruppen überschrieben. Diese Gruppen bekommen jeweils ein Problem gestellt, das sie während der mehrtägigen Veranstaltung lösen sollen. Ein Arzt und ein Ingenieur von der Universitätsklinik in Tübingen wollen mit Rollenspielen, Übungen an Puppen und Training am Computer die Abläufe in Krankenhäusern verbessern. Die Arbeitsgruppenteilnehmer aus der Branche argumentieren eher resigniert: „Da kriegen sie doch nie Räume und ein Budget dafür.“ Und der anderen Hälfte der Teilnehmer, die aus der Kreativbranche kommen, ist nicht so richtig klar, wo die Fragesteller hinwollen. „Aber in der Industrie gibt es heute doch schon diese kreativen Plätze, wo ich in meiner Arbeitszeit hin kann“, widerspricht einer der beiden Urheber der Problemstellung, die nicht Grundsatzkritik sondern frische Ideen erhoffen.

Innovation steht vor vielen Hürden

In vielen Branchen in Baden-Württemberg hat man inzwischen erkannt, dass es neue Strukturen und ein neues Denken braucht, um das vor allem in der Digitalisierung steckende Potenzial zu nutzen. Doch die Gesundheitsbranche steht noch am Anfang, kreative Start-ups vielleicht auch einmal zur Entwicklung einer Patienten-App zu motivieren. Bisher findet die Innovation meist bei Medikamenten und Apparaten statt – seltener geht es um Ideen, um Abläufe zu modernisieren oder um die Patientenerfahrung zu verbessern.Organisiert wurde das Event zur Innovation im Gesundheitswesen nicht von Branchenexperten, sondern vom Heilbronner Stadtmagazin Hanix. Finanziert wurde es im Rahmen der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes.

Der Bechtle-Gründer hat den Kulturschock hinter sich

Was passieren kann, wenn ein in wirtschaftlichen Kategorien denkender Mensch mit der Krankenhauswelt konfrontiert wird, zeigt das Beispiel von Ralf Klenk, des Gründers des inzwischen auf mehr als 8000 Mitarbeiter angewachsenen Neckarsulmer IT-Anbieters Bechtle. Der tragische Krebstod seines kleinen Sohnes 2002 brachte ihn dazu, die Entwicklung des Klinikums in Heilbronn zu einer Herzensangelegenheit zu machen. „Mit dem Blick als Unternehmer entdecken sie, dass der Wirkungsgrad an vielen Ecken schlecht ist“, sagt Klenk als Impulsgeber für das Heilbronner Wochenende. Viele notwendigen Dinge gingen nicht. Innovation im Gesundheitswesen sei schwierig.

Klenk hat ein Arbeitspapier dazu geschrieben, wie man Abläufe verbessern könnte – und ist auf einige Widerstände gestoßen. Doch inzwischen hat sein auf Kinder ausgerichtetes Programm „Große Hilfe für kleine Helden“ seit 2009 rund 5,2 Millionen Euro ins Heilbronner Klinikum investiert. „Gesundheitsversorgung ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Sie merken in Heilbronn den Fachkräftemangel. Neben Kultur und Bildung müssen sie auch eine gute Gesundheitsversorgung für Familien bieten,“ sagt Klenk.

Wer innovativ sein will, muss sich verunsichern lassen

Ungewohnte Ideen wie die von Klenk würden viele Menschen verunsichern, gerade im rigide strukturierten Gesundheitswesen, sagt Robert Mucha vom Veranstalter Hanix. Doch genau solch eine Verunsicherung stehe am Anfang für neue Impulse. „Es sind ganz konkrete Ideen herausgekommen – und einige haben durchaus das Potenzial für eine Start-up-Gründung“, sagt Mucha über die Bilanz der Veranstaltung. Zum Thema Fachkräftegewinnung entstand das Konzept, auf einer Bildungsmesse Gesundheitsberufe im Rahmen eines so genannten Exit Games zu präsentieren. Hier muss man in einem abgeschlossenen Raum unter Zeitdruck knifflige Aufgaben lösen. Warum nicht mit der Zielgruppe junge Männer einmal spielerisch Situationen im Klinik- oder Pflegealltag simulieren?

Und die Gruppe „Raumdesign in der Kinderklinik“ hatte den Gedanken, Brutkästen für Frühgeborene für das Baby mehr dem Mutterleib nachzuempfinden, etwa durch eine andere Form oder die Übertragung des Herzschlags. Die letztere Idee hat Babybe, ein Start-up aus Stuttgart, schon umgesetzt.

Auch die gute Sache braucht Marketing

Und die am Anfang so streitlustige Gruppe zur Simulation in der Medizin? „Da hat das Team der Problemgeber konkret mitgenommen, dass sie in Sachen Marketing und Werbung bisher nicht richtig unterwegs waren“, sagt Mucha. „Die wissen nun, dass sie eine Roadshow entwickeln müssen, sozusagen eine Anfängerbox, wo man einige Dinge schon einmal durchspielen kann.“ Das gehe von einer App bis zu einer einfachen Simulationspuppe. Er glaubt, dass das Ganze sogar das Potenzial für eine Ausgründung aus der Universität habe. Und da gehört ein Verkäufer zwingend zum Team.

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Die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft

Initiative
Architektur, Musik oder Werbung – dies sind Beispiele für die Kultur- und Kreativwirtschaft. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu steigern, hat das Bundeswirtschaftsministerium die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft gestartet.

Innovationscamps
Ziel der Initiative ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken und das Arbeitsplatzpotenzial noch weiter auszuschöpfen. Dazu gehört es auch, Akteure aus diesem Bereich im Rahmen von Innovationscamps mit anderen Branchen zusammenzubringen.