Die schwedische Bahn SJ bietet als erste weltweit Handimplantate an, die den Fahrschein ersetzen.

Stockholm - Wer derzeit mit der staatlichen schwedischen Bahn Statens Järnvägar (SJ) durch das Königreich fährt, wird vor allem in der Business-Class Reisende sehen, die nicht mehr umständlich Fahrscheine hervorkramen. Stattdessen heben sie nur die Hand Richtung Kontrolleur. Man könnte meinen, dass sie auf einen Handkuss warten. Stattdessen wird ein Handimplantat mit einem Fahrscheinscanner abgelesen. „Bis zu 2000 unserer Reisenden haben schon einen solchen Chip. Das Interesse ist groß“, sagt SJ-Sprecherin Lina Edström. Laut SJ ist Schwedens Bahn die erste weltweit, die diese Technologie einsetzt. „Viele Reisende finden das supercool. Wir glauben, dass hier die Zukunft liegt“, sagt sie.

 

Der reiskorngroße Chip wird Willigen mit einer Spritze auf die Oberseite der Hand zwischen Daumen und Zeigefinger geschossen. Wahlweise kann auch die Handkante unterhalb des kleinen Fingers als Chipplatz genutzt werden. Die Reisenden können sich danach eine Bahn-App aus dem Internet auf ihr Smartphone herunterladen. Dort geben sie ihre Bahnkartennummer ein. Die wird dann vom Handy auf den Chip in der Hand gesendet.

Die Chip-Technologie wurde bisher zur Identifikation von Haustieren wie Hunden und Katzen genutzt. Ob das nicht Richtung totale Überwachungsgesellschaft führt? „Nein, wir speichern ausschließlich die Bahnkartennummer in den Händen der Fahrgäste. Aus der Hand wird ansonsten keine andere Information gesendet. Auch können Scanner ja nur direkt an der Hand den Chip ablesen. Das Signal reicht nicht weit“, beruhigt Edström. Das Implantat kostet derzeit umgerechnet rund 150 Euro. Auch Edström hat sich einen Chip einsetzen lassen. Denn bei immer mehr schwedischen Arbeitgebern ersetzt er auch die Passier-, Drucker- und Kopiererkarten. „Auch in meinem Fitnessstudio melde ich mich über die Hand an. Das ist praktisch, man muss nicht mehr so viele Karten herumtragen.“

Angst vor dem gläsernen Bürger haben die wenigsten Schweden

Die Auflösung der Grenze zwischen Körper und Computer durch die Verpflanzung von Chips hat sich auch der Stockholmer Verein Bionyfiken (Bioneugierig) zum Ziel gesetzt. Die Chips können im Internet bestellt werden – samt steriler Spritze. Das schwedische Gesetz erlaubt es den Bürgern, das Einspritzen des Chips unter die Haut daheim im Badezimmer vorzunehmen. Doch das empfiehlt Hannes Sjöbad von Bionyfiken nicht. „Wenn Unternehmen uns anrufen, weil sie die Belegschaft mit Chips ausstatten wollen, gehen wir da hin mit unserem Piercing-Experten. Der spritzt die kleinen Dinger in die Hände“, sagt der Jungunternehmer. Es sei besser, das jemanden machen zu lassen, der sich auskenne. „Und Piercing-Studios sind perfekt. Die gibt es in jeder Stadt.“ Einen ganzen Bürokomplex im Stockholmer Stadtzentrum hat sein Verein so ausrüsten lassen, dass sich Türen und Kopiermaschinen und bald auch das Bezahlen in der Cafeteria über den Chip in der Hand steuern lassen.

Anders als die Deutschen haben die Schweden in ihrer Geschichte kaum staatliches Unrecht erlebt. George Orwells düsterer Zukunftsroman „1984“ ist für sie einfach Science-Fiction. Deshalb gibt es in Schweden wenig Vorbehalte gegen gläserne Bürger. Bereits heute sind Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Vorstrafenregister wie auch Adressen, Handynummern und zahlreiche weitere Informationen über Privatpersonen im Internet nahezu frei abrufbar. Auch über den Nachbarn.