Auch in etablierten Unternehmen übertreffen sich inzwischen die Designer mit Konzepten für innovative Arbeitsumgebungen. Doch manches davon ist Spielerei und geht an dem vorbei, was eine wirklich gute Startup Location ausmacht.

Stuttgart - Anscheinend gehört zum Wohlfühl-Büro der Startups ebenso wie zum Arbeitsplatz 4.0 ein Tischkicker. Inzwischen findet man ihn sogar in den neu gestalteten Räumlichkeiten von Konzernen und Mittelständlern. Was für ein Unsinn. Der Tischkicker und noch so einige andere Accessoires sind nichts weiter als Kosmetik, ein nettes Extra für verwöhnte Manager. Klar: Cool sieht es schon aus, wenn lässige Sessel in der Ecke stehen, die Möbel aus Sperrholz oder die Wände bunt angestrichen sind.

 

Doch wer sich schon einmal die Büros angeschaut hat, in denen Startups in Berlin, München oder Stuttgart arbeiten, merkt schnell, dass die Ausstattung der Arbeitsräume keine Rolle spielt – Hauptsache das, was man zum Arbeiten wirklich braucht, ist da: ein schneller Internetanschluss, Laptops, Tablets, Smartphones, Räume, in denen man alleine arbeiten kann und einen größeren Raum, in dem es am besten eine große Wand geben sollte, auf der man Ideen und Konzepte festhalten kann. Entscheidend für den Erfolg sind jedoch die Antwort auf die Frage „Warum“ und die Motivation, die dahinter steckt.

Eine Startup Location ist untypisch für Startups

Auch Google und Amazon haben nicht in einer hip ausgestatteten Startup Location angefangen. Das können sie sich erst jetzt leisten. Die kleinen Startups im Silicon Valley und an anderen Orten der Welt arbeiten häufig unter Bedingungen, die den Prüfern der deutschen Gewerbeaufsicht die Tränen in die Augen treiben würden. Da stimmt weder der Abstand zum Bildschirm noch ist hinter dem Bürostuhl genug Platz – wenn es denn einen gibt.

Etablierte Unternehmen unterliegen einem großen Irrtum, wenn sie glauben, dass sie ihre Mitarbeiter auf Startup-Kurs bringen könnten, wenn sie die Arbeitsumgebung bunter machen. Egal wie kreativ die Umgebung ist – entscheidend sind die Menschen und ihre Hingabe an ihr Tun. Fehlt der innere Antrieb, kann es auch die Tischtennisplatte nicht mehr retten.

Sinnvolle Arbeit macht in jeder Umgebung Spaß

Menschen arbeiten nicht um der Arbeit willen, sondern weil sie einen Sinn darin sehen. Deshalb ist es so wichtig, gleich zu Anfang die Frage nach dem Warum zu klären: Warum gibt es das Unternehmen und welchen Nutzen bietet es seinen Kunden, der Gesellschaft, der Menschheit? Diese Frage müssen die Gründer klären, denn die Antwort ist das, was sie und ihr Team antreibt, immer bessere Lösungen für die Bedürfnisse ihrer Kunden zu finden.

Philipp Pausder, der Geschäftsführer des innovativen Heizungsbauers Thermondo, sagt: „Wir sind Überzeugungstäter. Unser gemeinsames Ziel ist ‚kleiner zwei Grad‘. Wir wollen unseren Beitrag gegen den Klimawandel leisten und verhindern, dass der Temperaturanstieg auf der Erde über zwei Grad Celsius beträgt. Der Wärmemarkt ist dafür der größte Hebel. Ohne Wärmewende wird es keine Energiewende geben. Das ist eine starke Motivation für jeden Mitarbeiter.“ Nicht ohne Grund erhalte man trotz eines leer gefegten Arbeitsmarkts jeden Monat 400 Bewerbungen. Das ist für Arbeitsmotivation und Kreativität ein besseres Ziel als etwa die Maßgabe „der größte Heizungsbauer Deutschlands“ werden zu wollen.

Menschen beleben Örtlichkeiten – nicht umgekehrt

Das Warum, der Sinn, ist der innere Kern eines Startups, der Gründer, Mitarbeiter, Lieferanten, Partner und Kunden anzieht, motiviert und antreibt. Es ist der Sinn, der die Menschen begeistert. Er hebt das Unternehmen auf die emotionale Ebene und macht die Bildung einer Gemeinschaft möglich. Die Büroausstattung kann das niemals: Es sind Menschen, welche die Örtlichkeiten beleben – nicht umgekehrt.

Ein Accessoire gibt es jedoch, das in keiner Startup -Arbeitsumgebung fehlen sollte: die Möglichkeit zum Austausch mit anderen. Das bringt frische Ideen, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit und den Blick über den Tellerrand hinaus. So betrachtet, sollten in einer innovativen Arbeitsumgebung nicht nur Startups sitzen, sondern auch Gruppen aus anderen Unternehmen, Freiberufler, Entrepreneure und sogar Investoren.

Kein digitaler Austausch kann den persönlichen übertreffen

Kein digitaler Austausch kann den persönlichen Austausch übertreffen. Christoph Keese beschreibt das anschaulich in seinem Buch „Silicon Valley“. Die Wege sind dort kurz, Investoren und Startups, Universitäten und Unternehmen sitzen sozusagen alle auf einem Fleck. Man trifft sich in den Cafés und unterhält sich.

Dabei begegnet man vielleicht dem Investor, den man dringend braucht oder irgendjemand aus einer ganz anderen Branche, der die Super-Idee hat, die das eigene Konzept weiterbringen kann. In solchen Ökosystemen entstehen Konstellationen, von denen jeder der Beteiligten profitiert. Voraussetzung ist, dass jeder zu geben bereit ist. Alle können so ihr Fachwissen, ihre Technologie und ihre Kreativität dafür nutzen, eigene oder gemeinsame Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder die Marktreichweite auszudehnen, ohne dafür jeweils eigene Ressourcen aufbauen zu müssen.

Kaffeemaschine ist bei der Startup Location das wichtigste

Für mich gilt: Die Kaffeemaschine ist im Zweifelsfall wichtiger als alles andere. Ja, es ist richtig – die meisten Menschen haben die besten Ideen, wenn sie wie etwa am Tischkicker oder an der Tischtennisplatte in Bewegung sind. Dafür kann man aber auch eine Runde um den Block gehen. An der Kaffeemaschine wird hingegen in entspannter Atmosphäre geredet und das ist am Allerwichtigsten.

Dabei gibt es keine Verlierer. Und auch für etablierte Unternehmen sollte klar sein: Eine Startup Location kann die Unternehmenskultur nicht ändern. Wird weiterhin in Silos gearbeitet, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, sind Transparenz und Hierarchieabbau nur ein frommer Wunsch, bleibt die Startup-Kultur ein Traum. Und auch ein bisschen Startup-Methodik ändert daran nichts.

Vertrauen statt Kontrolle – das ist der Schlüssel

Ob Gründer erfolgreich sind oder nicht, ist also keinesfalls eine Frage der Startup Location. Es gibt sicherlich eine Umgebung, die besser oder schlechter geeignet dafür ist, dass sich Kreativität und Kollaboration entwickeln können. Doch Startup-Kultur ist eine Frage der inneren Haltung, die sich auszeichnet durch einen klares Ziel, starke Orientierung am Kunden, Lernen im Tun – inklusive des Scheiterns –, die Nutzung externer Ressourcen, die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit anderen, flache Hierarchien, Transparenz und ein Menschenbild, das Vertrauen und Eigenständigkeit über Kontrolle stellt.

Und nicht vergessen: Google, Amazon und Facebook sind mit ihren so beeindruckend ausgestalteten Unternehmenszentralen längst erwachsene Konzerne und keine Startups mehr. Im besten Fall haben sie sich Startup-Geist bewahrt, aber der hängt nicht an der Ausstattung der Räume.

Zur Person: Johannes Ellenberg

Johannes Ellenberg ist ein bekannter Kopf der deutschen Startup-Szene. Der 34-Jährige rief 2011 zusammen mit Kathleen Fritzsche und Harald Amelung den Verein Startup Stuttgart e.V. ins Leben, eine Anlaufstelle für Gründer aus der Region. Knapp ein Jahr später gründeten die drei „Accelerate Stuttgart“ als Digitalisierungs- und Startup-Hub für Baden-Württemberg. Heute ist als Geschäftsführer von Accelerate Begleiter des Mittelstands bei der digitalen Transformation. Er verbindet Startups und mittelständische Unternehmen und unterstützt sie in der Zusammenarbeit.

Im Dezember 2017 kam Ellenbergs erstes Buch auf den Markt: „Der Startup Code“. Es richtet sich in erster Linie an den Mittelstand und soll Hilfestellung auf dem Weg der digitalen Transformation geben, möchte zum Handeln inspirieren, zur Veränderung ermuntern. Die Startups und ihre ganz spezielle Kultur können nach Meinung des Autors dafür zahlreiche Impulse geben. Der Autor erklärt, was Startups anders machen als etablierte Firmen, warum sie für unsichere Zeiten besser gerüstet sind und stellt die wichtigsten Methoden der Startups vor. Ellenberg macht Vorschläge für neue Organisationsformen und für die Zusammenarbeit zwischen Mittelstand und Startups. Beispiele und Kurzinterviews bringen die Praxis ins Spiel.

Der Startup Code. Was der Mittelstand von Startups lernen kann und muss, Status-Verlag, 27,65 Euro; Website zum Buch: www.startup-code.de