Technischer Fortschritt kann das Emissionsproblem entschärfen, aber die Staus werden eher noch länger. Ob eine Maut das Problem lösen kann, ist bei der Podiumsdiskussion auf dem StZ-Kongress umstritten.

Stuttgart - Wenn Vertreter von Industrie, Wissenschaft und Politik über den Verkehr diskutieren, dann ist Einigkeit nicht von vorneherein zu erwarten. Beim Thema Innovative Mobilitätskonzepte waren sich die Kongressteilnehmer aber in einer Hinsicht durchweg einig: Der Verkehr in den Städten wird zunehmen – unabhängig davon, wann genau der Trend zum Elektromobil, zum autonomen Fahren und zu neuen Mobilitätskonzepten nun massenwirksam wird.

 

Gleich zum Auftakt sagte Norbert Barthle, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium: „Der Verkehr wird zunehmen, vor allem in den Städten. “ Barthle zitierte Prognosen, nach denen Lastwagenverkehr und kombinierter Verkehr überproportional zunehmen werden – keine gute Nachricht zum Beispiel für die Pendler, die jetzt schon im Schnitt 73 Stunden pro Jahr im Stau stehen. Barthle setzt auf Busse und Bahnen – und darauf, dass die Industrie beim sauberen Elektroauto schneller voran kommt: „Die Hersteller müssen sich noch erheblich ins Zeug legen; da ist viel Luft nach oben“, sagte Barthle, der zum Beispiel einen deutschen E-Bus vermisst.

Die gefahrenen Kilometer nehmen nicht zu

Claus Beringer, der sich beim Siemens-Konzern um das Thema Digitale Infrastruktur kümmert, ist sich ebenfalls sicher: „Die Staus werden zunehmen, weil wir mehr fahren.“ Sein Kollege Manfred Fuhg ergänzte: „Die Mobilität wird ganz sicher zunehmen, und das ist auch gut für die Wirtschaft.“ Barabara Lenz, Direktorin des Instituts für Verkehrswirtschaft im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wies bei der Podiumsdiskussion auf einen wenig beachteten Punkt hin: „Die gefahrenen Kilometer“, sagte sie, „nehmen nicht zu, obwohl es mehr Autos gibt.“

Wären nur noch Elektrofahrzeuge unterwegs, dann müsste sich niemand um die Luftverschmutzung Sorgen machen. Aber das zeichnet sich nirgendwo ab. Mobilitätsforscher Andreas Knie plädiert deshalb aus Umweltgründen dafür, den Verbrennermotor aus der Stadt zu verbannen. Moderator Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, konfrontierte Barthle mit der Meinung von Knie, die bei dem Christdemokraten nicht auf Begeisterung stieß: „Davon halte ich nichts“, sagte der Staatssekretär. „Der Markt muss es richten, regulatorischer Zwang ist nicht der richtige Weg.“

„An den Kommunen bleibt das dann hängen“

Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag plädierte bei der Podiumsdiskussion für den marktwirtschaftlichen Ansatz einer Maut – genauer: einer dynamischen Maut. Dabei gibt es für die Nutzung keine festen Preise; je begehrter eine Strecke ist, was im Zeitverlauf variieren kann, desto höher ist das Entgelt. Lojewski: „Damit können wir den Verkehr steuern und den Verursacher belasten.“ Lojewski ärgerte sich über die Autohersteller, deren Autos mehr Schadstoffe emittieren, als sie laut Norm sollten: „An uns, den Kommunen, bleibt das dann hängen.“ Lenz glaubt, dass die Autofahrer ihr Verhalten nur bei Preiserhöhungen ändern. Auch Bosch-Manager Rainer Kallenbach gab Kontra: „Mobilität ist ein Bedürfnis; das ändert sich nicht durch eine Verkehrsverhinderungspolitik.“

Zu Beginn der Posdiumsdiskussion umriss Moderator Dorfs kurz die großen Veränderungen, die sich in der Verkehrswelt abspielen: „Die Ereignisse überschlagen sich geradezu“, sagte er. Autohersteller steigen zum Beispiel bei Fahrdienstleistern ein, und ein Newcomer wie Uber wird an der Börse fast genauso hoch bewertet wie der Traditionskonzern Daimler. Es ist die Vernetzung der Autos untereinander und der Fahrzeuge mit der Infrastruktur, was die Karten im Geschäft mit der Mobilität neu mischt. Nach Ansicht von Rainer Kallenbach, Chef von Bosch Software Innovations, kann der Trend zum autonomen Fahren dazu führen, dass sich der Gegensatz zwischen Individualverkehr und öffentlichen Verkehrsmitteln auflöst. Autonom fahrende Autos können wie Busse ohne Fahrplan und Haltestelle eingesetzt werden, gesteuert per Handy-App. Beringer sprach vom „bedarfsabhängigen ÖPNV“. Barabara Lenz ist sich nicht sicher, ob das ein Ersatz für den Individualverkehr ist, der ein Stück Privatheit gewährleistet. Im kleinen Robocab ist es dagegen unmöglich einem unangenehmen Mitfahrer zu entgehen. Die Folge: Auch Barbara Lenz geht von eher zunehmendem Verkehr aus.

Über die Freude am Hinterherfahren

Die Institutsdirektorin ist sich im Übrigen auch gar nicht sicher, dass das autonome Fahren schnell Realität wird: „Es wird eine Übergangsphase von 20 Jahren geben, in denen auch nicht-autonom fahrende Autos unterwegs sind. Und in dieser Phase kommen die Vorzüge des autonomen Fahrens noch gar nicht zum Tragen.“ Dieser Meinung ist auch Lojewski, der sich lebhaft vorzustellen versuchte, wie es ist, hinter einem mit exakt 49,9 kmh fahrenden Robocab herzufahren. Er sprach in Anlehnung an den BMW-Werbeslogan ironisch von der „Freude am Hinterherfahren“.