Auf einer Kaffeeplantage haben Biologen einen Kriminalfall unter Insekten aufgeklärt. Dort verteidigen Ameisen die Schildläuse gegen gefräßige Marienkäfer. Obwohl sie schwächer sind als die Ameisen, wissen sich die Käfer aber zu helfen.

Stuttgart - Ein fliegender Scharfrichter, ein krabbelnder Spion und ein wehrhaftes Opfer, das an zwei Fronten gleichzeitig kämpft – einem echten Insektenkrimi sind Ivette Perfecto von der Universität von Michigan und ihre Kollegen auf einer biologisch bewirtschafteten Kaffeeplantage in Mexiko auf die Spur gekommen. Die skurrile Handlung und ihre praktischen Konsequenzen für die Schädlingsbekämpfung schildern die Forscher im Fachjournal „Ecology and Evolution“.

 

Eine der Hauptdarstellerinnen des Krabbeltierdramas ist die Ameise Azteca instabilis, die sich auf mittel- und südamerikanischen Kaffeeplantagen eigentlich recht gut eingerichtet hat. Sie baut ihre Nester in Bäumen, die als Schattenspender für die Kaffeesträucher angepflanzt werden, und auch an Nahrung mangelt es ihr nicht. Wie sechsbeinige Hirten bewachen und verteidigen die Tiere ganze Herden der Grünen Kaffeeschildlaus (Coccus viridis), die ihnen im Gegenzug ein zuckriges Sekret namens Honigtau liefern.

Den attackierten Insekten fällt am Ende der Kopf ab

Allerdings rufen die Läuse auch noch andere Interessenten auf den Plan. Zum Beispiel den Marienkäfer Azya orbigera, der als Larve und Erwachsener für sein Leben gern Schildläuse frisst. Obwohl die wehrhaften Hirten diese krabbelnden Diebe problemlos vertreiben oder sogar töten können, findet sich ausgerechnet in der Umgebung der Ameisennester besonders viel Marienkäfernachwuchs. Manchmal kleben die Eier sogar direkt an den Körpern der Läuse. Irgendwie müssen die Käfer also die Ameisen überlisten.

Wie sie das schaffen, haben Ivette Perfecto und ihre Kollegen mit einer Reihe von Experimenten untersucht. So haben sie unter anderem getestet, wie Marienkäfer auf verschiedene chemische Botenstoffe reagieren. Der Duft der Schildläuse oder der von ihnen angezapften Kaffeepflanzen wirkte dabei auf beide Käfergeschlechter gleichermaßen anziehend. Ameisengerüche dagegen sind offenbar nur für trächtige Weibchen attraktiv. Dieser Duft könnte also ein Teil der Antwort darauf sein, wie die Käfereier in die Nähe der Läuse gelangen.

Die Käferweibchen lassen sich nun nicht von jeder beliebigen Ameise locken. Sie interessieren sich nur für das Aroma von zerquetschten Ameisen – oder von solchen, die gerade einen Angriff von Scharfrichterfliegen zu überstehen haben. Diese kleinen Insekten mit dem wissenschaftlichen Namen Pseudacteon laciniosus zielen darauf, ihre Eier auf dem Körper der Ameisen abzulegen. Die Larven entwickeln sich dann im Kopf ihrer Opfer und am Ende fällt das Ameisenhaupt einfach ab.

Die Marienkäfer hören den Ameisen-Funk ab

Um das zu verhindern, hilft nur eines: zur Salzsäule erstarren, sobald die Angreifer angeschwirrt kommen. Denn die geflügelten Feinde sehen und attackieren in der Regel nur bewegliche Ziele. Also haben die Ameisen eine Art chemischen Fliegenalarm entwickelt. Dieser Botenstoff bringt sämtliche benachbarten Ameisen dazu, bewegungslos zu verharren. Die Experimente der Forscher zeigen nun, dass die trächtigen Marienkäferweibchen diesen chemischen Warnruf gezielt abhören. Sie nutzen die vorübergehende Starre der aggressiven Laushirten, um ihre Eier in der Nähe der Schildläuse zu verstecken. Die schlüpfenden Larven haben dann gleich genügend Beutetiere vor der Nase. Und wenn die Ameisen nach dem Luftangriff wieder in Bewegung gekommen sind, vertreiben sie nicht nur alle möglichen anderen Insekten, die ihren Herden gefährlich werden können. Unbeabsichtigt schlagen sie dabei auch die Feinde des Marienkäfernachwuchses mit in die Flucht.

Die Wohnbäume der Ameisen zu fällen ist daher keine gute Idee, meinen die Forscher. Denn gerade in der Nähe der Nester haben die jungen Käfer besonders gute Überlebenschancen. Und je zahlreicher sie werden, umso besser können sie die Schildläuse in Schach halten, die in Kaffeeplantagen beträchtlichen Schaden anrichten. Schädlinge bekämpfen, indem man ausgerechnet ihre Wächter fördert? „Das klingt erst einmal ziemlich unlogisch“, gibt Ivette Perfecto zu. „Doch die Ameisen sind für das Überleben und die Fortpflanzung der räuberischen Marienkäfer extrem wichtig.“ Die Natur schreibt eben nicht nur die bizarrsten Insektenkrimis. Sie zwingt manchmal auch, um die Ecke zu denken.