In Bill Condons Film, der aktueller denn je ist, wird die Geschichte der Internetplattform zum Porträt des Gründers Julian Assange. Auch Daniel Brühl spielt seine Rolle als Daniel Domscheit-Berg brillant.

Stuttgart - Der charismatische Julian formuliert sein Gesetz, sein Jünger Daniel hört zu: „Whistleblower haben Angst vor Vergeltung, deshalb muss ihre Identität geheim bleiben!“ So richten die beiden eine Internetplattform zum Abladen brisanter Dokumente ein, deren Herkunft nicht zurückverfolgt werden kann. Wie es weiterging, ist bekannt, oder, wie es auf Englisch heißt: „The rest is history.“ Doch das gilt allenfalls für die Gründung von Wikileaks, die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende, sie kann noch lange nicht ein- und abgelagert werden in der Historie der Medien, die hier zum Auftakt in einer atemberaubenden Collage abläuft: von der Höhlenmalerei über die Hieroglyphen, die Handschrift, den Buchdruck, die Schreibmaschine, das Radio und den Fernseher bis hin zum Computer und zum World Wide Web.

 

Medien im Kino: das war und ist eine Geschichte der Beschleunigung, der Reporterfilm etwa, wozu im weiteren Sinn auch „Inside Wikileaks“ gehört, drehte im Lauf der Jahrzehnte immer hochtouriger. Aber diesmal nimmt sich dieses Genre das Internet vor, dessen Tempo es eigentlich nicht mehr mitgehen kann. Der Regisseur Bill Condon weiß das und versucht es trotzdem. Er arbeitet bevorzugt mit nervösen Handkameras, schnellen Schnitten und peitschenden Zooms, er klackert die Inhalte von E-Mails als Inserts auf die Leinwand und lässt Techno-Sound wummern – und stellt dann doch nicht das neue Medium, sondern die immer problematischer werdende Beziehung zwischen Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg (exzellent gespielt von Benedict Cumberbatch und Daniel Brühl!) in den Mittelpunkt.

Assange ist brillant, aber ein bisschen arrogant

Ein Charakterporträt also, in dem Julian dem Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg in „The Social Network“ ähnelt: brillant, aber auch arrogant und ein bisschen asozial. Der entscheidende Unterschied ist der, dass Assange tatsächlich Ideale hat, an höhere Ziele glaubt, „neue Formen von sozialer Gerechtigkeit“ im Sinn hat. Dieser Film, der vor allem auf dem Wikileaks-Buch von Daniel Domscheit-Berg basiert (hie und da aber den Fokus verliert und sich auf problematische Nebenhandlungen einlässt), spricht Julian diese Ziele nicht ab. Er zeigt die großen Erfolge, angefangen beim Zusammenbruch einer korrupten Schweizer Bank, deren Direktor nur noch sagen kann: „Wecken Sie unsere Anwälte in Kalifornien!“, bis zur Veröffentlichung jenes berüchtigten Videos, in dem ein US-Helikopter im Irak auf Zivilisten feuert.

Aber gleichzeitig wird der lang- und weißhaarige Julian Assange als misstrauischer, einzelgängerischer, rücksichtsloser und gegen jeden Rat resistenter Missionar gezeigt, der am Ende seine eigene Mission verrät. Die Freundschaft mit dem idealistisch-skrupulösen Daniel, der für das Wikileaks-Projekt sein Privatleben opfert, geht nur gut, solange dieser zu Julian aufschaut. Wenn Daniel jedoch Fragen zu Julians One-Man-Show stellt, es wagt, Julian selber infrage zu stellen, ist der Bruch unvermeidlich. Dass Julian bei einer Sekte aufwuchs und traumatische Erfahrungen gemacht hat, dass es also Gründe gibt, warum er so ist, wie er ist, deutet „Inside Wikileaks“ oft an. In einer der besten Sequenzen ist Julian zu Besuch bei Daniels freundlichen Mittelschichtseltern (Franziska Walser und Edgar Selge), stöbert in deren Bücherregal, entdeckt Kafka und Co. und murmelt empört, dass Daniel ganz selbstverständlich Zugang zu etwas hatte, was er, Julian, sich mühsam erarbeiten musste.

Mit dem Notebook in der Besenkammer

Der Film nähert sich nicht nur hier Daniels Sichtweise. Aber er nimmt nicht ganz und gar Partei, tut auch nicht so, als könne er Julian restlos analysieren. Dieser Mann ist sowieso immer in Bewegung, auf dem Sprung, immer flüchtig. Sein Körper mag noch an einen Ort gebunden sein, sein Hirn ist es nicht mehr. Und hier schildert der Film wohl die Erfahrung der Hackerszene, für die Medien wie Zeitungen obsolet sind. „Der heilige ,Guardian‘“, spöttelt Julian Assange, als ein Reporter (David Thewlis) zu Kooperations-Verhandlungen auftaucht.

Auch Daniel gehört zu dieser Generation, und wenn er sich mit seinem Notebook in eine Besenkammer einschließt, die Bilder ihn aber in einen unendlichen Newsroom versetzen, ist das eine überzeugende Metapher für die Inkongruenz zwischen realen Orten und elektronischen Welten. Wenn der Film die realen Orte trotzdem genau schildert und etwa das alternative Berliner Kulturzentrum Tacheles detailgetreu rekonstruiert, beharrt er freilich auf der Relevanz physischer Realitäten.

Als Bradley Manning in jedem Sinn ungeheure Datenmengen an Wikileaks sendet und das Projekt vor seinem größten Coup steht, räumt diese Geschichte sogar den Printmedien wieder einen wichtigen Platz ein. Während Julian die Informationen ungefiltert in die Welt blasen will, besteht Daniel darauf, sie zum Schutz der Whistleblower prüfen zu lassen. Inzwischen ist die Geschichte der großen Enthüllungen ja weitergegangen, und Edward Snowden hat von den Wikileaks-Problemen gelernt. Er ist, wenn man so will, der neue, der bessere Julian Assange, er lässt seine Geheimnisse von den alten Medien sorgfältig redigieren.