Das Institut für Deutsche Sprache befasst sich mit dem „Deutsch der Migranten“. Einig sind sich die Experten darin, dass frühe Sprachförderung sein muss.

Mannheim - Kiezdeutsch“ und die sogenannte „Kanakensprache“ erfreuen sich seit einiger Zeit nicht nur in Kreisen mehrsprachiger Jugendlicher, sondern auch unter Comedians mit und ohne Migrationshintergrund wachsender Beliebtheit. Manche Wissenschaftler, wie die Potsdamer Linguistin Heike Wiese, sehen in der Ausdrucksweise einen neuen Dialekt. Für andere, wie die Mannheimer Sprachwissenschaftlerin Rosemary Tracy, sind sie dagegen eine dialektübergreifende Variante und „eine völlig normale Erscheinung, überall, wo Sprachen in Kontakt kommen“. Wichtig sei dabei, „dass es dabei nicht bleibt“, findet sie.

 

„Egal, ob man der Meinung ist, sie sprechen gutes, schlechtes oder überhaupt kein Deutsch, das Phänomen ist da“, erklärte Professor Ludwig Eichinger, Direktor der Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim zum Abschluss der 48. Jahrestagung seines Hauses, bei der es erstmals um das Thema „Das Deutsch der Migranten“ ging. Das Interesse war groß, mehr als 400 Wissenschaftler aus 27 Ländern kamen ins Kongresszentrum nach Mannheim; dies zeige, dass die Sprache der Migranten nicht nur ein deutsches Thema sei, sagte Eichinger.

Noch sind die sprachlichen Differenzen nicht erfasst

Noch habe man keinen Überblick über die sprachlichen Differenzen und mögliche Auswirkungen. Bekannt sei bis jetzt nur der prozentuale Anteil der Migranten – der in Baden-Württemberg mit 26 Prozent unter allen Bundesländern am höchsten ist, erklärte der Sprachwissenschaftler. An der Spitze unter den großen Städten liege Frankfurt mit 43 Prozent, gefolgt von Stuttgart und Mannheim mit jeweils 38 Prozent.

„Doch wir wissen nichts über die sprachlichen Verhältnisse, danach wird nicht gefragt“, stellte er fest. Auch beim jüngsten Zensus sei die Sprache kein Thema gewesen. Dies habe auch politische Gründe, weil die Erkenntnisse aus solchen Befragungen in der Vergangenheit nicht nur in Deutschland oft für politische Unterdrückung genutzt worden seien.

Nach den bisherigen Erkenntnissen sei das sogenannte Kiezdeutsch oft eher ein Bestandteil des Habitus oder des Stils von Jugendlichen, sie machten es zu einem Bestandteil ihres Repertoires. „Sie können sich aber auch ganz standardisiert ausdrücken und argumentieren“, erläuterte Eichingers Kollege Arnulf Deppermann. Vieles spreche dafür, dass es sich um eine typische Jugendsprache handle, „die sich erfahrungsgemäß im Lauf der Biografie der Jugendlichen wieder verliert“.

Sprechen im Infinitiv ist aus der Mode gekommen

Offensichtlich seien auch Unterschiede in der Sprache der ersten Generation der Migranten der 70er Jahre und heute, stellte der Professor fest. So sei damals „das Sprechen im Infinitiv“ („Du gehen Schule“) typisch gewesen. „Das hat man gar nicht mehr.“ Heute stehe vielmehr das Verb vorn, gefolgt von Subjekt und Objekt („Muss ich zu Schule gehen“).

Einig waren sich die Wissenschaftler in der Einschätzung, dass jemand, der nur sein Kiezdeutsch zur Verfügung hat, „gesellschaftlich zweifellos sehr eingeschränkt ist“. Trotz vieler offener Fragen – etwa zu regionalen Unterschieden oder den Ursachen und Auswirkungen mangelnder Sprachkompetenz sei klar, „dass man einfach noch viel mehr für die frühe Sprachförderung tun muss“, erklärte Deppermann. Die Vorstellung, durch frühe Zweisprachigkeit mischten sich die Sprache und es komme zu einem Kauderwelsch „ist völliger Unsinn“, erklärte er. „Das gibt es, aber es ist vorübergehend. Das sortieren die Kinder später ganz schnell.“