Die Zuwanderer finden vor allem Arbeit als Ungelernte in den Branchen Gastronomie, Logistik, Bau, Landwirtschaft, Reinigung und Metall. Doch auch die Zahl der Flüchtlinge, die eine Berufsausbildung absolvieren, ist gestiegen. Experten mahnen Geduld an.

Stuttgart - Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen kommt voran, allerdings finden die Betroffenen bisher vor allem Helferjobs. In diesem Jahr haben in Baden-Württemberg rund 14 500 Flüchtlinge eine Arbeit aufgenommen (Stand: 30. September), wie das Wirtschafts- und Arbeitsministerium am Freitag bekanntgab. Diese Arbeitsplätze seien zum überwiegenden Teil im sogenannten Helferbereich der Branchen Gastronomie, Logistik, Bau, Landwirtschaft, Reinigung und Metall angesiedelt. „Die neuen Zahlen zur Integration von Flüchtlingen in Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse zeigen eine sehr erfreuliche Entwicklung. Gleichwohl müssen wir hier weitere Anstrengungen unternehmen“, kommentierte die baden-württembergische Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut die Zahlen. Die Südwestwirtschaft benötige Fachkräfte und Fachkräftenachwuchs. „Die Ausgangslage für die Integration von Flüchtlingen in Ausbildung ist damit gut“, sagte die Ministerin weiter.

 

Eine Berufsausbildung haben seit dem Start des neuen Lehrjahres am 1. September knapp 600 junge Zuwanderer aufgenommen. Dies ergab eine vom Wirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Sonderauswertung der Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammer-Statistik. Da die Statistik nur die wichtigsten Flucht-Herkunftsländer gesondert ausweist, dürfte die tatsächliche Zahl noch darüber liegen. „Nachhaltige Integration in Beschäftigung erreichen wir allem voran durch Ausbildung. Dafür müssen zahlreiche Voraussetzungen erfüllt sein“, sagte Hoffmeister-Kraut. Ihr Ministerium habe dazu ein vierstufiges Konzept aus den Bausteinen Spracherwerb, Berufsorientierung, Betreuung und Vermittlung sowie Stabilisierung entwickelt, bei dem alle Maßnahmen miteinander verzahnt seien. „Wir haben damit in Baden-Württemberg gute Strukturen etabliert“, so die Ministerin.

2015 kamen fast 98 000 Asylsuchende in den Südwesten

Im vergangenen Jahr sind fast 98 000 Asylsuchende nach Baden-Württemberg gekommen, in diesem Jahr sind es Stand September rund 28 000. Insgesamt befinden sich momentan 104 000 Flüchtlinge im Asylverfahren, die vorläufig in Unterkünften in den baden-württembergischen Stadt- und Landkreisen untergebracht sind. Drei Viertel der Flüchtlinge, die bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern im Land als arbeitssuchend registriert sind, haben noch keine berufliche Qualifikation. Zwei Drittel dieser Arbeitssuchenden befinden sich im ausbildungsrelevanten Alter zwischen 15 und 35 Jahren. Ziel bleibe es, jungen Flüchtlingen rasch berufliche Perspektiven zu bieten. Ungeduld sei dabei fehl am Platz, sagte Hoffmeister-Kraut: „Integration gibt es nicht im Hau-Ruck-Verfahren – vor allem nicht, wenn sie nachhaltig und dauerhaft sein soll.“

Auch Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT), warnte in dieser Woche vor übertriebenen Erwartungen: „Der erste große Schwung der Flüchtlinge wird erst 2018 in Ausbildung kommen.“ Momentan würden 300 junge Menschen in den Handwerksbetrieben im Land ausgebildet, die als Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen seien. Angesichts von insgesamt 48 000 Auszubildenden über alle Lehrjahre hinweg falle diese Zahl kaum ins Gewicht. Die Handwerksbetriebe bieten Vogel zufolge mehr als 70 unterschiedliche Maßnahmen an, die den Flüchtlingen einen Einstieg ermöglichen sollen, von Praktika über Kompetenzfeststellungen bis zu Integrationskursen. Von verkürzten oder veränderten Ausbildungsabläufen hält der BWHT-Geschäftsführer nichts: „Wir brauchen keine Ausbildung light, wir können nur etwas mit einem Handwerker anfangen, der eine komplette Ausbildung absolviert hat“, sagte Vogel. Wenn Flüchtlinge in einem Helferjob beginnen, dürfte das nur ein Anfang sein.

BWIHK-Präsident nimmt Unternehmer in die Pflicht

Peter Kulitz, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), bezeichnet die Integration als „langwieriges Projekt“. Er ruft die Arbeitgeber dazu auf, dabei „über die reine Kostenkalkulation hinaus“ zu denken. In seinem eigenen Betrieb, der ESTA Apparatebau, einem Spezialisten für Absaugtechnik in Senden bei Ulm, nimmt Kulitz eine „rührende Fürsorge der Belegschaft“ für die neuen Kollegen wahr. Das funktioniere aber nur, wenn Mitarbeiter die Rückendeckung des Chefs hätten. Er selbst habe im vergangenen Jahr eine „Vorrangprüfung“ bei der Personalauswahl eingeführt. Sie funktioniere wie folgt: „Wenn eine Stelle zu besetzen ist, prüfen wir zuerst, ob es einen Flüchtling gibt, der die Arbeit machen könnte.“ Anfang des Jahres hatte sich das mittelständische Unternehmen eine Beschäftigungsquote für Flüchtlinge von zwei Prozent als Ziel gesetzt.