Schießen Flüchtlinge die Sportvereinigung 05 Roßdorf in die Bezirksliga? Noch haben die Nürtinger Fußballer des Trainers Ignace Didavi kein Spiel verloren. Die Afrikaner kicken nicht nur gut, sondern engagieren sich auch vorbildlich im Verein.

Nürtingen - Nazifou Mamanzougou ist brandgefährlich. 19 Tore hat der Stürmer der Sportvereinigung 05 (SPV) Nürtingen schon geschossen. Der Fußballer ist einer von insgesamt zwölf Afrikanern, die das Team aus dem Stadtteil Roßdorf seit dieser Saison verstärken. Die Flüchtlinge haben maßgeblichen Anteil daran, dass die Roßdorfer, die noch vor kurzem als „Punktelieferanten“ galten in der Kreisliga A, jetzt ungeschlagen in die Winterpause gehen und Kurs auf die Bezirksliga nehmen. Der Verein sieht den sportlichen Höhenflug auch als Chance zur Imagepflege für einen ganzen Stadtteil.

 

Der erste Kontakt fand in einem Kaufhaus statt

Heinz Weyrich gerät ins Schwärmen, wenn er liebevoll von den „schwarzen Perlen“ spricht, wie er die Neuzugänge aus Togo, Gambia und Kamerun nennt. Der 73-Jährige ist seit Jahrzehnten Jugendwart – derzeit interimsweise, weil sonst keiner den Job macht –, kommentiert als „Stadionsprecher“ die Spiele auf dem Sportgelände beim Waldheim und identifiziert sich mit seinem Verein zu 100 Prozent. Die meisten der aus Afrika stammenden 05-Kicker sind Stürmer oder Mittelfeldspieler. Ousman Saine hingegen spielt hinten, und von dort schlägt er „wunderschöne butterweiche Pässe“ – die im Idealfall beim Vollstrecker Nazifou Mamanzougou landen.

„Entdeckt“ hat den 24-jährigen Togolesen der Trainer Ignace Didavi auf eine ungewöhnliche Weise. Dem Vater des VfB-Profis Daniel Didavi war klar, dass er die Mannschaft verstärken musste, soll sie die Klasse halten. In einem Kaufhaus in Kirchheim sah der aus Benin stammende Ignace Didavi drei dunkelhäutige Männer. Er sprach sie an und fragte: „Wer von euch kann Fußball spielen?“ Zwei von ihnen deuteten auf Nazifou Mamanzougou. Damit war dieser im Team. Das Beispiel machte Schule, und es folgten weitere Flüchtlinge nach.

Die Mitspieler haben einen Abholservice organisiert

Die Spieler wohnen in Esslingen, Wendlingen, Unterboihingen und Linsenhofen. „Die Mannschaftskameraden bilden einen Abholservice“, erzählt Heinz Weyrich. Denn ohne Auto ist es sehr schwierig, zum Training und zu den Spielen ins Roßdorf zu kommen. Diese Form von Hilfsbereitschaft ist ein Beleg dafür, wie intakt das Gefüge innerhalb der Ersten und der Zweiten Mannschaft ist.

Ignace Didavi lacht viel und vor allem herzhaft. Er pflegt einen lockeren Umgang mit seinen Spielern. Trotzdem ist der Trainer immer konzentriert – er verlangt etwas von der Mannschaft. Dass er Französisch spricht, erleichtert die Kommunikation mit den Afrikanern. Zwar lernen diese fleißig Deutsch, aber sie genieren sich, beim Sprechen Fehler zu machen. „Viele von ihnen sind doch sehr schüchtern“, sagt Heinz Weyrich. Dass sich Ignace Didavi gut in die Mentalität der „schwarzen Perlen“ hineinversetzen kann, ist ein weiterer Vorteil.

Sorge vor rassistischen Anfeindungen bestätigt sich nicht

Indessen war sich der Trainer erst gar nicht sicher, ob er überhaupt so viele Afrikaner in die beiden Teams integrieren sollte. Ignace Didavi sorgte sich, dass die dunkelhäutigen Spieler Rassismus ausgesetzt sein könnten. Der 60-Jährige weiß aus eigener Erfahrung, wie sich das anfühlt, ist doch auch sein Sohn Daniel in der Jugend teils mit rassistischen Äußerungen konfrontiert gewesen. Die zweite Sorge war, dass der eine oder andere Flüchtling über die Stränge schlagen könnte und dann in der Öffentlichkeit alle Afrikaner über einen Kamm geschoren werden könnten.

Beides hat sich als unbegründet erwiesen. Zwar werden die Neuen, die laut Didavi teils Landesliga-Niveau haben, aufgrund ihrer Spielstärke härter angegangen. Probleme mit Rassismus gebe es jedoch nicht. Und die Spieler haben sich perfekt eingefügt, nicht nur in die Mannschaft, sondern in den ganzen Verein. Sie übernehmen verantwortungsvolle Aufgaben wie etwa das Nachwuchstraining. „Die Kinder und Jugendlichen sind begeistert, wie sie das machen“, berichtet Heinz Weyrich.

Im Verein finden Zugezogene Halt und Freunde

Ignace Didavi erkennt Parallelen zu seinem eigenen Leben. Mit seiner Frau kam er Ende der 80er-Jahre nach Nürtingen. Den fünfjährigen Daniel nahm er einfach mit zum SPV 05 und fragte, ob er mittrainieren dürfe. Im Roßdorf lernte Daniel Didavi das Kicken. „Der Verein war wichtig für mich, so bin ich unter Leute gekommen“, sagt der Vater, der in Chemnitz noch zu DDR-Zeiten ein Ingenieurstudium absolviert hat.

Der SPV 05 ist im Vergleich zu anderen Nürtinger Fußballvereinen wie dem FV 09 finanziell nicht so gut aufgestellt. Das als Vereinsheim dienende Waldheim musste vor drei Jahren wegen Geldmangels verkauft werden, Sponsoren finden sich kaum. Das Roßdorf mit einem Spätaussiedleranteil von rund einem Viertel ist als „Russdorf“ und als Getto verschrien – aus Sicht der Roßdorfer völlig zu Unrecht.

Wie lange werden die Asylbewerber hier bleiben?

40 Prozent des 4000 Einwohner zählenden Roßdorfs haben einen Migrationshintergrund: Albanien, Brasilien, Italien, Kamerun, Kasachstan, Kroatien, Moldawien, Nigeria, Österreich, Palästina, Polen, Portugal, Russland, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei, Syrien, Ukraine und Ungarn – all diese Nationalitäten sind vertreten.

Insofern machen die neuen Spieler den Stadtteil nur noch ein bisschen bunter. „Wir nehmen alle. Bei uns ist jeder willkommen, der sich benimmt“, sagt Ignace Didavi. Der SPV 05 befindet sich derzeit im Aufwind. Dennoch gibt es Wolken am Horizont. Was wenn andere Vereine die neuen Spieler abwerben? Auch die Angst, die Asylbewerber könnten über kurz oder lang in ihre Heimatländer abgeschoben werden, spielt immer mit.