Um die Landeserstaufnahmeeinrichtung in der Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen sind die Kontrollen verstärkt worden. Der neue Bürgermeister Marcus Ehm findet das gut – und hält nichts von Ankerzentren.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Sigmaringen - Ein Krisenbesuch zur Sommerzeit? „Nein“, sagte am Freitag die Flüchtlingsbeauftragte des Bundes und Staatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) in Sigmaringen. Dort ließ sie sich über die Verhältnisse in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in der Graf-Stauffenberg-Kaserne informieren. 650 Menschen warten dort aktuell auf ihre Amtsbescheide, die wenigsten von ihnen haben aller Erfahrung nach eine Bleibeperspektive in Deutschland. „In jeder Stadt gibt’s mit solchen Einrichtungen gibt’s Diskussionen“, beschied die Ministerin.

 

Jede Stadt schafft es dann aber doch nicht, über Monate hinweg in der bundesweiten Wahrnehmung zur angeblichen Problem- und Gefahrenzone für unbescholtene Bürger zu avancieren; so sehr, dass die AfD die beschauliche Beamtenstadt zum Exempel einer insgesamt verfehlten Asylpolitik in Deutschland zu erklären versuchte. Im Mai 2017 organisierte die Rechtspartei einen „Bürgerdialog“ in der Stadthalle, im September wurde mit einer Kundgebung in der Innenstadt nachgelegt. Die Sage von einer biederen Stadt, in der arglose Bürger von Flüchtlingen beleidigt oder sogar angegriffen würden, lockte eine ganze Reihe von Journalisten hierher an die Donau. An den Sigmaringer Bahnhof zum Beispiel und in den angrenzenden Park; Orte, die einer ganzen Reihe von Internet-Schreibern zufolge zu Angstorten geworden waren.

Viel fanden sie nicht. Den neu gewählten Bürgermeister von Sigmaringen, Marcus Ehm (CDU), der an diesem Samstag seinen ersten Arbeitstag im Rathaus hat, wundert das wenig. „Ich lebe hier und bin noch nie bedroht oder beleidigt worden“, sagt er. Dennoch begrüßt der 46-jährige, der zuletzt als Strafverteidiger arbeitete, die in diesem Jahr vom Land verabschiedete „Konzeption sicheres Sigmaringen“. Wichtigster Baustein ist der ständige Einsatz einer zusätzlichen Gruppe mit acht Polizeibeamten. „Sigmaringen darf nicht alleingelassen werden“, hatte der Innenminister Thomas Strobl (CDU) damals gesagt.

Bürgermeister Marcus Ehm begrüßt die „Konzeption sicheres Sigmaringen“. Foto: https://www.marcus-ehm.de
Ob es dieses Aufwands wirklich bedurfte, um Ladendiebstählen, Pöbeleien oder auch dem erhöhten Müllvorkommen zwischen der Innenstadt und der etwa zweieinhalb Kilometer außerhalb gelegenen Stauffenberg-Kaserne zu begegnen, war zu diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr die eigentliche Frage. Laut dem Bürgermeister Ehm ist es „ganz wichtig, dass das Sicherheitsgefühl wieder zurückkommt“. Die fragile Stimmung unter den Einwohner hat seiner Einschätzung nach auch die Rathauswahl am 1. Juli beeinflusst. Als Ehm gefragt wird, ob er glaube, dass Ängste und Unzufriedenheiten rund um die LEA mit dazu geführt haben, dass er sich gegen seinen Parteifreund und früheren Amtsinhaber Thomas Schärer durchsetzen konnte, antwortet er nach kurzem Zögern: „Ja“. Kaum hat es je ein neueres größeres Kommunalthema als die Flüchtlinge gegeben.

Wie die Welle der Empörung entstand, bleibt rätselhaft

Anfang Mai hat das Landgericht Hechingen zwei 26-jährige Flüchtlinge aus Gambia zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Sie hatten im September 2017 in der Gemeinschaftsunterkunft Fürstenhof eine 23-jährige Frau vergewaltigt. Die Sigmaringer Flüchtlingskaserne liegt näher an der Innenstadt als etwa in Ellwangen, der Weg ist durch ein Wohngebiet abkürzbar. Trotz allem hat auch Klaus Danner, seit dem Vorjahr Ombudsmann für die Flüchtlingserstaufnahme in Baden-Württemberg, bis heute nicht ganz entschlüsselt, wie sich diese Welle der Empörung in Sigmaringen aufbauen konnte. „Ich denke, dass hier im ländlichen Raum die Menschen auch überfordert waren“, sagt er mit Rückblick auf die Zeit nach 2015. Dazu habe es politische „Protagonisten“ gegeben, „die versucht haben, das auszunutzen.“ Dagegen sei „mit humanistischen Argumenten“ nicht leicht anzukommen gewesen. Bürgermeister Ehm erinnert daran, dass die LEA für die Sigmaringer eine so große Rolle spiele, weil die Stadt heute relativ „strukturschwach“ sei. Mit dem Abzug der Soldaten aus der Kaserne seien einst 2500 Arbeitsverhältnisse verschwunden. „Wenn ich durch Freiburg gehe und frage, wie es dort mit der LEA läuft, weiß kaum keiner, was ich überhaupt meine“, sagt Ehm.

Inzwischen bewacht ein Sicherheitsdienst rund um die Uhr die Hauptpforte der Stauffenberg-Kaserne, alle Bewohner müssen sich beim Kommen und Gehen ab- und abmelden. Auf dem Gelände sind Videokameras installiert worden. Mehre Monate fuhr die Polizei eine „Null-Toleranz-Strategie“, erinnert der zuständige Tübinger Regierungspräsident Klaus Tappeser (CDU). Auch Bagatelldiebstähle oder Beleidigungen seien sofort angezeigt worden. Das habe sich kurzfristig negativ auf die Kriminalstatistik niedergeschlagen, doch jetzt sei Besserung erkennbar. „Ich habe das Gefühl, dass es aktuell ruhiger geworden ist“, berichtet er.

Finanzierungszusagen hat die Integrationsbeauftragte nicht im Gepäck

Ein Geschenk zum Beispiel in Form von Finanzierungszusagen, wie das bei Bundesministern anderer Ressorts während ihrer Sommerreisen durchaus üblich ist, hat Annette Wiedmann-Mauz nicht abgegeben, als sie am Freitag Sigmaringen wieder verließ. Nicht einmal das vage Versprechen, die LEA Sigmaringen könnte eines Tages nicht mehr gebraucht werden. In einer „Absichtserklärung“ hat der Sigmaringer Gemeinderat festgehalten, dass die Regelbelegung der Kaserne von bis zu 875 Personen nicht mehr überschritten werden und die Wartezeit der Flüchtlinge auf einen Duldungsbescheid höchstens sechs Monate dauern darf. 2022 soll dann mit dem Land über die weitere Perspektive der LEA gesprochen werden. Für die Staatsministerin Widmann-Mauz könnten Ankerzentren, wie vom Innenminister Horst Seehofer propagiert, Mittelstädten wie hier im Oberschwäbischen helfen. „Ich stehe zu den Ankerzentren“, sagte sie.

Dem schließt sich der Bürgermeister Ehm nicht an. „Wir sind hier doch zu zwei Dritteln schon ein Ankerzentrum“, sagt er. Rund 250 Arbeitsplätze hängen an der LEA, und allmählich scheint sich die Einsicht zu verstärken, dass der vermeintliche Dauergefahrenherd auch ein Wirtschaftsfaktor sein könnte. Der Bürgermeister will sich ab sofort um Maß und Verträglichkeit bemühen. Und Sigmaringen damit endlich wieder aus den Schlagzeilen kriegen.