Bilkay Öney löst Schlagzeilen aus. Im Amt hat sie schon etwas erreicht. Und den Gesprächsleitfaden zur Einbürgerung abgeschafft.

Stuttgart - Als Fotomotiv stellt Bilkay Öney (SPD) sogar den Ministerpräsidenten in den Schatten. Beim Empfang zum Fastenbrechen im Neuen Schloss gibt es kaum einen muslimischen Gast, der sich nicht mit der türkischstämmigen Integrationsministerin ablichten lassen wollte. Bilkay Öney schlägt keinem die Bitte ab, lächelt freundlich in jede Linse, plaudert mit jedem und kommt gut an.

 

Gerade in diesen Tagen ist das nicht selbstverständlich. Wieder einmal hat Öney, deren Aufgabe die Integration ist, Aufruhr ausgelöst. Die bei den Medien sehr gefragte Newcomerin im Regierungsgeschäft hatte erklärt, Türken würden fünfmal mehr fernsehen als deutsche Mitbürger. Die Empörung klingt manchmal wie verkehrte Welt: Die CDU wirft der Ministerin mit Migrationshintergrund vor, sie mache Stimmung gegen Türken. Diese selbst stärken ihr mehrheitlich den Rücken. "Ich habe nur aus einer Studie zitiert", gibt sich die Angegriffene betont gelassen. Dass der politische Gegner sie bewusst missverstehe, das gehört für die 41 Jahre alte Diplomkauffrau zum Geschäft. Sie wiegle nicht auf, sie sei pragmatisch.

Am grün-roten Kabinett prallt die Kritik ab

Richtig verletzt hat sie, "eine Tochter linker Lehrereltern", aber der Vorwurf, ihre Ausdrucksweise sei vulgär. Zweimal wurde sie mit dem F-Wort zitiert. Wenn sie den Respekt der Straße gewinnen wolle, dann liege sie damit richtig, wetterte Peter Hauk, der CDU-Fraktionschef, und nannte sie eine eklatante Fehlbesetzung. Sie werde dargestellt, als würde sie mit dem Ghettoblaster durch die Gosse ziehen, zeichnet Öney beleidigt ein Bild, dem sie so gar nicht entspricht. Schwarzes Etuikleid, dünnes Kettchen, schmaler goldener Armreif, perfekt geschminkt, ihrem Auftreten merkt man die Vergangenheit als Fernsehmoderatorin an.

Am grün-roten Kabinett prallt die Kritik ab. Winfried Kretschmann (Grüne) stärkt der von der SPD gewünschten Integrationsministerin öffentlich den Rücken: "Mit Ministerin Öney verbindet mich: wir sind beide im Verein für klare Worte". Gleichzeitig wirbt er um Verständnis. "Das setzt voraus, dass nicht jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und nicht jeder Satz skandalisiert wird." Der Regierungschef ist voll des Lobes über die untypische Ministerin: "Die Einrichtung des Ministeriums hat sich schon gelohnt, Ministerin Öney hat wichtige Debatten angestoßen."

Öney hat bereits Fakten geschaffen

Erdinc Altuntas, der Landesvorsitzende des Dachverbands Türkisch Islamische Union (Ditip), stimmt vollkommen zu. Es sei sehr wichtig und positiv, dass die Regierung ein Integrationsministerium eingerichtet habe. Und Bilkay Öney? "Wir stehen hinter unserer Ministerin."

Trotz der umstrittenen Schlagzeilen gehört die selbstbewusste frischgebackene Führungskraft zu den wenigen Ressortchefs der neuen Regierung, die bereits Fakten geschaffen haben. Sie hat den Gesprächsleitfaden zur Einbürgerung abgeschafft - und ist selbst überrascht wie leicht das ging: "Eine Unterschrift hat genügt", sagt sie. Sie hat eine Bundesratsinitiative zur doppelten Staatsbürgerschaft angestoßen, und sie plant gemeinsam mit der Staatsrätin für Zivilgesellschaft Gisela Erler eine Einbürgerungskampagne.


Die Türkin, die mit zweieinhalb Jahren nach Berlin kam, will keine Ministerin ausschließlich für Migranten sein. Eines ihrer Themen ist der interreligiöse Dialog. Dafür steht schon die Ausstattung ihres Büros: "Ich wollte alle Weltreligionen vereinigen", erzählt die Ministerin. Es gibt ein Engelsposter, eine kleine dunkle Buddhastatue, ein Mosaik mit den Schriftzeichen für Allah, ein jüdisches Symbol. Berührungsängste kennt sie nicht. Sie hatte eine Kinderbibel, die sie sehr schätzte - ein Geschenk von Kollegen ihrer Eltern.

Auch von parteipolitischer Abschottung hält die frühere Berliner Abgeordnete nichts. Vor zwei Jahren trat sie von den Grünen zur SPD über, um eine Jamaikakoalition in Berlin zu verhindern. Zuvor war eine SPD-Abgeordnete zu den Grünen gegangen. In ihrem Büro hängt heute ein großes Foto des Bundespräsidenten Christian Wulff. Über den CDU-Politiker sagt die SPD-Ministerin "Er ist ein Integrationspräsident. Man muss mutige Leute unterstützen." Natürlich hat ihr gefallen, dass Wulff sagte, der Islam gehöre zu Deutschland. Mut imponiert ihr. Sie sagt von sich selbst mehrfach, sie habe auch keine Angst.

Durch Zuspitzungen Öffentlichkeit erzeugt

Am politischen Tiefgang der Diplomkauffrau gibt es gelegentlich Zweifel. Allerdings weist Heiko Thomas, Geschäftsführer der Berliner Grünen, von sich, dass sein Verband nicht allzu traurig gewesen sein soll, Öney zu verlieren. Ihre Stärke sei, durch Zuspitzungen Öffentlichkeit zu erzeugen, sie nehme kein Blatt vor den Mund. Er schränkt aber vielsagend ein, "Politik ist mehr als ab und zu in die Zeitung zu kommen". Dass die SPD die eloquente Vorzeigemigrantin als Ministerin vorgeschlagen habe, hat in Berlin überrascht. Im Stuttgarter Kabinett fühlt sich Öney gut aufgenommen. "Es herrscht ein sehr offener Umgang." An ihren Fähigkeiten lässt die Importministerin keinen Zweifel zu. Fällt der Begriff Alibifrau, sprudelt die Liste der Young-Leadership-Programme für den Führungsnachwuchs, an denen sie teilgenommen hat, nur so aus ihr heraus.

Politisch orientiert sich die Kinofreundin am Erreichbaren. Sie will den Spagat zwischen den Interessengruppen schaffen. Eine Umfrage soll ergeben, wo die Mehrheitsgesellschaft den dringendsten Handlungsbedarf in der Integration sieht. Migrationsforschung ist eines ihrer Themen. Auch eine Antidiskriminierungsstelle will sie einrichten. Die Probleme in Baden-Württemberg sind andere als in Berlin. Hier mag es Arbeit geben, Ungerechtigkeit gibt es trotzdem, etwa bei den Bildungschancen, sagt die Neu-Stuttgarterin, die mitten im Umzug ist und im August an drei Wohnsitzen Miete bezahlt.

Die türkische Karrierefrau, die schwer zu fassen ist, ist nicht strenger mit den Einwanderern als andere. "Ich bin objektiv. Aber ich sage, was man von ihnen erwarten kann." Politik macht Bilkay Öney, weil sie in diesem Beruf ihre Kreativität ausleben und ihre Ideen umsetzen könne und weil sie mit Menschen zu tun habe. Die scheinen in Stuttgart umgänglicher zu sein. "Die Migrantenvereine sind hier nicht so laut und aufgeregt wie in Berlin", sagt sie. Vieles sei gelassener am Neckar als an der Spree. Zum Beispiel der Straßenverkehr. Diesen Eindruck, räumt sie lächelnd ein, könne sie aber auch deshalb haben, weil sie nicht mehr selbst fahre.


Beruf: Die Deutschtürkin Bilkay Öney studierte an der TU Berlin Betriebswirtschaftslehre und Medienberatung. Sie arbeitete als Diplomkauffrau in einer Bank. Es folgten Tätigkeiten in Geschäftsführung und Redaktion des staatlichen türkischen Fernsehsenders TRT.

Politik: Als Grüne wurde Öney 2006 ins Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Sie wurde migrationspolitische Sprecherin. 2009 wechselte sie zur SPD und rettete Klaus Wowereit so die Mehrheit. Für die aktuelle Wahl war sie im Bezirk Berlin-Mitte nominiert.