Im Streit über die Finanzierung der Rettungsleitstellen erhalten die Landratsämter Rückenwind. Die Kassen dürfen die Einrichtungen nicht als Sparmodell missbrauchen, urteilt der Verwaltungsgerichtshof.

Kreis Ludwigsburg - Wer den Notruf 112 wählt, dem wird in der Regel schnell geholfen – egal ob es um einen medizinischen Notfall oder um einen Feueralarm geht. Bislang ungeklärt war allerdings die Frage, wer für diese wichtige, aber kostspielige Aufgabe wie viel bezahlen muss. Seit Jahren tobte deshalb ein Streit zwischen der öffentlichen Hand und den Krankenkassen. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim hat nun den Kassen einen deutlichen Dämpfer verpasst.

 

Vor der flächendeckenden Einführung integrierter Leitstellen haben die Landkreise die Feuerwehrleitstellen bezahlt – mit Steuergeldern. Die Kassen kamen – mit Mitgliedsbeiträgen – für die Rettungsleitstellen auf. Aufgrund der Tatsache, dass die Feuerwehr weit seltener alarmiert wird, lag das tatsächliche Kostenverhältnis vielerorts bei 60 (Krankenkassen) zu 40 (Steuerkassen) oder noch stärker zu Ungunsten der Krankenkassen. Doch bei der gesetzlich vorgeschriebenen Umstellung auf integrierte Leitstellen setzten die Kassen in den zuständigen Bereichsausschüssen der Landkreise zumeist eine 50-50-Kostenteilung durch. In den Gremien sind die Landratsämter nämlich nicht stimmberechtigt.

Es geht um sechsstellige Beträge

Seit Jahren besteht somit vielerorts der Verdacht, die Kassen betrachteten die integrierten Leitstellen als Sparprogramm – meist geht es um sechsstellige Beträge zu Lasten der Steuerzahler. Als Präzedenzfall gilt der Kreis Tübingen, der nun beim VGH verhandelt wurde. Hier hatte der Kreis mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK), das die Leitstelle betreibt, eine Trägervereinbarung geschlossen, in der sich der Kreis verpflichtete, 35 Prozent der Betriebskosten zu tragen. Doch weil die Kassen im für die Finanzierung der Leitstelle zuständigen Bereichsausschuss weiterhin auf der 50-Prozent-Regel beharrten, drohte dem DRK ein ständig wachsendes Defizit.

Das DRK klagte – und bekam Recht. Die Richter des VGH Mannheim urteilten gar, dass die Krankenkassen gegen eine richterliche Entscheidung keine Berufung einlegen dürfen. Zudem sei eine Regelung, die sich – wie im Falle Tübingens – an der tatsächlichen Kostenverteilung orientiere, nicht zu beanstanden. Nun muss die Schiedsstelle, die in strittigen Fällen zwischen Rettungsträgern und Krankenkassen vermittelt, eine neue Lösung finden. Diese darf aber nicht im Widerspruch zur 65-35-Regelung stehen.

„Urteil ist in unserem Interesse“

Nicht nur im Kreis Tübingen sieht man sich bestätigt. Auch im Rems-Murr-Kreis gibt es seit längerem Zwist zwischen dem Landratsamt und den Kassen – nun verhandelt der Kreis mit richterlich gestärktem Rücken. In Stuttgart gibt es laut einem am Prozess beteiligten Anwalt derzeit drei Schlichtungsverfahren, die ruhen, bis das Urteil bekannt wird. „Das Urteil ist durchaus in unserem Interesse“, sagt auch der Ludwigsburger Landrat Rainer Haas. Es sei begrüßenswert, dass die Richter „den Automatismus der Kostenteilung in Frage stellen“, befindet der Jurist. Die Empfehlung des Innenministeriums, sich die Kosten hälftig aufzuteilen, sei ohnehin fragwürdig.

Nun könne zwar auch der Landkreis Ludwigsburg erneut auf die Kassen zugehen. Allein: hier gebe es einen entscheidenden Nachteil gegenüber Kreisen wie etwa Tübingen – denn in Ludwigsburg habe man zwar auf eine andere Regelung gedrängt, sagt Haas. „Aber auf alles andere als 50-50 hat sich die AOK nicht eingelassen.“ Bedauerlich sei am Mannheimer Urteil daher eines: Es ist nur bei bei jenen Trägervereinbarungen direkt anwendbar, die bereits von der hälftigen Kostenteilung abweichen. Wäre es allgemein verbindlich, „hätte uns das echt geholfen“, sagt Haas.

Ministerium setzt auf Einigung

Beim Innenministerium sieht man derweil keinen Grund, die 50-50-Empfehlung in Frage zu stellen. Dies sei aber keine Vorschrift, sondern lediglich eine Richtschnur, erklärt der Pressesprecher Andreas Schanz. „Die Empfehlung zur hälftigen Kostenaufteilung wird von mehr als zehn Trägern integrierter Leitstellen gelebt.“

Kommentar: groteskes System

Leitstellenstreit - Wer bestellt, muss nicht bezahlen. Oder: wer bezahlen muss, darf nicht beim Bestellen mitwirken. Dieser merkwürdige Grundsatz gilt bei der Finanzierung der integrierten Leitstellen im Land. Es ist dem Laien schon schwer zu erklären, warum bei der Finanzierung dieser überaus sinnvollen Einrichtungen nicht einfach nach dem Kostenprinzip verfahren wird – Motto: die öffentliche Hand und die gesetzlichen Krankenkassen zahlen für ihren jeweiligen Bereich ungefähr so viel, wie bisher auch.

Vollends grotesk wird die Sache, wenn man ins politische Detail geht. Zuständig für finanzielle Fragen im Rettungswesen sind nämlich die Bereichsausschüsse. Und dort haben die Landratsämter kein Stimmrecht, obwohl sie dort eigentlich die Interessen der Steuerzahler vertreten müssten. So hatte das Tübinger Landratsamt letztlich nur die Option, über Bande zu spielen: Man vereinbarte mit dem DRK eine andere Kostenaufteilung als der Bereichsausschuss es zugelassen hätte. Damit blieb dem DRK quasi nur noch der Klageweg, um ein horrendes Defizit zu vermeiden.

Merkwürdig ist die Konstruktion auch auf der anderen Seite: Die Kassen sollen für die Leitstellen mitbezahlen und sitzen im Bereichsausschuss. Da sie aber keine Trägervereinbarung mit dem Kreis oder dem DRK haben, sondern „nur“ Zahlmeister sind, ist ihnen künftig richterlich untersagt, gegen die Kostenverteilung zu klagen.

Keine Frage: hier gibt es zu viele Fragezeichen und unklare Zuständigkeiten. Das Sozialministerium zieht sich auf den Willen zur Harmonie zurück und verschließt die Augen vor der konfliktträchtigen Realität. Eine Neuregelung mit klaren Verantwortlichkeiten tut Not.