Die Intelligenz wird einem in die Wiege gelegt. Doch nicht jeder kann sein Potenzial ausschöpfen. Woran liegt das?
Stuttgart - Dumm geboren, nix dazugelernt und die Hälfte vergessen" - wer möchte, kann sich bei einem Händler im Internet T-Shirts für die Abifeier mit diesem Spruch bedrucken lassen. Er dürfte ironisch gemeint sein. In Wahrheit geht der Träger davon aus, dass er nicht dumm geboren wurde, sondern mit ausreichender Intelligenz gesegnet ist, um zumindest das Abitur zu schaffen. Aber wird überhaupt irgendjemand dumm geboren, oder führen erst ungünstige Umstände in der Jugend und während der Erziehung dazu, dass jemand dumm wird oder bleibt?
Den Wissenschaftsjournalisten Dieter E. Zimmer beschäftigt diese Frage in seinem neuen Buch "Ist Intelligenz erblich? Eine Klarstellung". Der Untertitel verwundert: Gibt es überhaupt etwas klarzustellen? Offenbar sind hier alte Kränkungen im Spiel. 1974 habe man ihn nach einer Artikelserie über Intelligenz, die in der Wochenzeitung "Die Zeit" erschienen war, in Leserbriefen übel beschimpft, vermerkt Zimmer in einer Fußnote. Das war vor 38 Jahren! Der Grundton aggressiver Verteidigung gegen Gegner, die längst die Waffen gestreckt haben, trübt leider die Lektüre von Zimmers faktenreichem Buch. Die Zeiten haben sich nämlich gewandelt. Heute bestreitet niemand, der sich mit dem Stand der Wissenschaft beschäftigt hat, dass Intelligenz bis zu einem gewissen Grade vererbt wird. Allerdings lohnt es sich, die Sache aufzudröseln, um zu den eigentlich gesellschaftlich relevanten Problemen vorzudringen.
Uneinig wie hoch der genetische Anteil ist
Studien mit Zwillingen, die nach ihrer Geburt getrennt worden waren und in unterschiedlichen Haushalten aufwuchsen, belegen, dass die Intelligenz zu einem erheblichen Teil in den Genen steckt. Eineiige Zwillinge mit identischem Erbgut haben einen sehr ähnlichen Intelligenzquotienten. Bei zweieiigen Zwillingen, die sich genetisch nicht ähnlicher sind als normale Geschwister, erweist sich dieser Zusammenhang als schwächer. Uneinig ist man sich unter den Forschern nur darüber, wie groß dieser genetische Anteil an der Intelligenz ist. Die Berechnungen schwanken zwischen 50 und mehr als 80 Prozent.
Was man aus der Alltagserfahrung bereits ahnt, kann die Wissenschaft mit statistischen Verfahren nachweisen: Intelligentere Menschen sind besser in der Schule und bekommen die besseren Jobs. Das gilt zumindest, wenn man eine große Zahl von Menschen betrachtet. Interessant ist aber die Spannbreite, die eine von Zimmer zitierte Statistik aus den USA erkennen lässt. Zwar sind demnach Ärzte im Durchschnitt intelligenter als Landarbeiter. Aber die intelligentesten 25 Prozent der Landarbeiter könnten durchaus gute Mediziner werden. Wenn sie es nicht wurden, obwohl sie Interesse gehabt hätten, liegt das vermutlich an ihren Lebensumständen und denen ihrer Eltern. Einem mäßig intelligenten Jungen aus einer Akademikerfamilie fällt es eben leichter Arzt zu werden als der Tochter einer Landarbeiterfamilie. Die Spannbreite an Intelligenz besonders bei Menschen in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen beweist: es gibt in allen Ländern Potenzial für eine Wissensgesellschaft.