Für Intensivpflegepatienten gibt es nun direkt am Bahnhof eine WG – als Alternative zum Pflegeheim oder Krankenhaus. Ziel ist es, den Bewohnern ein möglichst normales und selbstständiges Leben zu ermöglichen.

Bad Cannstatt - Leise tröpfelt die Infusion. Lautlos strömt der Sauerstoff durch den Schlauch bis zur Kehle. Es ist ruhig in der neuen WG für Intensivpflegepatienten. Kein piepsender Monitor, keine rennenden Ärzte oder klappernde Essenswagen. Hier in diesem alten Haus gegenüber vom Bahnhof Bad Cannstatt leben die Bewohner selbstbestimmt und ein wenig wie in der eigenen Wohnung.

 

„Unser Ziel ist es, dass die Bewohner ein möglichst normales und selbstständiges Leben führen“, sagt Sandra Schmidt. Sie ist Ansprechpartnerin für die Präsenzkräfte in der WG und gleichzeitig Altenpflegerin und Bürokauffrau. Eine gute Kombination, denn sie schaut einerseits, dass der Haushalt der WG läuft, hat aber auch die fachliche Übersicht, wenn es um die Pflege der Bewohner geht.

Für diese fängt „normal und selbstbestimmt“ bei der Wandfarbe im eigenen WG-Zimmer an, führt sich fort in den eigenen Möbeln und zeigt sich darin, wie jeder seinen Tag gestaltet. „Jeder kann entscheiden, ob und wann er gewaschen werden will, ob er aus dem Bett herauskommen möchte oder nicht“, erklärt Schmidt. Das ist der große Unterschied zu einem Pflegeheim oder Krankenhaus.

Noch zwei freie Plätze

Thomas B. (zum Schutz der WG-Bewohner sind alle Namen geändert) zum Beispiel, der junge Mann mit dem Muskelschwund, schläft immer gerne lang. „Vor zehn oder elf Uhr ist er nicht auf“, sagt Schmidt. Dafür ist der 22-Jährige, der nur im Schlaf beatmet werden muss, abends lange wach. „Dann spielt er X-Box oder schaut im Wohnzimmer lange fern.“ Die Präsenzkräfte und die Pflegekräfte müssen sich diesem Rhythmus anpassen. So ist das Konzept der Intensivpflege-WG, die von der Widukind Immobilien GmbH mit Sitz in Herford betrieben wird. Die Pflege übernimmt der ambulante Intensivpflegedienst Odemvitae.

Seit Januar leben nun mittlerweile vier Menschen zusammen, die auch nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus intensivpflegerisch betreut oder beatmet werden müssen. Platz ist noch für zwei weitere Bewohner, die durch Krankheit oder Unfall auf eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung angewiesen sind. „Wir sind gerade im Aufbau“, berichtet Schmidt. Eine Etage weiter oben könnte eine weitere Intensiv-WG eingerichtet werden. Doch dafür suche der Betreiber noch examinierte Pflegekräfte. „Erst dann kann es auch oben losgehen“, sagt Schmidt.

Frau F. ist vor wenigen Wochen in die erste WG eingezogen. Blaue Wände waren ihr Wunsch, den man gerne für sie in Erfüllung gehen ließ. Sprechen kann Frau F. nicht mehr, seit auch bei ihr ein Luftröhrenschnitt nötig geworden ist. Aber sie kann auf Ja-Nein-Fragen antworten. Auf diese Weise lässt sich etwa herausfinden, dass es ihr in der WG gefällt, dass man sie gut umsorgt und dass die Fotos, die man für sie aufgestellt hat, ihre Enkel zeigen. Nur am tatsächliche WG-Leben kann Frau F. noch nicht teilhaben. „Sie hat noch keinen Rollstuhl“, erklärt Schmidt.

Gremium aus Bewohnern und Angehörigen

Und so ist das große Wohnzimmer der WG oft verwaist, während manche Bewohner noch schlafen oder andere gar nicht mehr (oder noch nicht) aus ihren Betten kommen. So auch eine junge Frau Mitte 20 mit verkürzter Muskulatur. Anfang des Jahres musste sie mit einer Lungenentzündung in die Klinik und bekam einen Luftröhrenschnitt. Seitdem muss die Frau, die bei ihrer Geburt einen frühkindlichen Hirnschaden erlitten hatte, beatmet werden und kann nicht wie all die Jahre zuvor, von ihrer Familie zu Hause gepflegt werden. „Leider ist sie nicht in der Lage, in einem Rollstuhl sitzen. Deswegen kann sie auch nicht aus ihrem Zimmer heraus“, sagt Schmidt. Im Wohnzimmer der WG treffen sich dafür die Pflegekräfte zum Austausch, kommen die Angehörigen zusammen und können dort auch mal einen Kaffee trinken. Und damit das WG-Leben in geregelten Bahnen läuft, gibt es sogar ein Gremium aus Bewohnern und Angehörigen.