Die Internationale Bachakademie hat ihren Markenkern komplett geändert, um international unter den besten Orchestern der Welt bestehen zu können. Das kostet freilich – und zwar nicht nur Geld, wie der StZ-Autor Mirko Weber analysiert.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Unter der Woche ist die Internationale Bachakademie für einen denkwürdigen Abend in den Stuttgarter Konzertclub Wizemann hinter dem Pragsattel umgezogen, wo die Leute unter hübsch rostigen Röhren saßen, während sie von zwei Spezialensembles blitzsaubere Musik hörten: einmal aus dem 16., einmal aus dem 20./21. Jahrhundert. Die jüngeren Kompositionen schrieben die älteren fort, Tradition und Moderne traten nicht gegensätzlich, sondern einander ergänzend auf. Und wieder war, von der neuen Location mal ganz abgesehen, etwas in Bewegung geraten bei der Internationalen Bachakademie, deren jährliches Musikfest unter dem Motto „Freiheit“ gerade in und um die Landeshauptstadt zu Ende geht.

 

Dass sich etwas ändern müsse, wollte man nicht von der internationalen Entwicklung institutionell allmählich abgeschafft werden, war von Anfang an das Credo des ostdeutschen Kantorensohns und Dirigenten Hans-Christoph Rademann gewesen, der die Akademie im Jahr 2013 nach mehr als drei Jahrzehnten Leitung durch den Gründer Helmuth Rilling übernommen hat. Rademann, obwohl auch Rilling-Schüler, spürte von jeher einem ganz eigenen Klangideal nach („erdig und sächsisch“, was Bach betrifft, lässt er als Beschreibung gerne gelten), arbeitete bereits in Dresden als Gründer des Kammerchors konsequent mit der historischen Aufführungspraxis und hat Stuttgart unter anderem mit seiner Frau, der Choreografin Friederike Rademann, beigebracht, dass man Bach auch sehr gut tanzen kann.

Die Ensembles wurden professionalisiert

Im vergangenen Jahr schließlich wagte Rademann nach langen Planungen mit der Intendanz und der Dramaturgie der Internationalen Bachakademie noch einmal einen riesigen und natürlich auch risikoreichen Sprung. Die Ensembles wurden gewissermaßen hyperprofessionalisiert. Anlassgemäß – wie wieder eindrucksvoll und überzeugend zu hören beim Musikfest – kann sich der Dirigent seine Musiker aus einer internationalen Kartei zusammenstellen, die nur die besten Spezialisten umfasst. So funktioniert, vereinfacht gesagt, die Champions-League im großen Weltkonzert der besten Orchester, zu der die neu gegründete Gaechinger Cantorey auf dem Sektor der Alten Musik zweifellos bereits gehört.

Andererseits bleibt, was den eingeschlagenen Weg betrifft, möglicherweise auch ein bisschen was auf der Strecke: Zwar hat im Verlauf des Musikfests das JSB-Orchester, in dem lauter junge Menschen aus zwanzig Nationen sitzen, etliche Auftritte gehabt – und den energiegeladensten mit der Johannes-Passion unter Rademann selber. Die Verantwortlichen lassen jedoch keinen großen Zweifel daran, dass man am Ende auf die Jugendarbeit am ehesten verzichten würde, wenn der anders gefasste, neue Markenkern in Gefahr kommt. Eine Rückkehr zu Helmuth Rillings unbedingten „Jugend, forsche!“-Zeiten wird es dann, trotz eines noblen Gastspiels des Emeritus beim Musikfest, nicht geben.

Stadt und Landesregierung zögern

Für das prägende neue Erscheinungsbild bräuchte die Internationale Bachakademie doppelt, ja mehr als dreimal so viel Geld, wie sie von Stadt und Land derzeit bekommt. Kommune und Landesregierung zögern aus unterschiedlichen Gründen, aber auch ein wenig deshalb, weil beide die Konturen noch nicht klar ausmachen. Bleibt die Bachakademie eine feste schwäbische Burg und für alle erreichbar und erschwinglich? Oder muss man sich einfach darauf einlassen, dass manche alte, einmal als ewig eingestufte Kategorien im kulturellen Verteilungskampf weltweit obsolet werden, ja, längst geworden sind? Weckle (die guten alten Zeiten, in denen im Übrigen ohne Sponsoren auch wenig ging) und Zehnerle (nämlich strahlende globale Wirkung über den Fernsehturm hinaus) sind, wie hinreichend bekannt, nicht zugleich zu haben. Und wirklich: Alles hat seinen Preis.