Unter Hans-Christoph Rademann hat die Bachakademie vor gut einem Jahr den Weg zur Erneuerung beim historischen Ensembleklang begonnen. Aus der Gächinger Kantorei wurde die Gaechinger Cantorey. Auch der Rest der Bachakademie soll wieder eine Marke werden. Ob das gelingen kann? Eine Bestandsaufnahme.

Stuttgart - Die Reformation am Johann-Sebastian-Bach-Platz geschah nicht unvorbereitet, aber nahezu geräuschlos. Schon als Hans-Christoph Rademann im Juni 2013 sein Amt als künstlerischer Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart in der Nachfolge Helmuth Rillings antrat, beantwortete er die Frage, ob sich nun etwas ändern müsse in seinem Haus, mit einem klaren Ja. Wer Rademanns Arbeit als Gründer und Leiter des Dresdner Kammerchors verfolgt hatte, wusste rasch, worin das Neue vor allem liegen würde: Historisch informiert sollte im Stuttgarter Traditionshaus bald musiziert werden, also so, wie es zurzeit nicht nur angesagt, sondern mittlerweile zur Hörgewohnheit geworden ist - das Alte ist das neue Neue. Kleiner und jünger würde folglich die Gächinger Kantorei werden, und aus dem Bach-Collegium würde der neue Akademieleiter ein Ensemble aus Alte-Musik-Spezialisten formen.

 

Das hat man schon vor fünf Jahren gewusst, und so ist es dann tatsächlich gekommen. Ein wenig nur hat es beim Umbau der beiden Truppen zur neuen Gaechinger Cantorey gerumpelt, menschlich vor allem, aber dann, beim Musikfest 2016, also gut 63 Jahre nach der Gründung des fast gleichnamigen Chores auf der Schwäbischen Alb, haben sich die in einem Ensemble vereinigten Sänger und Instrumentalisten erstmals vorgestellt – selbstredend mit Musik von Bach. Und mit einem Instrument, das seither nicht nur in der Mitte des musikalischen Geschehens steht, sondern auch den Markenkern der neuen Gächinger bilden soll, die sich jetzt antikisiert Gaechinger Cantorey schreiben. Schließlich ist die zeitgemäße, also mit historischen Instrumenten und historischer Stilistik operierende Interpretation von Musik vor allem des 18. Jahrhunderts nur das eine. Das andere ist der Verkaufswert, den ein Ensemble auf dem umkämpften Konzert- und CD-Markt erringen muss, und der bemisst sich auch an Besonderheiten, Alleinstellungsmerkmalen.

Die Bassgruppe ist der Motor des neuen Orchesters

„Erdig“, „schwer“, „sächsisch“ hat Hans-Christoph Rademann den Barockklang von Johann Sebastian Bachs Herkunftsregion benannt, in der er selbst ebenfalls aufwuchs und musikalisch sozialisiert wurde, und vor gut einem Jahr hat er dieses mitteldeutsche Klangideal mithilfe einer – übrigens wirklich zufällig entdeckten und rekonstruierten – Truhenorgel aus der Werkstatt des berühmten Orgelbauers Gottfried Silbermann nach Stuttgart gebracht. Maßgeblich verstärkt wird der tatsächlich ziemlich voluminöse Klang des Instrumentes seither durch Musiker in der Bassgruppe rund um den sehr präsenten Cellisten Joseph Crouch, die Rademann gerne als „Motor des Orchesters“ bezeichnet.

Im Dialog mit der bogentechnisch flinken Konzertmeisterin Nadja Zwiener entsteht eine sehr eigene Verbindung von Erde und Himmel, Dunkel und Leuchtkraft. Er mache, sagt der Akademieleiter, bei Proben wie bei Aufführungen mittlerweile sehr viel „aus der Intuition heraus“, damit das Musizieren seine Spontaneität nicht verliere, und immer wieder staune er dabei über die Reaktionsgeschwindigkeit der Instrumentalisten – „ein so flexibles Ensemble habe ich noch nie dirigiert“. Im Übrigen klinge die neue Gaechinger Cantorey genau so, wie man sich Martin Luther und sein Auftreten vorstelle – und das sei nun doch wirklich etwas ganz anderes als „der leichte, luftige, fluffige Klang, der gerade auf dem Markt populär ist“. Beim Musikfest 2018 wird sich das Orchester erstmals (mit Haydn) über die Schwelle zur Klassik wagen.