Unter dem Motto „Worte bewegen“ ist Deutschland der Ehrengast auf der Internationalen Buchmesse in Istanbul. Die noch bis Sonntag laufende Bücherschau bietet Freiräume, die in der Türkei sonst nicht mehr existieren.

Istanbul - Auf dem Weg vom Istanbuler Zentrum zur Buchmesse am Rand der Stadt kommt man am Frauengefängnis Bakirköy vorbei. Die Schriftstellerin Aslı Erdoğan ist hier inhaftiert. Unbeeindruckt von Protesten hat die Staatsanwaltschaft eine lebenslängliche Haftstrafe für eine Autorin gefordert, deren Verbrechen es ist, in einer kurdisch-türkischen Zeitung publiziert zu haben. Die Türkei wird jeden Tag mehr zu einem unberechenbaren, autoritären Staat. Aber es gibt trotzdem nach wie vor die Mutigen, die sich nicht unterkriegen lassen. Auf der Buchmesse hat „Cumhuriyet“, die wichtigste oppositionelle Zeitung des Landes, einen Stand. Die Bücher des mittlerweile im deutschen Exil lebenden früheren Chefredakteurs des Blattes, Can Dündar, liegen unweit davon beim Verlag Can zahlreich aus, darunter auch seine Aufzeichnungen aus dem Gefängnis.

 

Der Verlagsleiter Can Öz, der mit Hassmails und Morddrohungen leben muss, macht alles andere als den Eindruck eines eingeschüchterten Menschen: „Als Verleger in der Türkei muss man bereit sein zu kämpfen. Für mich sind all die schockierenden Dinge, die gerade geschehen, Teil des Alltags“, sagt er. „So ist es leider schon immer gewesen in der Türkei. Selbst, wenn sich die Dinge zum Besseren entwickeln, wie es Anfang der Nullerjahre geschehen ist, wissen wir in diesem Land immer, dass es auch wieder schlechter werden kann. Und wenn es schlechter wird, wissen wir, dass auch wieder bessere Zeiten kommen. Das ist das typische Auf und Ab für jeden türkischen Intellektuellen.“ Das klingt nach Fatalismus, tatsächlich aber reflektiert Can lediglich die Erfahrung der Unsicherheit, die jedem Türken historisch mitgegeben zu sein scheint. Die Buchmesse selbst, die noch bis Sonntag zum 35. Mal stattfindet, ist das Produkt wiedergewonnener Freiheit nach der bleiernen Zeit der Militärdiktatur als Folge des Putsches von 1980. Viele Türken empfinden die Situation heute jedoch als noch schlimmer, Erdoğan sei unberechenbarer, als die Militärs es waren. Wie zum Beweis ist vor einigen Tagen auch der Literaturkritiker von „Cumhuriyet“ verhaftet worden.

Fixiert auf den Terror der PKK

Die Istanbuler Buchmesse ist die wichtigste des Landes. 50 0000 Besucher kamen im Vorjahr während einer Woche. Und auch diesmal sind die Gänge zwischen den Bücherständen voller Menschen. Vielleicht auch deshalb, weil sie hier noch Freiräume finden, die anderswo nicht mehr existieren. Die wichtigen Verlage jedenfalls zeigen ihre literarisch beeindruckend reichen Programme. Dass im Jubiläumsjahr jedoch mehr als eine gewöhnliche Messe stattfindet, wird rasch deutlich. Während der offiziellen Eröffnung am vergangenen Samstag hat der stellvertretende türkische Kulturminister zwar kurz von schwierigen Zeiten gesprochen, aber er bezog sich dabei ausschließlich auf den Terror der PKK. Die deutsche Staatsministerin Maria Böhmer äußerte zurückhaltend ihre Sorge über die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Weitaus vehementer war der Auftritt von türkischen Gewerkschaftern und Schriftstellern. Von Applaus begleitet liefen sie mit Plakaten durch die Hallen, um auf die Lage von Aslı Erdoğan und anderer Inhaftierter aufmerksam zu machen. Einer der Aktivisten ist der Autor und Menschenrechtler Burhan Sönmez.

„Wir tun so vieles, seit unsere Freunde eingesperrt wurden vor drei Monaten – nicht nur hier, sondern auf den Straßen, vor Medienhäusern, Gefängnissen. Aber die Buchmesse ist vielleicht der beste Ort für unseren Protest“, sagt er. Der Mann, der selbst in Haft war, danach lange in England gelebt hat und heute für Zeitungen wie den „Guardian“ und die „Zeit“ mutig über die Zustände in der Türkei schreibt, erklärt, warum die Buchmesse ein besonderer Ort ist: „Hier sprechen wir nicht zur Regierung, sondern direkt zu den Lesern der Bücher. Wir sagen, hey, ihr lest die Bücher, aber die Regierung sperrt die Schriftsteller ein, die diese Bücher geschrieben haben.“

Das Gespräch mit den türkischen Lesern suchen in diesem Jahr vor allem auch deutsche Autoren und Verleger. Unter dem Motto „Worte bewegen“ präsentiert sich Deutschland als Ehrengast. Dreißig Verlage stellen ihre Programme vor, fünfzehn Schriftsteller sind nach Istanbul aufgebrochen. Aber was können Worte noch bewirken in einer Zeit, da die türkische Regierung weiterhin unbeirrt gewaltsam gegen ihre Kritiker vorgeht? Der Buchmesse-Direktor Juergen Boos sagt: „Gerade viele Schriftsteller und Verleger gehören nicht zu Erdoğans Unterstützern, genau sie treffen wir hier, um ihnen den Rücken zu stärken.“

Protestaktion vor dem Frauengefängnis

Auch der Schriftsteller Moritz Rinke verteidigt die Entscheidung der Deutschen, nach Istanbul zu kommen: „Gerade in dieser Situation ist es sehr wichtig, sich in der Türkei zu zeigen. Das tue ich nicht, um das Land politisch zu stützen. Man könnte dem Gastland vorwerfen, dass es sich in ein zunehmend autoritäres System einbettet und ihm damit hilft. Ich glaube aber, die Akzentuierung liegt anders. Es geht darum, höflichen Widerstand zu zeigen, der türkischen Repression zu widersprechen und den Menschen beizustehen, die sich von Europa im Stich gelassen fühlen.“

Die aktuelle politische Situation in der Türkei ist direkt oder indirekt bei fast jeder Diskussion am deutschen Gemeinschaftsstand auf der Messe präsent. Am deutlichsten aber machen die Deutschen ihre Solidarität mit der liberalen Opposition im Land außerhalb der Messe. Eine Gruppe um den Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins Alexander Skipis, um den Verleger Christoph Links und den Schriftsteller Ilija Trojanow demonstrierte am Montag vor dem Istanbuler Frauengefängnis zusammen mit türkischen Aktivisten für die Freilassung von Aslı Erdoğan und anderer inhaftierter Autoren. „Free the words – Free Aslı Erdoğan“ stand auf dem Transparent, das die Deutschen hochhielten. Für Skipis ist angesichts der politischen Situation in der Türkei zweierlei wichtig: „Wir müssen deutlich machen, dass Meinungsfreiheit ein essentieller Bestandteil einer freien Gesellschaft ist und außerdem auf Einzelschicksale hinweisen und unsere Solidarität mit inhaftierten Schriftstellern, Journalisten und Verlegern zeigen.

Das ist auch die Überzeugung von türkischen Autoren und Verlegern wie Burhan Sönmez und Can Öz. Die Regierung Erdoğan repräsentiert nicht die ganze Türkei, sagen sie. Und: Es gibt viele Menschen wie uns.