Jedes Jahr am 25. November ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Bundesweit fanden an diesem Montag zahlreiche Veranstaltungen und Aktionen statt – auch in Stuttgart.

Kurz nach 18 Uhr wird es laut auf dem Wilhelmsplatz in der Stuttgarter Innenstadt. Trillerpfeifen, lautes Klatschen und wütende Rufe. Bei der Kundgebung am Montagabend gegen Gewalt an Frauen gibt es keine Schweigeminute, sondern eine Lärmminute. Denn das Schweigen der Gesellschaft stütze patriarchale Gewalt, sagt eine Sprecherin des Aktionsbündnisses 8. März. Viele Menschen sind gekommen, eine bunte Traube hat sich auf dem Platz gebildet. Vor allem junge Frauen und weibliche gelesene Personen, aber auch ältere Generationen und Männer sind zahlreich vertreten.

 

Die Ordnerinnen breiten ein violettes Transparent mit 155 Paar Fußspuren in der Menge aus. Es erinnert an die Frauen, die heute nicht mehr hier sein können. Die Fußabdrücke stehen für 155 Femizide in Deutschland im vergangenen Jahr. Diese Zahl sei aber nicht aktuell, betont das Bündnis. Kürzlich veröffentlichte Daten des Bundeskriminalamtes zeigen, dass im vergangenen Jahr 360 Frauen und Mädchen Opfer eines Femizids wurden.

Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu

Der Trend ist besorgniserregend, denn laut den Daten des Bundeskriminalamtes steigt die Zahl der frauenfeindlichen Straftaten in Deutschland. Fast täglich werde demnach in Deutschland eine Frau getötet. Alle drei Minuten werde ein Mann gegenüber einer Frau gewalttätig – und das meist im eigenen zuhause.

Dieser erschreckenden Realität müsse mit gesellschaftlichem Wandel begegnet werden, so das Bündnis 8. März bei der Kundgebung: „Wir brauchen keine Beschützer, sondern Männer, die ihr Rollenbild hinterfragen und an unserer Seite kämpfen“, sagt eine Sprecherin des Bündnisses. Sie appelliert an Männer, ihr Verhalten im Alltag zu reflektieren, denn schon kleine Gesten können für den Alltag der Frauen einen Unterschied machen. „Wechselt nachts die Straßenseite, lacht nicht über sexistische Witze und sprecht eure Freunde auf ihr sexistisches Verhalten an“, fordert sie. Es gehe nicht darum, Frauen zu bevormunden, sondern aktiv Verantwortung für eine gesellschaftliche Veränderung zu übernehmen.

Demonstrationszug durch die Stuttgarter Innenstadt

Nach einigen Redebeiträgen setzen sich die Demonstrierenden langsam in Bewegung. Begleitet von Sprechchören geht es die Eberhardstraße entlang, am Rathaus vorbei in Richtung Schlossplatz. Auch Yeliz und Mascha, zwei Studentinnen aus Stuttgart, sind heute mit ihren Freundinnen zur Demo gekommen. „Ich bin heute hier, weil die patriarchale Gewalt immer weiter zunimmt und ich darauf aufmerksam machen möchte“, sagt die 25-jährige Yeliz. „Ich habe das Gefühl das Männer sich oft von der feministischen Bewegung eingeschüchtert fühlen, was schade ist. Denn auch für sie kann diese Bewegung ja befreiend sein.“

Der Umgang der Gesellschaft mit dem Thema sei unzureichend, finden die beiden: Während in feministischen Kreisen ein klarer Konsens über das Problem bestehe, werde außerhalb kaum darüber gesprochen. Um das zu ändern, sollte man vor allem den Betroffenen zuhören und keine voreiligen Schlüsse ziehen, meinen die beiden Freundinnen. „Es frustriert mich zu sehen, dass in der Politik oft das Thema Gewalt gegen Frauen auf Migration bezogen wird. Das ist einfach falsch. Der Fall von Gisèle Pelicot hat es wieder deutlich gemacht. Es ist kein Migrationsproblem, sondern ein Problem des Patriachats. Jeder Mann kann gewalttätig werden, unabhängig von Alter und Nationalität“, sagt die 22-jährige Studentin Mascha.

Der Fall von Gisèle Pelicot ist vielen Demonstrierenden präsent. Auch Sarah, 27 Jahre alt, trägt ihre Solidarität sichtbar mit sich. Hoch hält sie ein Plakat, auf dem in großen Buchstaben „Je suis Gisèle“ steht. „Viele Frauen, die ich kenne, nimmt das mit. Ich habe den Prozess in Avignon verfolgt und finde Gisèle ist einfach unglaublich stark und inspirierend.“

Taten statt Worte

Der Aktionstag sollte deutlich machen, dass das Schweigen in der Gesellschaft gebrochen werden muss – mit Worten, Taten und nicht zuletzt Lärm. Stuttgart hat am Montagabend ein Zeichen dafür gesetzt, doch die Forderung bleibt klar: mehr Schutz, mehr Aufklärung und konsequentes Handeln gegen Gewalt an Frauen.