Die Leonberger Agenda-Gruppe wünscht sich mehr Kandidatinnen für die Kommunalwahl. Sie fordert auch mehr Gleichberechtigung im Berufsleben.

Ihre Enkeltochter, die heutzutage lernen, studieren und arbeiten darf, was sie gerne möchte, schaut verständnislos, wenn sie von ihrer Großmutter Renate Strauss hört, dass die Gleichberechtigung der Frauen in Deutschland noch nicht erreicht sei. „Im Berufsleben sind wir noch weit davon entfernt“, sagt die 77-jährige Sprecherin der Frauengruppe der Lokalen Agenda in Leonberg, die selbst immer berufstätig war. Auch als ihre Kinder klein waren. Ihrer Zeit ist sie stets voraus gewesen. Den Internationalen Frauentag am 8. März und auch den „Equal Pay Day“ – den Tag der gleichen Bezahlung am 7. März – nimmt die Agenda-Gruppe zum Anlass, die Belange von Frauen sichtbar zu machen. „In der Frauenbewegung hat sich auf dem langen Weg der Gleichstellung schon viel getan, doch das konnte nur erreicht werden, weil sich die Frauen stets dafür einsetzten – und das sollten wir weiterentwickeln“, sagt Strauss.

 

Bis 1958 galt die Hausfrauenehe

Ein kleiner Rückblick: 1918 erhielten alle Frauen in Deutschland das Wahlrecht, die erste Gemeinderätin in Leonberg war 1919 Berta Haffner. Von Gleichberechtigung konnte aber noch lange keine Rede sein. Bis 1958 galt die Hausfrauenehe – selbst studierte Frauen brauchten die Zustimmung ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollten. Im Falle einer Scheidung behielt er die Rechte über ihr Vermögen und die Kinder. Mit dem Gleichberechtigungsgesetz im Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, das 1958 in Kraft trat, durfte die Frau zwar erwerbstätig sein, aber nur, soweit dies mit den Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war.

Erst seit dem Jahr 1977 sind beide Ehegatten berechtigt, erwerbstätig zu sein. Das Gesetz zur Gleichbehandlung von Frauen am Arbeitsplatz wurde 1980 verabschiedet. Doch auch hier gibt es noch Unterschiede. Erst kürzlich hat das Bundesarbeitsgericht Frauen im Streit um gleiche Bezahlung gestärkt. Geklagt hatte eine Frau aus Sachsen, die festgestellt hatte, dass ihre Kollegen deutlich besser bezahlt wurden. Sie bekam Recht: Arbeitgeber dürften höhere Löhne von Männern bei gleicher Arbeit nicht mit deren Verhandlungsgeschick begründen.

Geschlechterspezifischer Verdienstabstand liegt bei 18 Prozent

Dieses Urteil ist ein weiterer kleiner Schritt gegen Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Denn aktuelle Zahlen aus dem Jahr 2022 sprechen noch immer für sich – da lag der geschlechterspezifische Verdienstabstand noch bei 18 Prozent. Deutschland bleibt damit Schlusslicht im europäischen Vergleich. Teilweise lässt sich diese Lohnlücke auf strukturelle Unterschiede zurückführen. Viele Frauen erlernen Berufe, die schlechter bezahlt sind, arbeiten seltener in Führungspositionen und häufiger in Teilzeit oder in Minijobs. „Das sind noch immer 18 Prozent zu viel, aber der Abstand ist in den vergangenen Jahren zumindest schon geringer geworden“, sagt Elke Staubach. Die 62-Jährige aus Leonberg ist ehrenamtlich stark aktiv. Sie ist unter anderem CDU-Fraktionsvorsitzende im Leonberger Gemeinderat und Kreisvorsitzende der Frauen-Union, und sie engagiert sich in der Leonberger Agenda-Arbeitsgruppe „Frauen für Gleichberechtigung“.

Vor allem, wenn Kinder da sind, seien es noch immer zumeist die Frauen, die nur in Teilzeit wieder in den Beruf zurückkehren, „weil den Vätern oft vermittelt wird, Erziehungsurlaub schadet ihrer Karriere, das geht wiederum zu Lasten der Rentenansprüche der Frau“, sagt Renate Strauss. „Die Rollenverteilung sollte nicht mehr so starr sein. Männer und Frauen sollten die Möglichkeit haben, flexibler im Beruf zu sein. Längst haben Männer und Frauen dasselbe Interesse, am Familien- und am Berufsleben teilzunehmen.“ Jetzt müssen die Gesetzgebung dementsprechend angepasst und auch die Kinderbetreuung verbessert werden.

Wenn Elke Staubach, Renate Strauss und deren Agenda-Stellvertreterin Margot Schimke von Gleichberechtigung reden, wollen sie Frauen auch in die politische Pflicht nehmen und sie vor allem im Hinblick auf die Kommunalwahl im nächsten Jahr ermuntern, sich zu engagieren und für den Gemeinderat zu kandidieren. Renate Strauss war vor einigen Jahren für die SPD im Gemeinderat, Margot Schimke für die Grünen. Elke Staubach selbst ist seit 1999 im städtischen Gremium und erhofft sich bei der Wahl im kommenden Jahr frischen Wind. „Der Gemeinderat ist im Durchschnitt zu alt.“ Frauen möchte sie Mut machen, die Lokalpolitik mitzugestalten. „Sie haben einen anderen Blick auf die Themen und können einen wichtigen Teil beitragen, die Stadt lebenswert zu machen.“ Auch wünscht sich Staubach, dass Menschen mit Migrationshintergrund künftig den Weg in das städtische Gremium finden.

Frauen setzten sich für die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten ein

Im Vorfeld der Kommunalwahlen plant die Frauengruppe der Lokalen Agenda am 28. September einen Abend zum Thema „Frauen wählen“. Ein weiteres Ziel ist es, bei der städtischen Verwaltung mit Nachdruck aufmerksam zu machen, die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten wieder zu schaffen – diese wurde im Jahr 2010 gestrichen. „Städte ab einer Einwohnerzahl von 50 000 sind dazu verpflichtet, und wir sind uns sicher, dass wir diese Zahl in naher Zukunft erreichen werden“, sagt Renate Strauss.