Teilzeit und Niedriglohnjobs sind weiblich, sagt eine Gewerkschafterin, und Politikerinnen fordern mehr Geld für die sozialen Berufe. Echte Rebellinnen waren aber andere.

Region: Corinna Meinke (com)

Kreis Göppingen - Das vor 100 Jahren errungene Wahlrecht für Frauen ist beim Frauentag am Donnerstag, 8. März, eines der beherrschenden Themen. Was erreicht wurde und was noch nicht, soll bei einer Kundgebung um 17 Uhr auf dem Göppinger Marktplatz thematisiert werden. Der Frauentag im Kreis beginnt mit einem Frauenfrühstück, zu dem die Göppinger Landfrauen die frühere Kulturstaatssekretärin Marion von Wartenberg (SPD) eingeladen haben, um mit ihr über den langen Weg zur Gleichberechtigung zu diskutieren. Außerdem soll am Frauentag auch wieder gefeiert und getanzt werden. Und bereits am Vorabend geht es im Museum Storchen um Rebellinnen auf zwei Rädern und die befreiende Wirkung des Frauenradfahrens.

 

„Wir müssen für bessere Bezahlung sorgen“

„Gleichstellung heißt Gerechtigkeit“, stellen die Göppinger Bundestagsabgeordnete Heike Baehrens (SPD) und die Vorsitzende des Kreisverbands Göppingen der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) Heide Kottmann in einer gemeinsamen Erklärung zum Internationalen Frauentag fest. Es habe bereits viele Fortschritte der Bemühungen um Gleichstellung gegeben, trotzdem gebe es noch genügend Ziele, die es zu verfolgen gelte.

„Wir müssen in Arbeitsbereichen, die überwiegend von Frauen getragen werden und die auch für uns als Gesamtgesellschaft von großer Bedeutung sind, für eine bessere Bezahlung sorgen. Nur so werden wir dem Fachkräftemangel in sozialen Berufen entgegenwirken können.“ Die Lücke in der Bezahlung von Männern und Frauen wurzele auch darin, dass diese Berufe bisher nicht ausreichend honoriert wurden, erklärt die pflegepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens.

„Teilzeit und Niedriglohnjobs sind weiblich“

Außerdem seien Teilzeit- und Niedriglohnjobs im Kreis Göppingen Frauensache mit einem Anteil von 74 Prozent, heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Als regelrechte Karrierefalle, auf die magere Renten, wenn nicht gar Altersarmut folgten, bezeichnet dies die NGG-Geschäftsführerin für Ulm, Aalen und Göppingen, Karin Brugger.

Die männliche Dominanz in Politik, Wirtschaft, Kultur, Medien, Sport und auch in der Sprache nimmt Heide Kottmann aufs Korn: „Dass wir in einer Gesellschaft leben, die noch immer in sexistischen Strukturen verhaftet ist, lässt sich nicht abstreiten. So sind Frauen in Entscheidungsgremien deutlich unterrepräsentiert.“ Immer noch seien viel zu wenig Frauen in den Parlamenten vertreten. Das gilt auch für den Göppinger Kreistag, in dem von 81 Kreisräten lediglich 19 weiblich sind, und den Göppinger Gemeinderat, wo der Frauenanteil ein knappes Drittel beträgt.

Ein buntes Programm für Mädchen und gestandene Frauen

Um 17 Uhr ruft der Interkulturelle Frauenrat am 8. März zur Kundgebung zum Thema „100 Jahre Frauenwahlrecht“ vor dem Rathaus auf. Tagsüber sind Mädchen von zehn bis 16 Jahren zum Mädchenspektakel in die Stadthalle eingeladen. Am Samstag, 10. März, steigt das Internationale Frauenfest mit Familien um 18.30 Uhr in der Turnhalle Faurndau. Veranstalter sind das Kulturamt, der italienische Elternverein, der albanische Verein, der Migrantinnenverein Göppingen und der Interkulturelle Frauenrat Göppingen. Auf die Spuren der Märklin-Namensgeberin Caroline Märklin begibt sich am Samstag, 14. April, um 14.30 Uhr eine Stadtführung.

Die Eislinger Frauenaktion (Efa) lädt am 8. März von 19.30 Uhr an zum Feiern mit der Band Hitboutique in den Eislinger Adler ein. Das fünfte internationale Eislinger Frauenfrühstück mit kulturellem Rahmenprogramm steigt am Sonntag, 8. April, um 10 Uhr in der Eislinger Stadthalle. Grußworte sprechen die Geislinger Landtagsabgeordnete Nicole Razavi (CDU) und die Eislinger Kulturamtsleiterin Marie-Luise Schäfer

„Sorge um die Gebährfähigkeit“

Göppingen - Als vor gut 100 Jahren die ersten Frauen in die Pedale traten, galt das als unschicklich. Die Professorin für Methodenkompetenz und Geschichte der Sozialen Arbeit, Gudrun Maierhof, die an der Frankfurt University of Applied Sciences lehrt, spricht am heutigen Mittwoch, 19.30 Uhr im Göppinger Museum Storchen über Beschränkungen des Frauenradfahrens.

Frau Maierhof, wer hat den Frauen das Radeln bei uns eigentlich verboten?
Die größten Vorbehalte habe ich in der damaligen medizinischen Fachliteratur gefunden. Ganze Abhandlungen warnten vor der Gefahr weiblicher Onanie auf dem Sattel, und man warf den Frauen vor, ihre Gebärfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Außerdem mache das „Bicycle-Gesicht“ unschön, hieß es. Und ich glaube, die Männer hatten einfach auch Angst, die Frauen würden ihnen davonradeln.
Was ohne passende Kleidung gar nicht ging.
Ja, die Kleidung musste revolutioniert werden. Die ersten Radlerinnen befreiten sich vom strikten viktorianischen Modediktat, das Reifröcke und enge Korsetts vorschrieb, und erfanden die praktischen Pluderhosen, die zum Rock verwandelt werden konnten. Erst das Fahrrad ermöglichte den Frauen, bequeme Kleidung zu tragen.
Dürfen Frauen heute überall Rad fahren?
Nein, in einigen muslimischen Ländern wie in Afghanistan, Saudi-Arabien und dem Iran ist es nicht erlaubt. Dort gelten radelnde Frauen als unkeusch und werden verhaftet, wenn sie sich dem Verbot widersetzen. Rennradfahrerinnen aus Afghanistan versuchen das Verbot zu umgehen und interpretieren zudem die Kleiderregeln neu: Sie fahren mit dem Tschador und tragen spezielle Shirts, die die Handgelenke und den Körper bedecken. Es ist erschütternd, wie sehr sich die Argumente gegen das Frauenradfahren heute und damals ähneln.
Das Gespräch führte Corinna Meinke