Es ist kein Schlussstrich, aber eine Zäsur: Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda wird am Donnerstag sein letztes Urteil verkünden. Es geht um einen Minister, einen der vielen Schreibtischtäter, die beim Genozid von 1994 die Fäden gezogen haben.

Arusha - Ganz weit draußen in der afrikanischen Savanne ist Rechtsgeschichte geschrieben worden. Denn die Stadt Arusha in Tansania, unweit von Serengeti und Kilimandscharo, beherbergt den Internationalen Strafgerichtshof für den Völkermord in Ruanda. Um eine Siegerjustiz zu vermeiden, hatten die UN das Tribunal 1994 bewusst in ein anderes Land verlegt. Gut 18 Jahre lang hat das Gericht gewirkt, am Donnerstag wird es sein letztes Urteil verkünden, Ende des Jahres schließt es seine Pforten. Dann werden zehn Freisprüche und rund 60 Verurteilungen – sowie die am Donnerstag anstehende Entscheidung – gegen die „großen Köpfe“ und Drahtzieher des Völkermordes verkündet worden sein, den Mitglieder der Ethnie der Hutus im Frühjahr 1994 an den Tutsis und moderaten Hutus in Ruanda verübt hatten. 800 000 Menschen starben damals, es war ein Schock für Afrika und die Welt, die dem Treiben tatenlos zusah. Ruandische Minister, Journalisten, Militärs und Beamte sind in Arusha verurteilt worden. Es sind die Weiße-Kragen-Täter, die zum Morden aufstachelten und sich die Hände nicht schmutzig machten.

 

Der aus Togo stammende Roland Amoussouga, Sprecher des Gerichtshofs, war von Anfang an dabei. Wer zu ihm will, trägt sich in ein dickes Buch ein, passiert eine laxe Eingangskontrolle, geht durch ein wuseliges Konferenzgebäude, in dem das hohe Gericht untergebracht ist, und betritt sein Wohnzimmerbüro. Über Jahre haben zwei Dutzend Richter aus aller Welt in Arusha Recht gesprochen, meist getrennt von ihren Familien, denn in Arusha gibt es keine internationale Schule. So hat auch Amoussouga sein Büro vollgehängt mit Fotos seiner in Kanada lebenden Familie.

Staatsanwaltschaft forder lebenslänglich

Als Jurist mit amerikanischem Juraabschluss war er bei den Ermittlungen nach dem Genozid in Ruanda dabei. Einmal sei er in ein Massengrab gestürzt und habe sich verletzt, erzählt Amoussougou. Die grauenhaften Bilder von massakrierten Menschen, zerhackt, am lebendigen Leibe verbrannt, setzten ihm zu. Er habe nach Ruanda ein Jahr kein Fleisch essen können. „Man lebt wie in einem Kokon von Narben und Verwundungen. Diese 18 Jahre, die ich mich mit dem Genozid befasse, sind ein Teil meines Lebens.“

Drei Richter – zufälligerweise alle aus Afrika – werden am Donnerstag eine Entscheidung über den früheren Planungsminister Ruandas, Augustin Ngirabatware (51) fällen, der 1997 in Frankfurt verhaftet worden war. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslänglich für ihn. Wer in der Anklageschrift des Professors für Wirtschaft blättert, den ergreift ein Schaudern. Da ist aufgelistet, wo er sich mit anderen Hutus traf, um Todeslisten zu erstellen. Wie er die Waffenbeschaffung organisierte und Geld an die Killer verteilen ließ, wie er persönlich zum Morden aufstachelte. „Tötet sie in der Pfunda Teefabrik“, soll er dem Mob einmal zugerufen haben. In einem anderen Fall ging ihm das Morden nicht weit genug, er gab Milizionären seinen Autoschlüssel und heischte sie an: „Ihr habt eure Arbeit nicht gemacht!“ Ngirabatware ließ sich oft an den Straßensperren blicken, an einer Barriere namens „Petit Bruxelles“ soll er die Anweisung gegeben haben, ein Tutsi-Mädchen namens Immacule Dusabe zu töten. „Die meisten in Arusha Verurteilten haben nie selbst die Machete geschwungen, sie haben den Genozid organisiert“, sagt Amoussouga.

Für ihn gab es historische Meilensteine des Tribunals: So sei mit dem früheren Premier Jean Kambanda 1998 erstmals ein Staatschef wegen Genozids verurteilt worden – lange, bevor man dem serbischen Kriegsverbrecher Milosevic den Prozess machte. „Das war eine kraftvolle Botschaft an andere Staatschefs, dass sie bei Verbrechen nicht ungeschoren bleiben“, sagt Amoussouga. Wegweisend war auch das erste Urteil von Arusha, gegen den Bürgermeister Jean-Michel Akayezu. Da erfolgte zum ersten Mal ein Urteil wegen der UN-Konvention von 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, zudem wurden Vergewaltigungen als Merkmal des Genozids bewertet. Aufsehen und sogar Kritik aus den USA, wo die Pressefreiheit viel gilt, erregte der Prozess gegen Radio-und Zeitungsjournalisten, die in „Hass-Medien“ zum Morden aufstachelten.

Arusha-Tribunal geht über in eine Art Gericht „für den Rest“

Zu Ruanda stand das Tribunal in einem gespannten Verhältnis. „Wie in einer Ehe gab es Aufs und Abs in der Beziehung zu Ruandas Präsident Kagame“, sagt Amoussouga. Kagame hat oft die Langsamkeit, den finanziellen Aufwand und den geringem Ertrag in Arusha kritisiert. Der Chefankläger des Tribunals, Hassan Yallow, hat gegenüber der BBC die Kosten von Arusha auf 100 Millionen Dollar im Jahr geschätzt, seit seiner Gründung seien eine Milliarde Dollar ausgegeben worden. Jallow begründete dies mit der aufwendigen Verteidigung, jeder Angeklagte habe ein Anwälteteam gehabt. Auch die Logistik sei teuer gewesen: der Tatort sei weit weg, weder die Zeugen noch die Angeklagten seien vor Ort in Arusha, man habe nach ihnen suchen müssen. Die Richter in Arusha sagen, dass auch andere große Prozesse teuer seien: Etwa der gegen den Oklahoma-Bomber oder die Guantánamo-Justiz der USA.

Das Arusha-Tribunal wird nicht ersatzlos abgeschafft, es geht über in einen sogenannten „Internationalen Residualmechanismus“, eine Art Gericht „für den Rest“, das sich um den Zeugenschutz kümmert, um Revisionen und neun noch flüchtige Angeklagte. Einige Fälle hat das Tribunal in den letzten Wochen in die Zuständigkeit Ruandas abgegeben, nicht ohne den kritischen Vermerk, man tue dies „in der Hoffnung“, dass Ruanda die höchsten Standards der internationalen Justiz anwende. Da schwingt Misstrauen mit, denn Ruanda hat bei der Aufarbeitung des Genozids – es ist für „einfache“ Täter zuständig – eine ganz andere Bilanz: 40 000 Angeklagte sind zu Haftstrafen verurteilt worden.