Immer wieder hatten Staaten den Wunsch, einen Gerichtshof zu schaffen, der schwere Völkerrechtsverletzungen ahndet. Erst vor zehn Jahren – am 1. Juli 2002 – war es so weit. Aber nicht alle Länder kooperieren mit dem Gericht.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Den Haag - A
m Anfang stand eine grausame Metzelei, der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. Keine der Kriegsparteien scherte sich um den Schutz der Menschenrechte. Unter dem Eindruck dieser Grausamkeiten gebar Gustave Moynier eine richtungsweisende Idee. Der Mitbegründer des Roten Kreuzes schlug die Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichtes zur Ahndung von Verstößen gegen das Kriegs- und Völkerrecht vor. Doch im Zeitalter des ausgeprägten Souveränitätsdenkens hatte dieser Vorschlag keine Chance.

 

Es mussten erst weitere Infernos die Menschheit heimsuchen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde bei der Friedenskonferenz von Versailles die Gründung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofes vorgeschlagen – auch ohne Erfolg. Dreißig Jahre später waren selbst die Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges nicht Anlass genug, solch eine übergeordnete Institution ins Leben zu rufen. Die Kriegsverbrecher von damals fanden vor den Militärtribunalen in Nürnberg und Tokio ihre Strafe – der Kalte Krieg verhinderte danach den ganz großen Wurf.

Resolutionen zur Einsetzung von Ad-hoc-Tribunalen

Erst Anfang der 90er Jahre kam das Thema wieder auf die Agenda der UN-Generalversammlung. Der Krieg auf dem Balkan mit seinen „ethnischen Säuberungen“ und der bestialische Völkermord in Ruanda schockten die Weltöffentlichkeit. In beiden Fällen wurde mit einer Art Provisorium auf die Gräueltaten reagiert. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete Mitte der 90er Jahre zwei Resolutionen zur Einsetzung von Ad-hoc-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda.

Nun schien die Idee eines Internationalen Strafgerichtshofes greifbar nah. Doch schnell zeichnete sich ein fundamentaler Konflikt ab. Auf der einen Seite standen die Staaten, die einen unabhängigen Gerichtshof wollten, der keine politischen Herren über sich kennt. Dagegen formierte sich eine Front von Ländern, die eine Institution wollten, die dem UN-Sicherheitsrat direkt unterstellt sein sollte, was eine unbefristete Verlängerung der Ad-hoc-Tribunale bedeutet hätte.

USA waren Gegner des Gerichts

Eine zentrale Rolle spielten die USA, die sich zu den größten Gegnern eines unabhängigen Gerichts entwickelten. Zur Begründung verwiesen sie auf ihre Beteiligung an UN-Friedenseinsätzen. Im Klartext: die USA befürchteten eine politisch motivierte Prozesslawine, ausgelöst von „Schurkenstaaten“. Kritiker konterten, dass dies ein durchschaubares Manöver sei. Der Völkerrechtler Francis Boyle erklärte damals mit Verweis auf die US-Interventionen in Grenada und Panama: „In Wirklichkeit soll es der US-Armee und amerikanischen Zivilisten, die offensive illegale Operationen durchführen, weiterhin ermöglicht werden, jeder Gerichtsbarkeit zu entkommen.“ Doch auch die USA konnten trotz massiver Blockadepolitik nicht verhindern, dass im Juli 1998 das Gründungsstatut des Internationalen Strafgerichtshofes angenommen wurde.

Vier Jahre später, am 1. Juli 2002, konnte es in Kraft treten, nachdem 60 Staaten es ratifiziert hatten. Im 21. Jahrhundert sollte die Straflosigkeit von schwersten Menschenrechtsverletzungen ein Ende haben. Dabei ist die Aufgabe des Gerichtshofes mit seinen gut 1000 Mitarbeitern aus mehr als 70 Nationen klar definiert. Die Gerichtsbarkeit ist auf vier besonders schwere Verbrechen beschränkt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Angriffskriege. Auch will das Gericht mit Sitz in Den Haag nicht die nationale Strafgerichtsbarkeit ersetzen. Vielmehr soll die innerstaatliche Gerichtsbarkeit vor allem bei der Verfolgung von Völkerrechtsverbrechen ergänzt werden. Praktisch heißt das, dass der Internationale Strafgerichtshof nur dann tätig werden kann, wenn Staaten nicht willens oder nicht in der Lage sind, eine schwere Straftat ernsthaft zu verfolgen.

Allerdings kämpft das Gericht mit großen Schwierigkeiten. In den zehn Jahren seines Bestehens haben die Richter 23 Haftbefehle ausgesprochen, doch nur sieben Gesuchte konnten inhaftiert werden. Nicht alle Staaten sind gewillt, mit dem Gericht zu kooperieren und mutmaßliche Verbrecher auszuliefern. Erst im Jahr 2009 kam es zur Eröffnung des ersten Hauptverfahrens gegen den ehemaligen kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga. Der Prozess war eine Art Pilotverfahren, in dem die Rechte der Ankläger, Verteidiger und Opfer definiert werden mussten. Am Ende wurde Lubanga wegen der gewaltsamen Rekrutierung von Kindersoldaten schuldig gesprochen. Beobachter halten das Urteil für historisch, zeige es doch, dass sich Kriegsverbrecher nicht mehr sicher fühlen können.