In Buenos Aires beginnt am Samstag die 125. Session des Internationalen Olympischen Komitees. Es stehen wegweisende Entscheidungen auf dem Programm.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Wenn alles wie erwartet, also gut läuft, wird Benedict Rehbein am Montag sagen, dass der 12. Februar 2013 ein guter Tag gewesen ist. An diesem Datum verkündete die Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees den Vorschlag, Ringen von 2020 an aus dem olympischen Programm zu werfen.

 

Das Ende? Der Anfang!

Benedict Rehbein ist Präsident des sächsischen Ringer-Verbandes und der nationale Cheflobbyist der Sportart. Am Tag danach, als er wie die Ringerwelt aus der „Schockstarre“ erwachte, wie er sagt, begann eine im Sport einmalige Mobilisierungskampagne. Der Kampf um die Zukunft begann, in Deutschland angeführt von Rehbein und seinen Mitstreitern. Sie ersannen Ideen, entwarfen Konzepte und vernetzten die einzelnen Aktionen. 100 000 Flyer wurden gedruckt, Postkarten an Abgeordnete geschickt, Prominente wie Franz Beckenbauer wurden für Solidaritätsadressen gewonnen. Gebündelt wurde die Kampagne unter dem Namen „Ringen um Olympia“. Sie war und ist ein Mosaik der weltweiten Bewegung. „Die Welt ist zusammengerückt“, sagt Benedict Rehbein, der aus Filderstadt kommt. Die Rettung aus Filderstadt.

Putin erklärte den Überlebenskampf des Ringens zur Chefsache

Ganz so, zugegeben, ist es nicht. Benedict Rehbein und Co. sind aber Teil einer globalen Empörungswelle, die über das IOC hereinbrach. Angeführt von Russland und den USA ging es seit Februar in die Konfrontation mit dem IOC. Russlands Präsident Wladimir Putin setzte sich persönlich für das Ringen ein und erklärte den Überlebenskampf der jahrtausendealten Sportart zur Chefsache, in den USA meldeten sich der Schriftsteller John Irving und Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld lautstark zu Wort und geißelten das IOC. Und in einer einmaligen sportpolitischen Allianz warben die USA, Russland und der Iran gemeinsam.

Die seit Jahrzehnten in mumifizierter Starre und entsprechender Tatenlosigkeit verharrenden Verbände wurden über Nacht revolutioniert. Der Weltverband Fila bekam einen neuen Präsidenten, ein neues Regelwerk wurde ersonnen, andere Formate und Arten der Präsentation entwickelt. Ein Update. Der Serbe Nenad Lalovic wurde neuer Präsident, die Kampfzeit beträgt nun 2 x 3 Minuten statt 3 x 2, grundsätzlich soll Aktivität stärker belohnt werden. Und so weiter. „Der Staub wurde weggeblasen“, sagt Rehbein. „Reformen waren überfällig.“

Für die morgige Entscheidung wird erwartet, dass Ringen auch 2020 im Programm bleiben wird. Zu groß ist die Lobby der Ringer, zu groß ist wohl auch die Sorge des IOC vor erneut vernichtenden Reaktionen der Öffentlichkeit. Für Squash sieht es also nicht gut aus, für Baseball und die Frauenvariante Softball auch nicht. Ihr Gegner ist zu stark, die politischen Allianzen sind wohl viel zu mächtig.

Ringen gehört dazu – so das öffentliche Urteil

Man muss Ringen nicht mal mögen, und es gibt durchaus viele Menschen, die mit der Disziplin wenig bis nichts anfangen können, was je nach Vorlieben natürlich für einige andere Sportarten im olympischen Programm gilt. Aber wohl noch nie war das öffentliche Urteil über einen Vorschlag des IOC im Februar so einhellig und gleichzeitig so vernichtend.

Ringen gehört zu den Olympischen Spielen wie die fünf Ringe – völlig unabhängig von der subjektiven Zu- oder Abneigung zu dem klassischen Zweikampf. Selbst in der olympischen Hymne taucht der Ringkampf auf.

Es schien so, als spürten die Sportfans weltweit einfach, dass man hier bereit war, den Markenkern Olympias bereitwillig zu opfern. Dass hier eine Entscheidung gefällt wurde, die einfach falsch ist. „Auch Nicht-Ringer haben gesehen, dass es hier um mehr geht als ums Ringen. Um die Idee, wofür Olympia steht“, sagt Rehbein. Der Titel „Ringen um Olympia“ wurde deshalb bewusst doppeldeutig gewählt. Es geht nicht nur um den Kampf der Sportart, sondern sie verknüpften das auch mit dem grundsätzlichen Kampf um den Geist der Spiele. Um die schöne Idee, die hinter diesem Milliardenunternehmen steckt.

Ringen hängt am Tropf des Staates

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass dem IOC ausgerechnet mit dieser absurden Entscheidung etwas Großartiges gelungen ist, etwas fürwahr olympisches. Politisch haben sich kaum für mögliche Allianzen gebildet, das Ringen genoss Beachtung wie seit Jahrzehnten nicht mehr, und zu allem Überfluss hat sich die Sportart zu Reformen entschlossen. Es hat alles falsch und damit alles richtig gemacht.

Ist am Sonntag alles wieder gut?

Nein. Es ist alles besser.

Es sei ein Weckruf gewesen. „Das hätte man aber vielleicht auch anders artikulieren können“, sagt Rehbein. Es ging und es geht noch immer um die Existenz der Sportart. Ringen hängt am Tropf des Staates, ohne die Fördergelder des Bundes gehen die Lichter aus. Und die gibt es nur, wenn es olympisch bleibt. Es hätte also böse enden können, und zumindest theoretisch kann es das natürlich noch immer. Aber wenn jetzt wie erwartet doch alles gut ausgeht, dann, so sagt Rehbein, „war es damals ein guter Tag für das Ringen“.