Beim Internationalen Teletext Art Festival müssen die Besucher ihr Wohnzimmer nicht verlassen. „Stay home!“ lautet das Festival-Motto bis zum 13. September 2015, bei dem der Zuschauer Kunst mit der Fernbedienung abrufen kann.

Stuttgart - An alle Couch-Potatoes: In diesem Monat gibt es die perfekte Ausrede für das gemütliche Herumlümmeln auf dem Sofa und das Spiel mit der TV-Fernbedienung: „Stay home“, so lautet das Motto des Internationalen Teletext Art Festival (ITAF), das bis 13. September 2015 von ARD Text, ORF Teletext, Schweizer Teletext und Arte Teletext direkt in den Wohnzimmern ihres Publikums veranstaltet wird. Dafür brauchen die „Festivalbesucher“ nur ihren Fernseher einzuschalten und mit der Teletext-Nummer 800 die „Extra“-Seite der ARD aufzurufen. Hinter den Seitenzahlen 801 – 834 verbirgt sich eine ganze Kunstgalerie, die durch das Zappen mit der Fernbedienung auf der Mattscheibe des TV-Gerätes flimmert.

 

Teletext kann auch anders als brav und bieder

Kunst und Teletext? Ist das nicht ein Widerspruch? „Nein“, meint die Leiterin des ORF Teletext-Service, Julia Gessl. „Mit dem Kunstfestival wollen wir beweisen, dass Teletext nicht brav und bieder ist, sondern auch spannend sein kann.“ Insgesamt 15 internationale Künstler und Künstlergruppen nehmen an dem Wettbewerb um den „Teletext Prize 2015“ teil. Ihre Beiträge werden nicht nur von den Fernsehsendern, sondern auch beim Ars Electronica Festival präsentiert. Diese bekannte Fachmesse zum Thema Kunst, Technologie und Gesellschaft findet vom 3. bis 7. September im österreichischen Linz statt.

Im Rahmen des International Teletext Art Festivals können die Zuschauer vor dem Fernseher nicht nur bisher unbekannte Aspekte dieses Mediums erforschen, sondern auch für ihr Lieblingsbild abstimmen. Zusätzlich wird die Kreativität des Publikums mit dem Hochladen von Zuschauerfotos auf einem Tumblr-Fotoblog gefordert.

24 Zeilen, 40 Spalten als Vorgaben für die Kunstwerke

Kreativität kennt keine Grenzen, die Darstellung einer Teletext-Seite dagegen schon. Anfang der 70er Jahre entdeckten englische Fernsehtechniker der BBC, dass bei der Übertragung eines Fernsehbildes mit 625 Bildzeilen nur 576 Bildzeilen genutzt werden. Während sich der Fernseher auf den Empfang des nächsten TV-Bildes vorbereitet, entsteht eine „Austastlücke“, die mit zusätzlichen Informationsseiten vom Fernsehsender befüllt werden kann. Nach der Programmwahl ruft der Zuschauer durch die Eingabe eines dreistelligen Code die einzelnen Seite oder Tafeln über die Fernbedienung ab und erhält Daten über das Wetter, das Fernsehprogramm oder Sportergebnisse. „Fußballfans nutzen unser Telextext-Angebot, weil sie unter der Nummer 210 auf Anhieb die aktuellen Bundesliga-Tore finden“, sagt Julia Gessl von ORF Teletext.

Die technischen Vorgaben dieses Mediums beschränken dabei die Darstellung jeder Seite auf 24 Zeilen mit 40 Spalten. Nur sechs Farben plus weiß und schwarz sind auswählbar, die Grafik basiert auf einem fest gelegten Bildformat und einer fixen Anzahl von Pixeln. Vorgaben, die auch die 15 Künstler bei der Konzeption ihres Kunstwerkes für das ITAF beachten mussten. „Mit den begrenzten Möglichkeiten klarzukommen war eine der Herausforderungen für die Teilnehmer“, erklärt Joachim Kotelmann, der stellvertretende Redaktionsleiter von ARD Text. Umso mehr beeindrucken die unterschiedlichen Lösungsansätze der digitalen Szene: „Es ist schon erstaunlich, wie spielerisch mit der engen Bildschirmfläche umgegangen wird“, findet Kotelmann.

Retro-Interesse geweckt

Statt der großen Schrift ohne Kurven findet man nun auf den Teletext-Seiten des ITAF eine Pixel-Maus, winkende Hände, illustrierte Geschichten, Wildschweinschädel oder auch die farbigen Darstellungen des Malers und Bildhauers Holger Lippmann: „Ich wollte Motive aus der Natur auf der Ebene des Teletext transparent machen“, erklärt er seine landschaftsähnlichen Kunstbeiträge. Keine leichte Aufgabe – auch für einen erfahrenden Pionier der Netzkunst wie Lippmann nicht – vor allem deshalb, weil der Künstler seit Jahren kein Fernsehgerät mehr besitzt: „Der Reiz zur Teilnahme an dem Festival stand für mich auch unter dem Vorzeichen des allgemeinen Retro-Interesses in der Medien-Branche“, sagt Lippmann.

Bei ARD-Text über vier Millionen Teletext-Nutzer täglich

Retro und Teletext – diese Verbindung hören die Vertreter der Fernsehsender nur ungern: „Über vier Millionen Mal werden die ARD-Text-Seiten aufgerufen“, sagt Joachim Kotelmann. Schneller als eine Internetseite aufgebaut sei, erhalten Nutzer eine Übersicht über das Weltgeschehen, wenn sie nur drei Zahlen auf der Fernbedienung eintippen. ARD Text ist dank moderner Technik sowohl mobil als auch für HbbTV-Geräte abrufbar – allerdings immer noch mit dem vertrauten Seitenaufbau.

Dass die Fernsehzuschauer das Angebot zu schätzen wissen, erfahre die Redaktion der ARD auch durch die vielfältigen Reaktionen der Zuschauer bei solche Aktionen, wie jetzt beim Zuschauer-Fotoshooting der Teletext-Kunstwerke auf dem Tumblr-Fotoblog. Zuschauer Axel beispielsweise zeichnet den Kunstbeitrag seines Teletext-Lieblingskünstler ab und klebt das selbst gemalte Bild an die Mattscheibe seines Fernsehers. Die Komposition von Original und Kopie wird fotografiert und im Fotoblog hochgeladen. Schon ist aus einem Couch-Potato ein Künstler geworden.