Dirk Notheis war beim umstrittenen EnBW-Deal weit mehr als nur Berater. Der Investmentbanker schrieb das Drehbuch, nach dem Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus agierte. Das beweisen interne Mails.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Frankfurter PR-Berater, die den EnBW-Rückkauf vermarkten sollten, baten dringend um eine Sprachregelung. „Was antworten wir auf die Frage, wer den Deal eingefädelt hat?“, erkundigten sie sich bei Dirk Notheis, dem Deutschlandchef der Investmentbank Morgan Stanley. „Der MP natürlich“, also Ministerpräsident Stefan Mappus, schrieb Notheis per Mail zurück, keine 48 Stunden vor dem Abschluss des Milliardengeschäfts. So klar war das offenbar nicht.

 

Auch sonst zeigte sich der Banker darauf bedacht, möglichst im Hintergrund zu bleiben. Wie Mappus reagieren solle, wenn er nach seinen Beratern gefragt werde? „Würde ich nicht beantworten“, empfahl Notheis seinem Freund aus gemeinsamen Tagen bei der Jungen Union. „Wenn gar nicht anders möglich“, solle der auf die „hervorragende“ Anwaltskanzlei Gleiss Lutz verweisen. Über die anfallenden Honorare dürfe er aus Gründen der Vertraulichkeit ohnehin nichts sagen – also auch nichts über jene 12,8 Millionen Euro zuzüglich Mehrwertsteuer, die Morgan Stanley für den EnBW-Deal kassierte.

EdF-Manager sieht Notheis als treibende Kraft

Die beiden Mails stammen aus drei Aktenordnern mit internem Schriftverkehr, die die Investmentbank dem Untersuchungsausschuss des Landtags nachträglich zur Verfügung gestellt hat. Rechtzeitig vor der Zeugenaussage weiterer Mitarbeiter an diesem Freitag macht sie damit offenbar reinen Tisch. Für ihren Deutschland-Statthalter Notheis, dessen Job bisher nicht gefährdet schien, ist das mindestens so unangenehm wie für seinen derzeit arbeitslosen Kumpel Stefan Mappus. Denn die Korrespondenz bestätigt jenen Eindruck, den ein beteiligter Manager der Électricité de France (EdF) bereits kurz nach dem Deal der StZ geschildert hatte: Treibende Kraft bei dem Milliardengeschäft sei der Investmentbanker gewesen, seinen Freund aus der Politik habe er dafür „benutzt“. Mappus hoffte freilich genauso zu profitieren, der Coup sollte für ihn zum Befreiungsschlag werden.

Notheis’ Rolle, das zeigen die Mails, ging weit über die des Investmentbankers hinaus. Er war der Regisseur des Deals, er schrieb das Drehbuch, er kümmerte sich auch um die politische Strategie. Mappus hingegen erscheint als williger Lehrling des großen Meisters, ja sogar fast als Sprechpuppe, die vorformulierte Sätze aufsagen darf. Manchmal fragt er nach, wenn er etwas nicht recht verstanden hat, sonst fallen seine Erwiderungen knapp aus. „Top, LG (liebe Grüße, d. Red.), sm“, heißt es da etwa. Der sonst so Misstrauische hat offenbar grenzenloses Vertrauen in seinen Freund.

Ein Drehbuch für die Pressekonferenz

Im Flugzeug nach New York, zum Beispiel, entwirft Notheis schon früh das „Skript“ für die Pressekonferenz. „Sie werden mir recht geben, den Deal hätte auch die ,schwäbische Hausfrau‘ gemacht, wenn sie es denn könnte“, soll Mappus sagen. Fast wortgleich kommt die Passage später in einem Interview. Detailliert wird dem Ministerpräsidenten vorgegeben, wen er wann und wie einbinden soll – etwa den früheren EnBW-Chef Gerhard Goll: „Auch wenn Du Dich über ihn geärgert hast, musst Du ihn anrufen. Du brauchst Goll, nicht Groll!“ Als Lockmittel für die FDP („So ein Deal ist nicht ganz einfach für Ordoliberale“) empfiehlt der Banker einen Aufsichtsratsposten für Wirtschaftsminister Ernst Pfister, den er „Pfisterer“ nennt. „Das nimmt er bestimmt gerne an, zumal er aus der Politik ausscheidet.“ Dann nämlich muss er die etwa 50 000 Euro Vergütung nicht mehr ans Land abliefern. Dem für die Freigabe der Milliarden benötigten Finanzminister Willi Stächele (CDU) misstraut Notheis offenbar noch mehr als Mappus. „Wenn Du ihn am Montag morgen in den Griff bekommst, dann würde ich ihn doch nicht vorab informieren“, rät er ihm. Das Ergebnis ist bekannt: Stächele wird am Vorabend nach 23 Uhr eingeweiht.

Die Medien soll Mappus mit einem renommierten Experten beeindrucken, „der das Ganze gut findet“ und als „moderne Industriepolitik“ lobt. „Es sollte jemand sein, der Dir einen Gefallen schuldet bzw. den Du gut kennst . . .“, empfiehlt Notheis – etwa der Mannheimer Professor Wolfgang Franz. Seine „moderne Industriepolitik“ muss der Premier später freilich selber loben, in der Fachwelt erntet er mit dem Deal eher Kopfschütteln bis Entsetzen. Auch die Medienberater der Agentur Hering Schuppener bringt der Banker ins Spiel. Sie würden der Geschichte für die Wirtschaftsblätter den richtigen Dreh geben „und Dich aufs Titelblatt bringen“. Dort landete er tatsächlich, aber ganz anders als gedacht.

Mappus soll vorlesen, was ihm aufgeschrieben wurde

Für die auf Englisch geführte Telefonkonferenz mit den Franzosen wird Mappus Wort für Wort präpariert. „Du solltest nach Aufforderung durch mich dann . . . Folgendes ausführen“, schreibt ihm Notheis. Nach der Antwort des EdF-Chefs Henri Proglio soll der Premier zum Preis kommen: „Can you confirm that we have a deal at 39,9?“ Jene 39,90 Euro sind der Buchwert, mit dem die Beteiligung in Paris in den Büchern steht; Notheis hat ihn sich vom französischen Morgan-Stanley-Chef René Proglio, dem Zwillingsbruder des Konzernchefs, ermitteln lassen. Bei 40 Euro wird man handelseinig, von den angeblich folgenden, harten Preisverhandlungen ist in den Mails keine Rede mehr.

Die EdF ist ohnehin bestens bedient, findet Notheis. 40 Euro je Aktie seien „mehr als üppig, wie wir beide wissen“, schreibt er an René Proglio. Der soll seinen Bruder davon abhalten, seinerseits eine Investmentbank einzuschalten, was die Dinge nur unnötig komplizieren würde. Noch massiver warnt Notheis später den Ministerpräsidenten davor, den Kaufpreis im Nachhinein von anderen Banken überprüfen zu lassen. Zahlreiche Institute würden ihm eine solche „Fairness opinion“ anbieten – neben der Deutschen Bank sicher auch zwei mit Baden-Württembergern als Fürsprechern: Rothschild mit dem Ex-Daimler-Manager Klaus Mangold und Merril Lynch mit Lothar Späth. „Du musst das alles ablehnen“, beschwört er ihn. Sonst komme „erheblich Sand ins Getriebe, und das kann ich jetzt nicht gebrauchen“.

Zentrale Rolle von Proglios Zwillingsbruder

Der Proglio-Zwilling spielte bei dem „Tandem-Deal“ (Notheis) offenkundig eine größere Rolle als bisher eingeräumt. Er vermittelte nicht nur zu seinem Bruder Henri, sondern wird auch alarmiert („My friend, need your help“), als die EdF-Anwälte sich Sorgen wegen der Ausschaltung des Landtags machen. Noch nie in der fünfzigjährigen Geschichte Baden-Württembergs, versucht Notheis zu beruhigen, habe sich das Parlament nach einem Kabinettsbeschluss quergestellt; dessen Plazet sei eine „reine Formalie“. Schließlich habe Mappus „seine politische Zukunft mit dem Deal verknüpft“. Später schlägt er dann drohende Töne an. Wenn die Franzosen weiter Schwierigkeiten machen, könne er „für nichts garantieren“. Mappus werde notfalls auch Angela Merkel einschalten, die direkt im Elysée-Palast anrufen werde – also dem Amtssitz von Staatspräsident Nicolas Sarkozy. „Unterschätze nicht die Macht dieses Kerls“, schreibt er René Proglio, auf dass dieser wohl seinen Bruder Henri beeindrucke; der Ministerpräsident kontrolliere 30 Prozent der Parteitagsdelegierten „und kann Angela mit seinen Truppen fertigmachen“.

Einige Tage zuvor hatte Notheis der Kanzlerin noch eine andere Aufgabe zugedacht: Um einen gemeinsamen Auftritt mit Sarkozy solle Mappus sich entweder bei Henri Proglio bemühen. „Oder Du fragst Mutti, ob sie Dir das arrangieren kann.“ Das Treffen kommt nie zustande, aber der Präsident wird auf den letzten Metern doch noch benötigt, um den Widerstand eines Ministers zu brechen. Ein „französischer Schluckauf“ habe „Sarkos Eingreifen“ erfordert, meldet ein Notheis-Vertrauter später dem Team. Nun sei aber alles klar.

„Wir sagen, es gab monatelange Verhandlungen“

Die Freude währte bekanntlich nur kurz. Mappus und Notheis geraten in der Folgezeit zusehends in die Defensive, ihre sorgfältig gestrickte Legende gerät schwer ins Wanken. Vor einem Hintergrundgespräch mit Journalisten stimmt sich der Banker Anfang Januar 2011 noch einmal mit dem Politiker ab. Bereits im Juni, so ihre Version, habe der Regierungschef den ersten Kontakt mit Proglio gehabt und dann ihn angesprochen. „Dann können wir sagen, dass es eben monatelange Verhandlungen gegeben hat.“ Mappus ist einverstanden. Die Medien lassen sich indes nicht so leicht auf den Leim führen. „Heute wieder Scheiß-Artikel in Sachen EnBW“, lamentiert Mappus vier Wochen vor der Wahl. Ob Notheis die Rechnung nicht so stellen könne, dass die Millionen erst danach fällig würden? „Für Dich mach ich doch alles“, mailt sein Freund Dirk samt Smiley zurück. Mappus erwidert launig: „Falls die Kohle nicht mehr reicht, ich spendier im Stami warmes Essen und warme Getränke . . .“