Die Mitglieder von Anonymous und LulzSec hacken sich in Firmenserver ein und gehen gegen Gesetzesvorhaben auf die Straße. Aber die beiden Gruppierungen sind schwer zu fassen. Zwei Bücher geben nun einen Einblick in die Netzwerke.

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Stuttgart - Noch nichts vor am Wochenende? Manchmal kommt ein europaweiter Aktionstag wie am vergangenen Samstag gerade recht. Einige Bürgerrechtsorganisationen und das lose Netzwerk Anonymous hatten dazu aufgerufen, gegen das sich in der Entwicklung befindende und umstrittene Überwachungs-Projekt Indect der Europäischen Union zu protestieren (die StZ berichtete).

 

Anonymous ist schwer greifbar. Anonymous ist weder ein Verein noch eine Partei, man muss der Gruppierung nicht beitreten. In den Anfängen eher als Spaßguerilla gedacht, wurden die Aktionen spätestens mit dem Kampf gegen Scientology im Jahr 2008 politischer. Man kann sich entscheiden, einfach nur ein paar Stunden lang Teil dieser Bewegung zu werden, indem man sich aktiv an einer Protestaktion beteiligt. Schon kurze Zeit später kann man wieder in seinen Alltag zurückkehren.

Von lustigen Streichen zu politischen Aktionen

Oberstes Gebot ist, seinen wahren Namen niemals und ohnehin so wenig wie möglich von seiner Identität preiszugeben. Die Nähe zu der Enthüllungsplattform Wikileaks ist kein Zufall. Ein Motto von Anonymous lautet: „Sprich nicht darüber, enthülle nie deine wahre Identität und greife die Medien nicht an.“ Oft geben die Anons – so nennen sich die aktiven Unterstützer von Anonymous – nicht einmal ihren „Wohnort“ in den einschlägigen Internetkanälen bekannt. Daher trifft man bei den Aktionen von Anonymous, wie sie erst am vergangenen Wochenende wieder in zahlreichen europäischen Städten stattgefunden haben, auch fast immer nur maskierte Menschen. Am beliebtesten ist die Guy-Fawkes-Maske, die mittlerweile neben dem kopflosen Anzugträger als Erkennungszeichen gilt.

Doch wer steckt nun hinter den oft politisch motivierten Hacktivisten, wer könnte Anonymous gegründet haben? Wer sind deren Köpfe? Diesen Fragen sind sowohl die Autorin Parmy Olson als auch das Autorentrio aus der „Spiegel-Online“-Redaktion Lischka, Reißmann und Stöcker nachgegangen. Beide Bücher „Inside Anonymous“ und „We are Anonymous“ sind neben anderen Titeln, die sich diesem Phänomen annähern wollen, kürzlich auf dem deutschen Buchmarkt erschienen.

Während Parmy Olson, die Londoner Büroleiterin des US-Magazins „Forbes“, den Einblick in das Kollektiv beinahe in Form eines packenden Krimis gewährt, bleiben die Autoren des Netzwelt-Ressorts von „Spiegel-Online“ eher sachlich. Dafür erfährt man insgesamt mehr Fakten und Hintergründe als bei Olson.

Die Geschichte liest sich wie ein Krimi

Die Journalistin Olson hat ein Jahr recherchiert, sich an den einschlägigen Chats unter „4chan/b/“, der Online-Heimat von Anonymous, beteiligt und sich mit einigen Hackern und Aktivisten mehrfach persönlich getroffen. Dabei ist sie nah an einige Personen herangekommen. Besonders engen Kontakt hat sie zu der im Mai 2011 aus Anonymous als Abspaltung hervorgegangen Gruppe LulzSec – was für Lulz Security steht und frei übersetzt etwa „lachhafte Sicherheit“ bedeutet – aufgebaut. Sie waren es, die in die Netzwerke von Sony, des Fernsehsenders Fox und in verschiedene Videospielserver eingebrochen sind.

Die Nähe zu LulzSec ist aber einer der Schwachpunkte des Buches. Zum einen liegt der Fokus dadurch eben gerade nicht bei Anonymous. Zum anderen wird man beim Lesen den Verdacht nicht los, dass der Autorin die Distanz zu ihren Protagonisten womöglich abhandengekommen ist.

Gleich zu Beginn des spannend geschriebenen Buches wird Aaron Barr vorgestellt, der Manager einer IT-Sicherheitsfirma, der es wagt, sich den Hackern an die Fersen zu heften und dabei ganz böse auf die Nase fällt. Er kommt wirklich schlecht weg. Dass es kein Spaß sein würde, es mit Anonymous aufzunehmen, dessen schien sich der Familienvater Barr durchaus bewusst zu sein. Etwas wirklich Schlimmes befürchtete der wohl etwas zu blauäugige Manager jedoch nicht.

Ein Manager legt sich mit Anonymous an

Olson beschreibt im Detail, wie sich Barr über Monate den Aktivisten im Chat annäherte, sich als einer von ihnen ausgab, während er zeitgleich einen Vortrag darüber vorbereitete, um als IT-Sicherheitsexperte endlich groß herauszukommen. Wenn ein Anonymous-Anhänger sich aus dem Chat verabschiedete, wechselte Barr sofort auf Facebook, um auf diese Weise dessen wahre Identität herauszufinden. Schon bald aber sollte er Opfer seiner Naivität werden. Anhänger von Anonymous knackten seine Mailkonten, seinen Twitter- und Facebook-Zugang. Unvorsichtigerweise verwendete Barr immer das gleiche Passwort. Auch die Homepage seiner Firma wurde gekapert. Ein Link führte von dort zum kompletten E-Mail-Verkehr des Unternehmens. Aaron Barr hatte seine Lektion bekommen.

Es mag sein, dass Olsons Kontaktpersonen keine Spielchen trieben, ehrlich Rede und Antwort standen. Ganz glauben mag man es jedoch nicht. Wenngleich sie in ihrer Danksagung erwähnt, dass vor allem die Hacker nicht gerade entgegenkommend und ehrlich waren. Denn genau das ist Anonymous: eine Gruppe von Menschen, die sich immer wieder Aktionen ausdenkt, um Politik und Wirtschaft zu entlarven, einzelne Personen aufs Glatteis zu führen und Missstände in der Gesellschaft aufzudecken. Die wenigsten sind echte Hacker. Eines leistet das Buch von Parmy Olson aber ganz gewiss: spannende Unterhaltung und das Gefühl, hautnah an einigen Anons dran zu sein.

Faktenreich und zum Nachschlagen geeignet

Das Buch der „Spiegel-Online“-Redakteure Ole Reißmann, Christian Stöcker und Konrad Lischka wirkt dagegen wie eine Fleißarbeit. Es ist faktenreich und beleuchtet umfassend das, was die Anonymen und Maskierten antreibt. Die vielen Kapitel sind ordentlich recherchiert, die Autoren haben sich umfassend auf „4chan“, dem Forum der Anons, herumgetrieben. Das Buch ist eine Fundgrube und ein Nachschlagewerk für alle, die sich intensiver mit Anonymous beschäftigen möchten, wenn auch das Glossar ausführlicher sein könnte. Als Urlaubslektüre ist das Taschenbuch im Gegensatz zum Olson-Schmöker weniger geeignet. Dennoch lohnt ein genauer Blick in das Buch. Das Buch des „Spiegel-Online“-Trios setzt ein tiefes Interesse an Anonymous voraus. Es enthält weit mehr Informationen als das Buch von Olson, jedoch um den Preis der Lesbarkeit.