Die Stars des Videoportals werden von Film- und Fernsehleuten umworben, sorgen sich aber um ihre Unabhängigkeit.

Stuttgart - Ausgerechnet Otto. Der berühmte Komiker. Sein großes Idol. Torge Oelrich sagt, er sei aus allen Wolken gefallen, als sich der Kollege via Facebook bei ihm meldete. Er liebe die Videos, die Oelrich, 26, alias Freshtorge jede Woche auf seinem eigenen Youtube-Kanal „Freshhaltefolie“ hochlade, schrieb Otto Waalkes. Sketche über eine hirnamputierte 16-Jährige namens Sandra und andere nervende Pennäler. Ob sie nicht mal einen Film zusammendrehen wollten?

 

Waalkes meinte es tatsächlich ernst. Gerade stehen die beiden Nordlichter als Darsteller einer Kino-Komödie vor der Kamera. Der Film heißt „Kartoffelsalat“, und er spielt dort, wo sich Oelrich besser auskennt als sein 66-jähriger Mentor: in der Schule. Er arbeitet dort immer noch als Erzieher.

Es ist sein erster großer Film, er hat das Drehbuch geschrieben, und wenn der Film am 23. Juli startet, werden wohl nicht nur viele der 1,36 Millionen Abonnenten seines YouTube-Kanals in die Kinos strömen, sondern auch Fans von Otto. Der ewige Kindskopf, Regisseur solcher Blockbuster wie „7 Zwerge - Männer allein im Wald“, produziert den Film. Das nennt man Cross-Promotion.

Wandlung hin zum Massenmedium

YouTube wird erwachsen. Gerade mal zehn Jahre alt, vollzieht die Webvideo-Plattform des Suchmaschinen-Betreibers Google eine Verwandlung, weg vom Spartensender, hin zum Massenmedium. Ab dem kommenden Jahr sollen die Abrufzahlen bei der Quotenmessung berücksichtig werden. Das heißt, die Werbewirtschaft wird die jungen User als Zielgruppe sehr genau im Blick haben.

Freshtorge ist kein Einzelfall. YouTuber mit hohen Klickzahlen werden momentan heftig vom Kino und Fernsehen umworben. Siehe auch die Lochis. So nennen sich 15-jährige Zwillinge, die Hits aus den Charts mit eigenen Texten über nervige Lehrer und „Nix-Checker“ unterlegen. Jetzt drehen sie ihren ersten Kinofilm, mit freundlicher Unterstützung der Neuen Constantin Film AG („Fuck Ju Göhte“).

Er heißt „Bruder vor Luder“, und fragt man Torsten Koch, den Filmverleih-Chef der Constantin, was denn pubertierende Teenager zu Hoffnungsträgern des Films mache, schwärmt er vom kreativen Potenzial der Selfmade-Stars. Davon, dass sie genau wüssten, was ihre Fans wollten.

Einkllauf von Know-how

Der Medienwissenschaftler und Video-Experte Bertram Gugel formuliert es präziser. „Die Talente sind einerseits wegen ihrer Reichweite interessant“, sagt er. Überdies wüssten sie am besten, wie sich ihre Arbeit im Social-Web vermarkten lasse. „Genau dieses Know-how kaufen sich Sender und Produzenten ein.“ Ohne Reibungen geht das nicht. Denn die wachsende Kommerzialisierung der Szene ist das eine, die Angst der Künstler vor Vereinnahmung das andere. Es entbehrt nicht der Ironie, dass jetzt Youtuber wie Florian Mundt alias LeFloid um ihre Freiheit bangen. Und sie meinen damit nicht nur die Geldgeber, sondern auch ihre Fans.

Stars und Konsumenten verbindet eine symbiotische Beziehung. Das liegt in der Natur des Mediums. Künstler, Regisseur, Produzent: Der YouTuber ist alles in einer Person. Er ist mit seinen Fans groß geworden. Für seine Anhänger ist er Vorbild und virtueller Buddy zugleich.

Entsprechend hysterisch reagieren die Fans, wenn sie ihren Idolen im richtigen Leben begegnen. Und für viele erfolgreiche YouTuber wird das zur Belastung. Sie wollen keine Stars sein, aber auch nicht Freude ihrer Fans, sondern . . . ja, irgendwas dazwischen.

TV-Karriere ist nicht das Ziel

So jedenfalls hört man es aus dem Kreis des Vereins 301plus. Florian Mundt alias LeFloid hat ihn Ende 2014 zusammen mit Kollegen in Berlin gegründet. „Wir sind ein Freundeskreis, keine Crosspromomaschine“, heißt es auf der Homepage. Ein Raum für Kreative, die den Spirit vermissten, als „YouTuber noch Macher waren, nicht Stars.“

Es ist der hilflose Versuch, die Geister zu stoppen, die sie selber riefen. Denn auch das Fernsehen hat die Alrounder entdeckt. Noch jammern Sender zwar, die digital natives schauten kaum noch fern. Sie zappten sich lieber mit dem Smartphone durchs Programm von YouTube. Nachrichten als Stand-up-Comedy. Pannenvideos. Beauty- oder Videogame-Tipps. Doch längst haben TV-Sender wie Pro Sieben und Sat 1 das kommerzielle Potenzial der Do-it-yourself-Stars erkannt. In Berlin unterstützt ihre Tochterfirma „Studio 71“ Profis und Amateure bei ihrer Arbeit. Pressesprecher Matthias Bohlig sagt, derzeit fokussierten sich die meisten Youtuber auf das Internet.

Doch eine reine TV-Karriere sei auch nicht das vorrangige Ziel von „Studio 71“. Vielmehr arbeite man daran, Synergie-Effekte zu bündeln und Internet und TV noch enger als bisher zu verzahnen. Wie das funktioniert, zeigte ein Werbespot, den YouTuber wie der Video-Gamer Gronkh neulich für Stefan Raabs „Wok-WM“ (Pro Sieben) drehten. Der Clip lief im Internet und im Fernsehen. Mit Erfolg. Bei den 14- bis 29-jährigen Zuschauern ging die Quote um drei Prozent nach oben, heißt es in Berlin.

Verzerrter Ton ist ein No-Go

Überhaupt: Berlin. Neben Köln wird die Hauptstadt für die YouTuber immer wichtiger. Am 1. und 2. Mai finden hier zum ersten Mal die VideoDays statt, das Gipfeltreffen der Branche. Ein Pflichttermin für TV-Bosse, Kinoproduzenten und Fans. Überhaupt: Berlin. Nach der Filmfirma Ufa („Ufa-Lab“) und dem „Studio 71“ markiert demnächst auch YouTube das Revier mit einem eigenen Studio. Profis helfen Anfängern, sich zu professionalisieren.

Unscharfe Bilder oder ein verzerrter Ton seien schon lange ein No-Go, sagt die Videogamerin Sabrina Strehse alias Bina Bianca. 19 000 Fans haben ihren gleichnamigen Kanal abonniert, auf dem sie Songs und selbst komponierte Melodien für Videospiele hochlädt. Das ist zu u wenig, um von der vorgeschalteten Werbung zu leben. Trotzdem hat ihr dieses Hobby nach dem Studium eine Tür ins Berufsleben geöffnet.

Für „Studio 71“ berät die Mittzwanzigerin Newcomer. Nebenbei moderiert sie auch eine Sendung mit News aus der Webwelt. Für Strehse ist das der Jackpot. Schließlich, sagt sie mit Blick auf Überflieger wie Freshtorge, werde es für Anfänger immer schwieriger, sich eine Nische in dem Kanal zu erobern. Kandidaten, die sich mit dem Berufswunsch „YouTuber“ vorstellten, rate sie deshalb: „Mach erstmal ne Ausbildung.“