Im Internet brodelt es, weil der neueste Film mit Scarlett Johansson in Deutschland nur auf DVD erscheinen soll. Filmkritiker und Cineasten proben den Aufstand gegen die Zwänge des Marktes.

Stuttgart - Freundliche Worte sind das nicht, mit denen da die deutsche Kinolandschaft und das Gros der deutschen Filmkritik gleich mit beschrieben werden. Von der „Unterwerfung unter Marktlogik, Zielgruppenrelevanz und politische Interessen“ ist da die Rede, von „ideeller Anpassung“, von der „Förderung von Unwissenheit“ und „Ablösung des eigenständigen Denkens durch Reflexe“. Die Zitate stammen aus einem „Flugblatt für aktivistische Filmkritik“, das am Rand der am Dienstag zu Ende gegangenen 60. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen entstanden ist.

 

Die Wutschrift mag bescheiden tituliert sein, aber die Verfasser hoffen natürlich, dass sie ähnliche Langzeitwirkung entfalten wird wie jenes legendäre Oberhausener Manifest, in dem junge deutsche Filmemacher 1962 mit dem behäbigen Amüsierkino brachen und die Ära des kämpferischen Autorenfilms in Deutschland einleiteten. Die Verfasser und die Erstunterzeichner des beim Verband der deutschen Filmkritik nachzulesenden Textes (www.vdfk.de) gehören zu jenen Autoren, die im Netz schon lange Gegengewichte zu einer rein serviceorientierten, den Spaß- oder Herz-Schmerzfaktor messenden Filmkritik schaffen: Frédéric Jaeger von critic.de etwa und Joachim Kurz von kino-zeit.de.

In seinem Bericht über Oberhausen auf critic.de beschreibt Jaeger die Stimmungslage, aus der heraus das Flugblatt entstand. „Ich vernehme ein Rumoren“, kündigt er hoffnungsvoll an, „ein sich im Netz formierendes Bewusstsein für die Limitierungen, denen der deutsche Kinomarkt unterworfen ist.“ Nun kann man zwar jederzeit viel Meckern über das Angebot auf deutschen Leinwänden lesen, aber gerade geschieht tatsächlich etwas Interessantes. Ein paar Cineasten versuchen, über das Netz und die sozialen Medien Druck aufzubauen, um andere Filme an den Start zu bekommen.

Ein Kindostart ist für die Verleihfirma zu riskant

Konkret geht es zunächst um „Under the Skin“, den neuesten Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer. Dessen Name dürfte nicht vielen Kinogängern etwas sagen, jener der Hauptdarstellerin aber sehr wohl: Scarlett Johansson. Der Star aus Hollywood soll hier eine große Leistung abliefern, schwärmen Kritiker in den USA, das ganze Werk sei brillante Science Fiction. Bis vor kurzem hatte der Senator-Filmverleih auch durchaus vor, Glazers Film im Kino zu starten. Aber die Firma steckt in finanziellen Schwierigkeiten, sie muss ihre nächsten Investitionen scharf kalkulieren. Ein Kinostart von „Under the Skin“ erscheint ihr zu riskant, er soll nun auf DVD vermarktet werden.

Das ist längst kein ungewöhnlicher Vorgang mehr, aber er fand ein ungewöhnliches Echo. Auf der Facebook-Seite „Under the Skin im dt. Kino, jetzt“ finden jene zusammen, die mehr als einen Heimkinostart wollen. Netzpublizisten wie Sebastian Selig und Rochus Wolff nehmen Senator unter Beschuss, vom Vorenthalten des Films ist die Rede und von Verramschung.

Manchem Old-School-Cineasten mag da das Herz aufgehen. Gerade haben der Gerätehersteller Samsung und der Video-on-Demand-Service Maxdome die baldige Bereitstellung von 4-K-Filmen fürs Heimkino angekündigt: 4-K, das ist die Ultra-HD-Auflösung, mit der aktuelle Digitalprojektoren im Kino arbeiten. Die ersten pessimistischen Kommentare, was das für die Lichtspielhäuser bedeuten könnte, sind noch nicht einmal geschrieben, da melden sich genau jene als Verteidiger des Kinos zu Wort, die dank ihrer Neugier aufs Ungewöhnliche von den Verteilmöglichkeiten im Netz theoretisch besonders profitieren.

Die Kinos können die vielen Filme nicht alle zeigen

Filmkaufleute aber dürften von der pathetischen Beschwörung der Kinoherrlichkeit weniger angetan sein. Die Branche leidet unter einer Startinflation: 2013 kamen 563 neue Filme in Kino. Die kann der Markt nicht fassen, gerade das Randständige hat nur klägliche Besucherzahlen.

Arthouse und Mainstream, das sei längst mehr oder weniger das gleiche, langweiliges Wohlfühlkino nämlich, schimpfen die jungen Kritiker. Peter Erasmus, der in Stuttgart das Atelier am Bollwerk und das Delphi betreibt, fühlt sich da direkt angesprochen. Er hat einst das gemacht, was man Programmkino nannte und was die Oberhausener Flugblattverfasser durch eine ungemütlichere Form der Filmkritik wiederzubeleben hoffen. „Wenn kein Publikum kommt, kann ich bestimmte Filme nicht spielen.“ Das Vertrautere und Behaglichere werde dem Unbekannteren und Schrofferen eben vorgezogen. „Was da an Programm gefordert wird“, sagt Erasmus, „ist für Verleiher und Kinobetreiber wirtschaftlich nicht leistbar“.

Ganz ohne Hoffnung auf Änderung der Verhältnisse aber ist er nicht. Bislang fordern die Verleiher von den Kinobetreibern eine zu zahlende Mindestgarantiesumme, die über Karteneinnahmen oft gar nicht zu erreichen ist. „Ich warte schon länger, dass das amerikanische System auch bei uns praktiziert wird, dass ein Verleih das Kino mietet. Wer sich für andere Filme stark macht, kann einen Verleih eröffnen, der Kinos faire Angebote macht. Er bekommt dann auch Leinwände“. Für einen Film wie „Under the Skin“, heißt es bei Senator, müsse man mittlerweile eine sechsstellige Summe ins Marketing und die Logistik investieren, um überhaupt eine Chance am Markt zu haben.