Der Sozialpsychologe Harald Welzer erzählt im Internet Geschichten eines gelingenden Lebens – und belebt damit ein altes Genre.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Wer würde die Hand dafür ins Feuer legen, dass der Klimawandel noch zu stoppen ist? Wer würde seine Hand überhaupt noch für irgendetwas ins Feuer legen? Gaius Mucius Scaevola vielleicht, jener unerschrockene Römer, der einst seine Rechte demonstrativ in die Flammen hielt und mit dieser Standhaftigkeit die Etrusker so entsetzte, dass sie sofort von der Belagerung Roms abließen, was der Stadt eine goldene Zukunft bescherte. Geschichten wie diese wurden durch Jahrhunderte tradiert und nährten ein eigenes Genre, die sogenannte Exempla-Literatur. Ihre Tugendpropaganda basierte auf der Überzeugung, dass die Erzählung vorbildlicher Taten selbst zu ebendiesen anstiften könnte.

 

Exempla dienten als Wegmarken und Orientierungspunkte bei der eigenen Lebensführung, und sie kamen erst aus der Mode, als das neuzeitliche Individuum sich seinen eigenen Weg zu bahnen begann. Auf diesem ist es mittlerweile so fortgeschritten, dass die von ihm hervorgebrachten Lebensformen die Voraussetzungen ihres eigenen Funktionierens unterminieren. Klimawandel, Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung sind für unsere Lebensverhältnisse bedrohlicher als es die Etrusker je gewesen sind. Davon zumindest ist der Sozialpsychologe Harald Welzer überzeugt. Um einer von diesen apokalyptischen Plagen geprägten Zukunft etwas entgegenzusetzen, hat er im Internet ein Forum gegründet, auf dem die Taten derer erzählt werden, die mit guten Beispielen im Kleinen wirkend, wer weiß, das große Ganze auf einen richtigen Weg gebracht haben werden.

Der reinen Konsumhaltung abgeschworen

Futur Zwei - das ist nur die grammatikalische Form dieser Art Realutopie, sondern auch der Name der Plattform, die die Geschichten eines gelingenden Lebens verbreitet. Wer hier eintritt, hat die Hoffnung noch nicht fahren gelassen. Er hat einer reinen Konsumhaltung abgeschworen und gelobt mindestens eines der löblichen Exempel weiterzuerzählen. Etwa das zweier Pfälzer Bauernsöhne, die 1996 eine Umweltfirma gegründet haben, die Kommunen dabei unterstützt, Strom und Wärme selbst zu erzeugen. Oder das der Züricher Bürger, die dafür gesorgt haben, radikales Energiesparen und eine Minimierung des Autoverkehrs in der Gemeindeordnung fest zu schreiben. Welzer hat sich bisher vor allem mit seinen Studien zur NS-Täterforschung einen Namen gemacht. Ging es darin um die Frage, weshalb Menschen tun konnten, was keiner für möglich gehalten hätte, so beschäftigt ihn nun, wie sich durch mutiges Tun des Einzelnen der mögliche Kollaps doch noch abwenden ließe. „Wir wissen genug, aber handeln nicht entsprechend“, sagt der Sozialforscher. Seine Hoffnung gründet sich darauf, dass unmittelbar einleuchtende Erfolgsgeschichten uns aus intellektueller Starre eher aufrütteln, als niederschmetternde wissenschaftliche Prognosen.

Neu ist die Darbietungsweise

Für sich betrachtet ist das, was Welzer in seinem Zukunftsarchiv versammelt, kaum verschieden von dem, was viele einer nachhaltigeren Lebensweise verschriebene Stiftungen schon lange im Stillen fördern. Neu ist die Darbietungsweise. Und vielleicht verdankt sich dieses Revival frühneuzeitlicher Exempla-Literatur auch dem grassierenden Facebookbasierten Erzähltrieb, der Voraussetzung, das eigene Leben habe Anspruch auf die Aufmerksamkeit der Vielen und lasse sich zu einer exemplarischen Lebensgeschichte fügen.

Man mag die Tugendbeispiele modernen Gutmenschentums belächeln. Ob man für ihren Nutzen seine Hand ins Feuer legen würde? Aber das erwartet doch gar niemand mehr. Fürs Erste reicht es völlig, aus alten Kleidern neue zu schneidern, oder wie eine Gruppe Berliner Nachbarn mobile Guerilla-Gärten zu kultivieren.

Forum für eine nachhaltige Lebensweise http://futurzwei.org