Die Facebook-Seite von Brot für die Welt war beim Werbedienstleister Fanslave aufgetaucht, der gegen Bezahlung Fans auftreibt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Seit das Online-Netzwerk Facebook in aller Munde ist, kann es sich vermeintlich niemand mehr leisten, dort nicht vertreten zu sein. Das gilt für Privatpersonen wie Unternehmen gleichermaßen, auch Hilfsorganisationen wie Brot für die Welt betätigen sich im Social Web. Man schätzt Facebook für die Möglichkeit der direkten Ansprache und ist vielleicht auch stolz, wenn eine nennenswerte Anzahl von Nutzern per Klick auf "Gefällt mir" bekennt, dass sie die eigene Seite gut findet.

 

Was den Stuttgarter Kämpfern wider den Hunger aber zwischen dem 15. und 19. Juni widerfahren ist, löste Aufregung in der Pressestelle aus. Davor stagnierte die Zahl derer, die die Facebook-Seite von Brot für die Welt gut finden, bei rund 500 Nutzern. Dann explodierte sie auf 3700. Wie das geht? Das konnte Brot für die Welt auf Anfrage selbst nicht sagen.

Eine vorangegangene StZ-Recherche brachte Licht in die Sache: Die Facebook-Seite von Brot für die Welt war im betreffenden Zeitraum beim Werbedienstleister Fanslave aufgetaucht, der gegen Bezahlung Facebook-Fans für bestimmte Seiten auftreibt. 10.000 Stück gibt es derzeit im Sonderangebot für 999 Euro: Lieferung binnen einer Woche, versandkostenfrei. Fanslave wiederum gewinnt diese Fans dadurch, dass der Klick auf die Seite eines Auftraggebers mit wenigen Cent vergütet wird. Derzeit hat Fanslave nach eigenen Angaben gut 40.000 aktive Facebook-Nutzer in seiner Datenbank.

"Viral" ist der große Trend im Web 2.0

Fanslave ist ein Anbieter unter vielen, die über den Verkauf von Facebook-Fans - häufig aus Asien oder Osteuropa - Erfolg in der Internetwerbung versprechen. Klicks gegen Geld: das Prinzip ist für Facebook ähnlich wie für Youtube, wo die am meisten angesehenen Videos allen Nutzern angezeigt werden und so noch mehr Klicks anziehen. Auch für die Betreiber von Blogs sowie Foren für Produktbewertungen sind Werbemaßnahmen nichts Neues, dort werden regelmäßig Produkte im Auftrag ihrer Hersteller positiv bewertet - stets in der Hoffnung auf weitere Aufmerksamkeit.

Dass das zumindest funktionieren kann, will eine aktuelle, nicht repräsentative Umfrage der Social-Media-Agentur DSAF belegen. Danach sind Produktbewertungen beim Online-Kauf "sehr wichtig" oder "wichtig"; als relevant gelten auch Aussagen von Freunden und Verwandten. Informationen aus Online-Netzwerken werden gleich wichtig eingeschätzt wie klassische Werbung, sind für Werbetreibende aber meist billiger und damit attraktiv. Weil "mehr" weiterhin als "besser" gilt, schießen Werbedienstleister für das Web 2.0 derzeit wie Pilze aus dem Boden. Gekaufte und nicht als solche kenntlich gemachte Produktbewertungen sind im Internet zwar kein neues Phänomen, sie werden inzwischen jedoch flankiert von Fan- und Klickkäufen, die ihre Wirkung ebenfalls unbemerkt entfalten sollen. Das ist das Prinzip des viralen Marketings, bei dem die angesprochene Zielgruppe selbst die Werbebotschaft weiterträgt.

"Viral" ist der große Trend im Web 2.0 - und bewegt sich häufig in einer rechtlichen Grauzone. Zunächst ist nicht klar, ob und in welchen Fällen der Kauf von Fans, Klicks oder Produktbewertungen gesetzeswidrig ist, etwa den Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs erfüllt. Facebook selbst hat inzwischen die Zahl der pro Tag möglichen Klicks auf "Gefällt mir" eingeschränkt, weil gekaufte Fans das Geschäftsmodell des Unternehmens untergraben. Zudem ist die Praxis unter Werbefachleuten umstritten: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass Klicks für Kampagnen gekauft werden", sagt Curt Simon Harlinghausen von der Fachgruppe Social Media im Bundesverband Digitale Wirtschaft, "die Frage ist nur, wofür die Klicks genutzt werden und wie transparent der Bucher mit den Klicks umgeht".

Experten raten von Fankäufen ab

Diese Transparenz fehlt oft: "Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Zahl von Likes bei Facebook und bei Youtube-Videos leicht verdientes Geld ist", sagte der Chef der Kölner Werbeagentur Social Value, Lukas Dopstadt, im Mai dem Fachmagazin W&V. "Ja, es gibt schwarze Schafe", sekundierte wenig später der Hamburger Branchenkollege Mirko Kaminski über denselben Kanal. Nur: am Ende will es niemand gewesen sein.

Brot für die Welt bestritt am Mittwochabend öffentlich, Facebook-Anhänger gekauft zu haben. Die Vehemenz, mit der die Hilfsorganisation sich von ihrer vermeintlichen, neu gewonnenen Beliebtheit distanziert, verwundert kaum. Tatsächlich sieht die Gleichzeitigkeit von steigender Popularität und dem Auftauchen bei Fanslave nach Absicht aus. Dann wäre nicht nur wie bei jedem anderen Unternehmen der Ruf ruiniert; bei Brot für die Welt geht es auch um die korrekte Verwendung von Spendengeldern. So bat Brot für die Welt nach der StZ-Anfrage auf Facebook "alle ,unechten' Fans, uns zu ,entfreunden"'. Man sei zudem "dabei, eindeutig ,unechte' Fans zu löschen", auch "gehen wir rechtlich gegen Fanslave vor".

Wer aber kauft dann überhaupt Facebook-Fans?

Interessant wird der Fall dadurch, dass im Juni nicht nur Brot für die Welt bei Fanslave auftauchte - sondern, neben anderen, auch Greenpeace, Unicef und Nokia. Alle drei wollten auf Anfrage mit Fanslave nichts zu tun haben. Fanslave lehnte jegliche Stellungnahme mit Hinweis auf Datenschutzgründen ab, es sieht sich als "Werbeplattform - nicht mehr und nicht weniger", erklärte ein Sprecher auf Anfrage.

Social-Media-Experten raten von Fan- oder Klickkäufen nicht nur wegen möglicher rechtlicher Probleme ab. Die Werbewelt im Web 2.0 folgt anderen Regeln als die Offline-Werbung. "Bei Facebook geht es in den allermeisten Fällen nicht um die schiere Anzahl, sondern um die Qualität der Fans", sagt Philipp Roth vom Fachportal Allfacebook.de. Im Social Web stehe die Interaktion mit den eigenen Anhängern im Vordergrund; sie wird von Facebook selbst als Gradmesser für die Relevanz einer Seite gemessen. Wenn die Interaktion auf einer Facebook-Seite abnimmt, weil etwa viele neue Fans nur mit der Aussicht auf ein paar Cent Verdienst "Gefällt mir" angeklickt haben, tauchen die Nachrichten des Anbieters womöglich gar nicht mehr in den Profilen seiner Anhänger auf. Dann wäre der Fankauf sogar kontraproduktiv. Wer aber kauft dann überhaupt Facebook-Fans?

"Agenturen, die Kunden eine bestimmte Zahl von Facebook-Fans versprochen haben", sagt Philipp Roth, "oder Unternehmen, die nicht weniger Fans haben wollen als die Konkurrenz. Klar, dass ein großer Elektronikhersteller mehr Anhänger haben will als sein Haptkonkurrent". Allerdings hat noch niemand zugegeben, Facebook-Fans gekauft zu haben - weder in den USA, wo es solche Anbieter schon seit Jahren gibt, noch auf dem deutlich jüngeren deutschen Markt. Es gab lediglich Vermutungen, etwa im Falle Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Unterstützerseiten extrem schnell an Popularität gewannen. Der Beweis wurde nie erbracht. "Als Außenstehender kann man Fankauf kaum nachweisen", sagt Facebook-Experte Philipp Roth - weder beim Ex-Verteidigungsminister noch bei potenziellen Schummelfirmen.

Brot für die Welt veranstaltet keine Gewinnspiele

Facebook-Fans lassen sich nicht nur mit Geld anlocken. Ähnlich effektiv, sagt Silke Hippmann von der Stuttgarter Werbeagentur Rocket-X, seien Gewinnspiele oder Produktproben - also herkömmliche Konzepte, die in die Social-Web-Welt übertragen werden. Die Anhänger solcher Aktionen, so Hippmann, seien auf Facebook in Gruppen vernetzt. Wenn ein Nutzer in einer solchen Gruppe von einem Gewinnspiel erzählt, erhöht das die Seitenaufrufe dramatisch. Und wer regelmäßig von neuen Gewinnspielen erfahren will, muss auf "Gefällt mir" klicken. Auf diese Weise hat Rocket-X im Juni zweimal massiv neue Fans für die Facebook-Seite der Joghurt-Marke Almighurt gewonnen.

Brot für die Welt veranstaltet überhaupt keine Gewinnspiele; wo die 3200 Fans letztlich herkamen, ist bisher nicht geklärt. Denkbar ist, dass jemand der Organisation Gutes tun wollte und einfach ein paar Facebook-Anhänger "gespendet" hat. Fanslave verkauft nämlich Anhänger für jede beliebige Seite, und zwar ohne die Identität des Auftraggebers zu überprüfen. Facebook-Anhänger können dort gewissermaßen verschenkt werden. Für andere Fälle plötzlicher Fanzuwächse lässt sich eine interessante Parallele feststellen: Facebook-Nutzer, die bei Anbietern wie Fanslave registriert sind, nehmen sehr oft auch an Gewinnspielen teil oder fordern via Facebook Produktproben an. Diese Nutzer scheinen aus Internetaktivitäten materiellen Nutzen ziehen zu wollen. Am Ende könnte die Lehre aus Werbeaktivitäten wie Fan- und Klickkauf sein, dass man damit nur einen ganz bestimmten Typ Nutzer erreicht - "meistens Hausfrauen", sagt ein Insider.

Gekaufte Fans und Bewertungen

Fankauf: Auf Facebook kann sich jeder Nutzer öffentlich zum Fan eines Unternehmens oder einer Organisation erklären. Dienstleister wie Fanslave bieten eine bestimmte Anzahl solcher Fans zum Kauf an - und zwar aus einem Pool von Facebook-Nutzern, denen der Dienstleister für jeden Klick auf den "Gefällt mir"-Knopf ein paar Cent zahlt; solche Angebote gibt es auch für das Betrachten von Youtube-Videos. Die per Fankauf generierten Anhänger sind in allen Fällen keine wahren Freunde einer Marke, sondern klicken nur gegen Bezahlung.

Produktbewertungen: Die Werbetreibenden im Social Web waren schon immer kreativ. Ein Trend sind gesponserte Produkthinweise, die in beliebten Blogs platziert werden, also virtuellen Tagebüchern. Während solche Einträge meist als Anzeige gekennzeichnet sind, wird über andere Kanäle verdeckt geworben. Branchenkenner berichten, dass beispielsweise Produktbewertungen auf spezialisierten Foren wie Ciao oder Dooyoo zum Teil gekauft sind - entweder positive für das eigene Produkt oder negative für die Konkurrenz. Diese Praxis gibt jedoch niemand zu, weil sie unter anderem gegen die Kennzeichnungspflicht von Anzeigen verstößt, die sowohl bei Print- als auch elektronischen Medien wie dem Internet gilt.

Einschätzung: Im Falle gekaufter, aber nicht gekennzeichneter Produktbewertungen wäre die rechtliche Lage eindeutig: "Kommerzielle Kommunikation muss erkennbar sein", sagt Christopher Wolf von der Stuttgarter Kanzlei Kurz Pfitzer Wolf. Wenn gegen diese Pflicht verstoßen wird, hat ein Wettbewerber Anspruch auf Unterlassung und Löschung der betroffenen Bewertungen. "Ob daneben ein Anspruch auf Schadenersatz besteht, hängt von einem Verschulden des Wettbewerbers ab. Der Schaden lässt sich aber nur schwer beziffern, da schwer nachzuweisen ist, welcher Verlust einem durch die wettbewerbswidrige Werbung des Konkurrenten entstanden ist", sagt Christopher Wolf. Die Praxis gekaufter Facebook-Fans wurde in Deutschland bisher nicht gerichtlich geprüft. "Interessant wäre das auf jeden Fall", so der Rechtsanwalt. Man bewege sich allerdings in einer rechtlichen Grauzone. Deutliche Worte findet schon jetzt der Berliner Internetanwalt Thomas Schwenke: "Das Angebot von Fanslave ist rechtswidrig", schreibt Schwenke auf seiner Homepage. Es verstoße gegen die Facebook-Nutzungsbedingun- gen und könne Schadenersatzpflichten nach sich ziehen.