Mo Gawdat ist Chefentwickler bei Google X. Jetzt hat sich der gebürtige Ägypter eine Auszeit genommen und einen Algorithmus entwickelt, mit dem er „Die Formel für Glück“ errechnet hat.

Berlin - Ein Fünfsternehotel in Berlin. Ein kleiner Mann in Jeans und Sneakers federt so elastisch durch die Lobby, als sei der Boden ein Laufband. Zwischen lauter Anzugträgern wirkt Mo Gawdat, 51, wie ein Reisender. Und so fühle er sich auch, seit er keinen festen Wohnsitz mehr habe und aus dem Koffer lebe, sagt er. Gawdat ist Chefentwickler beim Ideenlabor Google X. Jetzt hat sich der gebürtige Ägypter eine Auszeit genommen und einen Algorithmus entwickelt, mit dem er „Die Formel für Glück“ errechnet hat.

 
Mr. Gawdat, was macht Sie glücklich?
Sie werden überrascht sein, aber es sind ganz einfache Dinge.
Zum Beispiel?
Ich bin glücklich, wenn ich guten Kaffee trinke oder meine Tochter lächelt – was mich erstaunt hat, denn wenn es so leicht ist, uns glücklich zu machen, warum sind dann viele Menschen so unglücklich?
Glück bedeutet für jeden etwas anderes. Wie kann es da eine allgemeine Formel geben?
Natürlich sind wir verschieden, aber der Mechanismus ist immer derselbe. Glück ist das friedliche Gefühl, das sich einstellt, wenn das Leben gut so ist, wie es gerade ist.
Und wie lautet Ihre Formel für Glück?
Das Glück ist gleich oder größer als das, was du erlebst – minus dem, was du im Leben erwartest.
Nach dieser Formel sind wir ja zum Glücklichsein verurteilt, denn wenn wir nichts vom Leben erwarten, können wir nur gewinnen.
Mathematisch ist das korrekt. Nehmen Sie ein Land wie Indien. Wenn die Menschen eine Mahlzeit am Tag bekommen, sind sie glücklich. In Deutschland sind wir schon unglücklich, wenn das Essen nicht so ist, wie wir es uns vorgestellt haben.
2014 ist etwas passiert, was Ihr Leben völlig umgekrempelt hat. Ihr Sohn Ali starb bei einer Routineoperation am Blinddarm. Wie hat sein Tod Ihr Leben verändert?
Es ist, als ob man dir das Herz herausreißt. Ich fühle den Schmerz immer noch.
Wenn einen das Schicksal so hart trifft, wird dann eine Glücksformel nicht unwichtig?
Nein, wenn du so etwas erlebst, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder du rastest völlig aus – oder du reagierst ganz friedlich. Und so war das bei mir und meiner Frau.
Woher haben Sie die Kraft genommen?
Aus dem Wissen, dass uns nur Alis Körper verlassen hat, aber nicht er selber. Ali ist nicht einfach so im Nichts verschwunden. Es geht ihm ganz gut dort, wo er jetzt ist.
War die Arbeit an dem Buch ein Weg, über Alis Tod hinwegzukommen?
Bestimmt. Das ist ja Teil der Glücksformel, zu akzeptieren, dass das Leben manchmal Wege geht, die nicht vorhersehbar sind. Das zu akzeptieren, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Ich versuche jetzt, das Beste daraus zu machen.
Wie schwer ist es, andere glücklich zu machen, wenn man selber nicht glücklich ist?
Sehe ich traurig aus? Ich bin vielleicht etwas müde durch den Jetlag. Aber ich fühle mich wie der glücklichste Mensch der Welt.
Sie sitzen fast nur noch im Flugzeug, um Ihr Buch zu vermarkten.
Aber der Job füllt mich aus. Gerade komme ich aus Holland zurück. Mir sind Menschen weinend um den Hals gefallen. Sie sagten, mein Buch hätte ihr Leben verändert.
Haben Sie sich jemals gefragt, wie Sie den Tod Ihres Sohnes ohne Ihre Glücksformel verkraftet hätten?
Ich hätte mich nicht umgebracht, aber ich hätte nicht weiterleben können wie bisher.
Wann haben Sie mit der Arbeit begonnen?
Das war im Jahr 2000. Ich war Daytrader an der Börse, und die Internetblase war gerade geplatzt. Alle verloren Geld, nur ich gewann.
Sie waren verheiratet, hatten zwei Kinder, waren erfolgreich und gesund. Was fehlte?
Ich bin von Termin zu Termin gehetzt. Ich sah nur meine Fehler, nie den Erfolg. Ich war ein totaler Kontrollfreak geworden. Nicht mal ein Rolls-Royce konnte mich glücklich machen.
Sie schreiben, Sie hätten sich gleich zwei davon online bestellt.
Es war der Versuch, meine innere Leere zu füllen. Aber als die Autos kamen, war ich völlig enttäuscht. Sie sahen super aus, ich saß zwanzig Minuten drin, aber dann kehrten meine negativen Gedanken zurück. Ich glaube, ich litt an einer Depression.
Wie haben Sie sie überwunden?
Ich habe alle möglichen Bücher über Esoterik oder Psychologie gelesen. Ich habe nicht alles verstanden, deshalb habe ich begonnen, das Problem zu analysieren wie ein Ingenieur.
Wie sieht Ihr Blick auf das Glück aus?
Ich gehe davon aus, dass der Körper eine Maschine ist, so wie ein Auto. Wenn Sie das Gaspedal drücken, geht er schneller. Wenn Sie bremsen, bleibt er stehen. Bestimmte Reaktionen sind vorhersehbar. So ist das auch mit dem Glück.
Wo bleibt die Seele in diesem Modell?
Man muss nicht verstehen, wie der Motor eines Autos funktioniert, um einen platten Reifen zu ersetzen.
Ihre Glücksformel basiert auf der Annahme, dass positives Denken heilsam wirkt. Ist das typisch amerikanisch?
Nein, schauen Sie sich doch mal die Tweets von Donald Trump an. Manche Nationen feiern sich selber mehr, als sie es verdienen. Andere sehen sich negativer, als sie wirklich sind. Deutschland zum Beispiel.
Woran machen Sie das fest?
Die Welt verdankt Ihnen großartige Errungenschaften wie die besten Autos der Welt oder ein tolles Bildungssystem. Aber Sie finden, dass Sie immer noch besser sein könnten.
Ein großes Hindernis auf dem Weg zum Glück?
Absolut. Wenn man sich selber immer einredet, dass man nicht gut genug ist, hält das Hirn nur noch nach Dingen Ausschau, die nicht rund laufen. Man kann es aber auch ins Positive wenden. Das ist wie mit Fitness. Je öfter du trainierst, desto besser fühlst du dich.
Aber vielleicht sind viele Menschen nur dann glücklich, wenn sie nörgeln können.
Gibt es in Deutschland jemanden, dessen Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden? Ich glaube nicht. Trotzdem denken viele Leute, es gehe ihnen nicht gut genug. Ich sage diesen Nörglern immer gerne: Wenn Dir das Wetter in Berlin zu regnerisch ist, dann geht doch mal eine Woche nach Syrien. Dort regnet es Bomben.