Reinhard Hackl ist der erste Behindertenbeauftragte, den das Landratsamt Böblingen sich leistet. Dort begann er bereits seine berufliche Laufbahn. Hackl will nicht nur in Bauten, sondern auch in Köpfen Barrieren abbauen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)
Böblingen - Reinhard Hackl ist seit rund sechs Wochen Behindertenbeauftragter des Landkreises. Im Interview spricht er über seine Pläne, die Gedankenlosigkeit von nicht Behinderten und die Qualitäten von Behinderten. Fest steht für ihn jetzt schon: Wenn er in Rente geht, sind seine Aufgaben noch lange nicht erledigt.
Herr Hackl, Behindertenbeauftragten darf niemand Weisungen geben. Wie arbeitet es sich ohne Chef?
Ich denke, für Interessenvertreter von Behinderten ist Weisungsunabhängigkeit eine gute Sache. Auf der anderen Seite muss man dafür sorgen, dass man eine Einbindung in die Behörde erfährt, weil man ja etwas erreichen will.
Rein menschlich: fühlt man sich frei, wenn kein Landrat E-Mails schickt, in denen steht, tun Sie dies und lassen Sie das?
Ich bin dem Landrat gegenüber verantwortlich. Der Unterschied ist: sonst haben Sie einen Dienstweg mit Weisungshierarchie einzuhalten, der geht über eine oder zwei Stationen zum Chef. So sind Sie direkt beim Chef. Die direkte Zuordnung gibt den Anliegen der Menschen mit Behinderung mehr Gewicht.
Sie sind jetzt sechs Wochen im Amt. Was haben Sie sich vorgenommen als erste Projekte?
Meine erste Aufgabe ist, Ansprechpartner und Türöffner zu sein. Da gibt es Anfragen in einem ganz breiten Spektrum. Ich habe heute allein fünf Anfragen bekommen von Leuten, denen ich zu helfen versuche. Der eine braucht eine rollstuhlgerechte Wohnung. Ein anderer Behindertenbeauftragter befragt mich, der sich erst auf die Stelle bewirbt. Leute sorgen sich, weil bei ihnen der Aufzug umgebaut wurde. Sie meinen, wenn sie demnächst im Rollstuhl sind, kommen sie nicht mehr rein. Jemand möchte seine vergünstigte KfZ-Steuer tauschen gegen eine vergünstigtes ÖPNV-Ticket. Gerade habe ich versucht, der Mutter eines Autisten eine Beratung zu vermitteln. Das ist ein großes Spektrum, und in viele Dinge muss ich mich erst einarbeiten.
Und welche Projekte planen Sie abseits Ihrer Vermittlerarbeit?
Wir haben ein großes Projekt im Landkreis zur Barrierefreiheit, unseren Mitmach-Barrierefrei-Wegweiser Wheelmap. Wir versuchen, mit Hilfe von Schulklassen in Zusammenarbeit mit Rollstuhlfahrern und Senioren eine Internetkarte zu erstellen über öffentliche Orte, die rollstuhlgerecht zugänglich sind oder nicht. Für Menschen mit Sehbehinderung hatten wir auch eine schöne Aktion. Sie haben bei einem Stadtspaziergang über Lautsprecher kommentiert, woran sie sich orientieren, an Gerüchen, Unebenheiten, und woran sie hängenbleiben, sehr oft an Aufstellern. Das war sehr eindrücklich.
Einerseits ist es erfreulich, wenn Sie wahr- und in Anspruch genommen werden, andererseits ist es unerfreulich, dass es nötig ist. Gibt es Brennpunkte oder Schwerpunkte?
Im Moment noch nicht. Aber es ist auch ein bisschen zu früh, über Brennpunkte zu sprechen, ich stehe ja erst am Anfang.
Der Plan für barrierefreie Bauten und Wege ist in Arbeit. Wo sind die Barrieren höher: in den Häusern oder in den Köpfen?
Ich habe das Gefühl, in den Köpfen.
Begegnet Ihnen Ablehnung?
Nein, ich rede eher von Gedankenlosigkeit. Wenn man mit einem Thema nicht befasst ist, hat man es nicht auf dem Schirm. Es muss in die Gesellschaft hineinwirken, dass Zugänglichkeit für alle eine Aufgabe ist, an die auch alle denken müssen. Das ist ein Ziel von Wheelmap, dass sich 700 Schüler damit befassen, die später vielleicht Entscheider sind und das Thema im Hinterkopf haben. Die Schüler feiern ihr Abi auf den Stufen vor dem See. Ein Rollstuhlfahrer könnte dort nicht mitfeiern. Die Bewusstseinsbildung ist entscheidend.
Wenn Sie Behindertenbeauftragter bleiben bis zur Rente, was wollen Sie bis dahin erreicht haben?
Dass einige Dinge, die wir jetzt ansprechen, selbstverständlich geworden sind. Ich möchte ein Stück weit an der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention arbeiten. Ich denke, dass wir damit nicht fertig sein werden, wenn ich in Rente bin.
Wie weit ist der Weg?
Bei neueren Bauten ist es leichter. Die Landesbauordnung ist umgestellt. Im Bestand wird es schwer und manchmal teuer. Es wird dauern, bis es den nicht mehr geben wird. Das heißt, man wird sehr lange Zeit mit Kompromissen leben müssen.
Gibt es im Landkreis etwas, das anders ist als republikweit?
Wir haben höhere Ausgaben für Menschen mit Behinderungen, und das wirkt sich auch aus auf ein sehr gutes Angebot. Da schlägt sich die gute Wirtschaftslage nieder, das muss man so sehen.
Stichwort Inklusion. Es gibt Betroffene, die sie ablehnen, weil sie sagen, eine spezielle Förderung in ihrer Kindheit und Jugend war für ihre Entwicklung entscheidend.
Das Thema heißt, dass der Betroffene Hilfe bekommt, wenn er will, und die Möglichkeit hat, die Regelschule zu wählen. Entscheidend ist, dass es nach seinem Willen geht. Bisher gab es nur ein Angebot. Das hat zu Mauern in den Köpfen geführt. Viele kennen keine Menschen mit Behinderung, sind den Umgang mit ihnen nicht gewöhnt und lernen ihre besonderen Qualitäten nie kennen. Die habe ich sehr schätzen gelernt.