Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)
Herr Professor Deister, das aktuelle Symposium der DGPPN in Berlin ist überschrieben „Deutschland – ein Ort der Angst“. Ist das nicht etwas übertrieben? Wir leben schließlich in einem recht friedlichen Land.
Es steht ja auch ein Fragezeichen dahinter. Die Antwort ist ein klares Ja und ein klares Nein. Deutschland ist kein spezieller Ort für Angst. Eine „German Angst“ gibt es nicht. Aber: Wir sind momentan in einer gesellschaftlichen Situation, in der Dinge geschehen, die ganz viel mit Angst zu tun haben und vielen Menschen Angst machen.
An was denken Sie konkret?
In unserem Alltag als Therapeuten erleben wir immer wieder, dass Menschen Angst vor Veränderungen haben – vor Fremden, fremden Dingen, Gewalt, Einsamkeit. Eine Gesellschaft wie die deutsche, die sich im Umbruch befindet, führt bei vielen dazu, dass sie Angst haben.
Deutschland ist nicht Syrien oder der Irak, wo Veränderungen für die dort lebenden Menschen lebensbedrohlich sind. Muss man die Angst hier zu Lande nicht relativieren?
Man muss sie relativieren. Doch zunächst einmal ist Angst nichts Schlimmes. Sie ist eines der zentralen menschlichen Gefühle, das sehr stark schützt. Hätte es in der Evolution das Thema Angst nicht gegeben, würde es heute keine Menschen mehr geben, weil sich die Menschheit sich längst in Situationen begeben hätte, in denen sie ausgestorben wäre. Die Schutzfunktion der Angst kann allerdings auch überfordert werden – in der Subjektivität des jeweils betroffenen Menschen. Dann wird sie zu einer Blockade.
Wann geschieht das?
Immer dann, wenn Angst zu lang anhält, zu stark und nicht mehr zu bewältigen ist. Wenn ein Mensch den Eindruck hat die Kontrolle zu verlieren, dann bekommt Angst eine pathologische Funktion.
Was macht mehr Angst? Die innere Wahrnehmung oder äußere Umstände? Schicksalsschläge gibt es viele: Arbeitslosigkeit, ein Gewaltverbrechen, Wohnungseinbruch, Scheidung . . .
Die Disposition zur Angst ist etwas ganz normales. Manche Menschen neigen mehr zur Angst als andere. Das hat mit der genetischen Veranlagung, aber auch mit Lernerfahrung zu tun. Wenn etwas geschieht, dass die Fähigkeit des Menschen sich mit Angst auseinanderzusetzen überfordert, dann läuft das ganze aus dem Ruder.