Chefredaktion : Holger Gayer (hog)
Wie bitte?
Ja, Sie haben richtig gehört. Wir haben zuletzt manche Straßen zurückgebaut, um dort Radwege anzulegen. Diese werden aber kaum genutzt. Und die Autos stehen auf den zurückgebauten Spuren im Stau, in Bad Cannstatt zum Beispiel. Ich denke auch an flexible Fahrbahnwechsel oder an eine neue Kreuzungslösung am Neckartor. Vor allem bin ich aber dafür, nach den wahren Ursachen des Feinstaubproblems zu suchen und nicht nur alles auf den Diesel abzuwälzen. Damit hätte man übrigens schon viel früher anfangen müssen.
Zum Beispiel in der Zeit, da die CDU den Ministerpräsidenten und den Stuttgarter Oberbürgermeister gestellt hat?
Ich kann nicht für die CDU von vor 15 Jahren sprechen, da war ich noch nicht im Amt. Aber selbst wenn das Problem damals schon bekannt war, exkulpiert das nicht die jetzigen Entscheidungsträger, die ein grünes Parteibuch haben. Die einschlägigen Gerichtsverfahren sind in der Zeit von Kretschmann und Kuhn in die entscheidende Phase gegangen. Und den juristischen Vergleich mit den Anwohnern des Neckartors, der besagt, dass dort der Verkehr um 20 Prozent reduziert werden muss, hat die alte grün-rote Landesregierung geschlossen. Damit hat sich die Politik in Zugzwang gebracht,…
…bevor es, wie in Düsseldorf, die Gerichte tun.
Genau deswegen bin ich einigermaßen sprachlos, dass man jetzt erst anfängt mit dem Bau einer Mooswand und dem Einsatz für Reinigungsmaschinen. Ebenso sprachlos macht mich, dass man dieses Fahrverbot erlassen hat, ohne zuvor mit den Akteuren gesprochen zu haben.
Wen meinen Sie damit?
Zum Beispiel die Industrie, von den Großunternehmen bis zum Taxigewerbe, oder die Handwerkskammer. Das Bündnis für Mobilität, das wir jetzt auf Initiative der CDU zusammen mit der SPD und den Grünen geschmiedet haben, zeigt doch, was man miteinander auf den Weg bringen kann. Nehmen Sie nur den Ostheimer Tunnel, den man auf unsere Veranlassung hin prüft, und den Nordostring, den man jetzt endlich bauen muss.
Haben Sie noch andere Rezepte für eine bessere Luft als neue Straßen und weniger Radwege?
Natürlich. Wir müssen mehr Leute in den öffentlichen Nahverkehr bringen. Dazu müssen die Taktzeiten der Busse verkürzt werden. Die Park-and-ride-Plätze müssen ausgebaut werden, und wir müssen schauen, was die Mooswand und die Nassreinigung der Straßen bringen. Abgesehen von den Verkehrsthemen müssen wir uns aber auch die alten Heizungen vornehmen. Und es heißt sogar, dass mehr Feinstaub vom Zigarettenrauch kommt als vom Diesel.
Also brauchen wir eine neue Anti-Raucher-Kampagne?
Warum nicht? Damit tun wir mehr für die Gesundheit der Menschen als durch ein Dieselfahrverbot. Mich ärgert eben diese Verengung auf den Diesel. Nur um den Richtern etwas vorlegen zu können, dürfen wir die wahren Ursachen des Problems nicht vergessen. Außerdem empfehle ich allen Befürwortern des Fahrverbots mal die Wirkung nach außen anzuschauen. Wir werden nur noch als Stau- und Feinstaubstadt wahrgenommen. Asiaten fragen nach Atemschutzmasken, wenn sie nach Stuttgart kommen. Freunde von mir wurden neulich in London angesprochen: Ach, Ihr wohnt in diesem dreckigen Stuttgart?
Was haben Sie geantwortet?
Dass wir die Stadt der Wissenschaft, der Innovation, der Kultur sind. Aber das spielt außen keine Rolle mehr. Die Feinstaubdiskussion liegt wie Mehltau über der Stadt, und die Folgen solcher Einschätzungen sind fatal: Die Unternehmen suchen händeringend nach Fachkräften, da muss der Standort attraktiv sein. Wenn wir aber so tun, als bekäme man keine Luft mehr in Stuttgart, erreichen wir das Gegenteil.
Die CDU will deshalb das Wort Feinstaubalarm abschaffen. Ist das zielführend?
Mit dem Begriff fängt das Problem an. Wer nach Stuttgart will, wird auf der Autobahn schon bei Ludwigsburg darauf hingewiesen, dass in Stuttgart Feinstaubalarm ist. Wer das sieht, denkt: Fahr bloß nicht nach Stuttgart, da ist es dreckig und stinkt. Um diesem Eindruck etwas entgegenzuhalten, brauchen wir viel mehr Ideen aus dem Rathaus. Und wir brauchen einen Ruck, der durch die Gesellschaft geht. Es ist viel zu ruhig geworden. Wolfgang Schuster hat jeden Tag eine neue Idee gehabt. Auch wenn er nicht alle umsetzen konnte, war das immer noch besser als jetzt. Seit Fritz Kuhn Oberbürgermeister ist, wird alles nur noch zögerlich angegangen.
Haben Sie Beispiele?
Nehmen Sie die Ausschreibung um ein Versuchsfeld fürs autonome Fahren. Da musste man die Stadt zum Jagen tragen. Am Ende hat sie sich viel zu spät beworben. Jetzt hat Karlsruhe den Zuschlag bekommen. Wie kann das sein? Es muss doch unser Anspruch als Automobilstandort Nummer eins sein, auch das Versuchsfeld für autonomes Fahren zu haben. Aber in Stuttgart werden Themen aus ideologischen Gründen oder aus Bräsigkeit verschlafen.
Wer die Debatte um die Kulturmeile und die Internationale Bauausstellung verfolgt, könnte aber auch zur gegenteiligen Meinung kommen.
Ja, aber wer hat das initiiert? Hinter dem Verein mit dem schönen Namen „Aufbruch“ steht eine Gruppe um Wieland Backes, die genug hat vom Zögern und Zaudern. Die Internationale Bauausstellung ist von der Region auf die Schiene gesetzt worden. Diese Stadt ist reich und hat viele engagierte Bürger. Nur OB Kuhn hat bisher nichts zu einem Aufbruch in Stuttgart beigetragen.

Stefan Kaufmann und die Fahrverbote

Persönlich: Stefan Kaufmann, Jahrgang 1969, sitzt seit 2009 als Abgeordneter im Bundestag. Der Christdemokrat vertritt den Wahlkreis Stuttgart-Süd in Berlin und tritt dort auch bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2017 wieder an. Seit 2011 ist er zudem CDU-Kreisvorsitzender in Stuttgart. Nach seinem Studium in Tübingen arbeitete der promovierte Jurist unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. George Turner, der lange Jahre Präsident der Universität Hohenheim war. 2012 setzte sich Kaufmann für die Kandidatur von Turners Sohn Sebastian bei der OB-Wahl in Stuttgart ein. Sebastian Turner verlor aber gegen Fritz Kuhn.

 

Fahrverbote: Von Januar 2018 kann es nach einem Beschluss der grün-schwarzen Landesregierung zu partiellen Fahrverboten für Dieselfahrzeuge in Stuttgart kommen. Allerdings nur, wenn die Stadt zuvor Feinstaubalarm ausgerufen hat. Betroffen sind Dieselfahrzeuge, die die Abgasnorm Euro 6 unterschreiten. Diese dürfen dann nicht in die Stuttgarter Innenstadt einfahren, tabu sind auch die Hauptverkehrsachsen in Feuerbach und Zuffenhausen. Laut Grün-Schwarz sind zahlreiche Ausnahmegenehmigungen geplant. Welche das sind, ist aber ebenso unklar wie das exakte Gebiet, das von dem Fahrverbot betroffen sein soll.