Wer in die „Black Box“ schaut, der braucht eine Erlaubnis. War es schwierig, eine Genehmigung für Ihre Arbeit in Stammheim zu bekommen?
Nein, das ging relativ schnell. Ich habe den direktesten Weg gewählt: Ich habe mit der Direktorin des Gefängnisses gesprochen. Danach bin ich noch einmal über das Justizministerium von Baden-Württemberg gegangen. Und beide Male hat man mich sehr unterstützt. Man hat mir eine Wohnung direkt neben der Gefängnismauer zugewiesen und sogar einen Polizei-Hubschrauber für Luftaufnahmen gestellt. Zudem war man mir beim Zugang zu den wichtigen Archiven behilflich. So konnte ich etwa die Ergebnisse der pathologischen Untersuchung der RAF-Häftlinge anschauen – und das noch vor der offiziellen Freigabe der Akten. Ohne diesen Rückhalt wäre das Projekt gar nicht möglich gewesen. Die Realisierung einer solchen Arbeit kostet sehr viel Geld; und gerade von Seiten der Kulturinstitutionen habe ich immer wieder festgestellt, dass man sehr reserviert ist gegenüber solch politischen Themen.

Der Deutsche Herbst liegt 35 Jahre zurück. Was hat dieses Gebäude von diesem Schrecken konserviert?
Die Todesnacht von Stammheim am 18. Oktober 1977 ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Projekts. Dieses Gebäude repräsentiert diese Nacht. Es ist die Verdichtung des RAF-Terrorismus. Spätestens, wenn man in der siebten Etage des Gefängnisses ist, ist man quasi automatisch in den historischen Kontexten drin.

Die siebte Etage, das war jener hochgesicherte Bereich, in dem die RAF-Häftlinge damals untergebracht waren.
Wenn man sich dort heute bewegt, dann vollzieht man im Kopf einen permanenten Abgleich. Den kann man gar nicht abschalten. Das Gebäude erzählt auf kleinstem Raum deutsche Geschichte. Und das wollte ich noch einmal zeigen – zumal Stuttgart-Stammheim ja bald abgerissen werden soll. Ich wollte den Deutschen Herbst auf der bildnerischen Ebene zu Ende erzählen.

Terror ist immer auch Bildterror – heute vermutlich noch viel mehr als im Jahr 1977. Kann man all diese Bilder ausschalten, wenn man sich mit der RAF auseinandersetzt?
Ich habe das Glück, dass ich vollkommen abschalten kann, wenn ich in meiner Arbeit bin. Sobald ich einen Raum betrete, lasse ich ihn auf mich wirken. Dann habe ich auch keine „Vorbilder“ mehr im Kopf – Bilder, an denen ich mich abarbeiten oder die ich neu interpretieren müsste. In diesen Momenten blende ich alles aus.

Sie haben vor Ort Tausende Bilder gemacht. Wie finden Sie hinterher heraus, welches Foto für die spätere Ausstellung interessant und aussagekräftig sein könnte?
Am Ende geht es natürlich um die richtige Komposition. Und das ist sehr schwer. Ich möchte versuchen, den Betrachter zu binden; ich will ihn an die Hand nehmen und durch die einzelnen Etagen des Gebäudes führen. Eine Herausforderung. Die visuelle Oberfläche ist dort sehr hart. Zuweilen muss man sich durch dieses Gebäude regelrecht quälen; denn immer schwingen dort die historischen Neurosen mit - die Kameras, die Sicherheitszäune, die ganze Schwere. Im Kern ist Stammheim die siebte Etage. Und doch gibt es auch darüber hinaus Ecken, die eine sehr harte Sprache haben: der Innenhof oder die legendäre Mehrzweckhalle. Diese Härte habe ich versucht, in die Bilder zu übertragen – die Gnadenlosigkeit und die Brutalität, mit der beide Seiten damals miteinander umgegangen sind.

Um all das zu illustrieren, wird es nicht nur ein Buch und eine Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart geben; Sie haben auch eine sogenannte „Cave“ entwickelt. Können Sie erklären, was es damit auf sich hat?
Mit einer konventionellen Ausstellung kann man immer nur eine bestimmte Ebene der Wahrnehmung erreichen. Doch durch meine Lehrtätigkeit an der RWTH-Aachen habe ich Kontakt zu Informatikern bekommen, die seit vielen Jahren an virtuellen Welten forschen. Also haben wir in Aachen die Zelle 719 – der Raum, in dem 1976 Ulrike Meinhof ums Leben gekommen ist und 1977 Andreas Baader – als virtuellen Ort nachempfunden.

Eine „Cave“ ist also nichts anderes als ein virtueller Raum?
Genau. Wenn man diesen Raum betritt, schließt sich hinter einem eine Tür, und man ist vollkommen abgeschottet. Man ist wie in einer anderen Welt – so wie damals die Stammheim-Häftlinge. Das Erleben ist dort derart intensiv, dass man den Abgleich zur Realität verliert. Man fühlt sich physisch gefährdet. Man kann sich nicht mehr verorten. Für mich ist diese „Cave“ der Höhepunkt der gesamten Stammheim-Arbeit.