Die Stuttgarter Autorin Anna Katharina Hahn ist auf Einladung der Kulturgemeinschaft im Weingut Heid zu Gast – ein Interview.

Fellbach - Ihren neuen Roman „Aus und davon“ stellt Schriftstellerin Anna Katharina Hahn am Samstag in einer Lesung vor. Das Buch wird von den großen Feuilletons durchweg begeistert besprochen. Fellbach ist darin verewigt – der Ort spielt vor allem wegen der pietistischen Prägung der Hauptperson des Romans eine Rolle. Wir sprachen im Vorfeld der bereits ausverkauften Veranstaltung mit der Autorin.

 

Frau Hahn, wie kamen Sie auf Fellbach, rund um Stuttgart gibt es ja noch weitere Orte mit pietistischer Prägung?

Fellbach war für mich schon immer mit der pietistischen Frömmigkeit verknüpft. Als Jugendliche habe ich eine Weile in der Arztpraxis meines Vaters hospitiert, ihn dabei auch auf Hausbesuchen begleitet. Eine älteres Schwesternpaar ist mir dabei in starker Erinnerung geblieben. Die Gesunde pflegte aufopferungsvoll ihre kranke Schwester, getragen von ihrem Glauben. Die beiden stammten aus Fellbach.

Diese Schwestern inspirierten Sie wohl zu den Figuren der beiden Diakonissen Marie und Sophie, die das schlechte Gewissen der Hauptperson Elisabeth darstellen – haben Sie da womöglich in unserem Heimatmuseum recherchiert?

Das Fellbacher Heimatmuseum hat mich tatsächlich inspiriert. Schon in der Anfangsphase des Romans war ,Die 100 Jahre der Marie Frech’ – eine Aufsatzsammlung zur dortigen Dauerausstellung, in der der Nachlass einer besonders frommen und gelehrten Fellbacher Pietistin gezeigt wird – für mich eine wichtige Quelle. Aber natürlich bin ich auch vor Ort gewesen, um zu recherchieren.

Spielen Religion und Pietismus in Ihrem Leben eine wichtige Rolle?

Ein Leben ohne Glauben kann ich mir nicht vorstellen. Der Pietismus interessiert mich allerdings vor allem als eine Kraft, die Menschen im negativen wie im positiven Sinne prägt. Religionen finde ich im allgemeinen spannend, besonders die Texte, die sie hervorbringen.

Kennen Sie den Kappelberg, der ja auch vorkommt, von eigenen Spaziergängen?

Mit den Großeltern waren wir als Kinder viel spazieren, auch auf dem Kappelberg.

Der Titel „Aus und davon“ spielt ja sicher auch auf die Hauptfiguren Elisabeth und ihre Tochter Cornelia an, die beide von ihren Männern verlassen wurden. Selbst die junge Stella erlebt eine Romanze mit einem Syrer, die auch damit endet, dass dieser verschwindet.

Ich wollte die weiblichen Figuren und ihre Sicht der Dinge in den Vordergrund stellen. Die Männer hätten sicher viel zu erzählen, wäre es meine Absicht gewesen, sie zu Wort kommen zu lassen. Sie haben ihre Gründe, wenn sie gehen. Weil der Roman ihnen aber keine Stimme gegeben hat, treten ihre Motive nicht so klar hervor. Außerdem ist ja, zumindest bei Elisabeths Mann, keineswegs klar, ob die Beziehung wirklich zu Ende ist.

Die Männer von Elisabeth und Cornelia stammen aus Mainz und aus Griechenland, wo die Menschen meist lebenslustiger sind. Verdorren die Beziehungen etwa an den pietistischen Grundzügen der Frauen?

Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind nun mal nicht einfach. Wenn die Figuren miteinander nicht zurecht- kommen oder ihre Liebe keine Zukunft hat, liegt das nicht nur am Pietismus, das wäre zu simpel, es gibt so viele Gründe.

Die Beziehung zwischen Großmutter und Enkeln spielt eine wichtige Rolle im Buch, im SWR bezeichneten Sie sich mal als „Großelternkind“.

Mich hat einfach interessiert, wie eine Frau wie Elisabeth, beruflich selbstständig, stark, unabhängig, damit umgeht, ihre Enkel durch schwierige Lebensphasen zu begleiten – heftige Pubertät und Mobbing. Großeltern sind wichtige Familienunterstützer, aber sie können normalerweise die Enkel wieder bei den Eltern abgegeben, wenn es schwierig wird, sie müssen nicht erziehen. Im Roman ist das anders, da muss die Großmutter 24 Stunden am Tag präsent sein, erlebt Situationen, die sie aus der Kindheit der eigenen Töchter nicht kennt und hat dabei selbst noch Eheprobleme. ,Aus und davon’ ist auch ein Roman über das Zusammenleben der Generationen, darüber, wie stark ihre Verbindungen trotz aller Unterschiede sind.

Die Stoffpuppe Linsenmaier, die seit Generationen die Kinder Ihrer Romanfamilie begleitet – glauben Sie an die Magie solcher Puppen – gar vererbter?

Der Linsenmaier ist ja viel mehr als eine Puppe. Er ist ein Erzähler, der die Geschichte aus einer ganz anderen Perspektive berichten kann, ungebunden von Zeit, Raum und Konventionen. Er plaudert frei von der Leber weg, lässt sich nicht den Mund verbieten und öffnet im Roman eine Tür jenseits des Realismus. Mit einer menschlichen Figur wäre das nicht möglich gewesen.