In der Südwest-CDU ist Schavan wegen ihrer Reformpläne unter Druck. Dennoch will sie ihre Partei modernisieren, um deren Werte zu bewahren.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

In der Südwest-CDU ist Schavan wegen ihrer Reformpläne schwer unter Druck. Dennoch fordert sie, ihre Partei müsse sich weiter modernisieren, wenn sie ihre Werte bewahren will.

 

Frau Schavan, ihr Ziehvater Erwin Teufel fällt ein verheerendes Urteil über die CDU. Sie habe Stammwähler verprellt, das C vernachlässigt. Wo geben Sie ihm recht?

Ich stimme mit der Art, mit der er selbst einst Politik gestaltet hat, überein. Er hat selbstbewusst Tradition und Moderne verbunden. Baden-Württemberg hat in seiner Amtszeit einen enormen Sprung als modernes, wandlungsfähiges, innovatives Land gemacht, das nicht bedingungslos an alten Glaubenssätzen festhält.

Die Frage war, ob Sie seine Kritik teilen?

Wir haben am Bodensee lange darüber gesprochen und festgestellt, dass unsere Freundschaft unterschiedliche Auffassungen aushält. Ich bin nicht der Ansicht, dass die Hinwendung zu neuen Wählern auf Kosten der Stammwähler gehen muss. Wir dürfen diese Potenziale nicht gegeneinander ausspielen. Das hat übrigens das Wahlergebnis in Baden-Württemberg deutlich gezeigt. Natürlich ist es wichtig, dass eine Volkspartei sich um Stammwähler kümmert. Aber eine strukturelle Mehrheit setzt stets voraus, neue Wähler zu gewinnen.

Was hat die CDU Stammwählern zu bieten?

Die Gewissheit, dass sie der Volkspartei anhängen, die das Land in eine gute Zukunft führt. Die CDU ist die Partei der deutschen Einheit, der europäischen Einigung, die Partei der wirtschaftlichen Kompetenz. Ich entdecke bei jenen, die unsere Stammwähler vernachlässigt sehen, übrigens viele Widersprüche. Man kann doch nicht so tun, als würden alle Stammwähler die Energiewende ablehnen, wenn man zugleich beklagt, dass viele Konservative sich bei den Grünen gut aufgehoben fühlen. Zum Selbstverständnis der CDU gehört deshalb nicht, konservativ und liberal gegeneinander auszuspielen. Ich bin jetzt fast 40 Jahre in der CDU und wurde immer zu den Wertkonservativen gezählt. Für mich heißt wertkonservativ: Wenn ich das, was mir wertvoll ist, bewahren will, dann muss ich im Zweifelsfall auch nach neuen Wegen suchen. Wer sich treu bleiben will, muss sich verändern.

Wertedebatten sind ja nicht neu in der CDU.

Die Abstände werden kürzer, weil sich unsere Zeit so schnell wandelt. Der Veränderungsdruck in Deutschland und der Welt hat stark zugenommen. Das sorgt für Verunsicherung. Deshalb haben wir überhaupt keine Zeit dafür, dass sogenannte Modernisierer und jene, die sich als Konservative definieren, sich unversöhnlich gegenüberstehen. Wir müssen vielmehr den Punkt finden, wo sie gemeinsam CDU sind, als Volkspartei mit unterschiedlichen Nuancen.

In Erwin Teufels Sinne modernisieren

Teufel erhielt ja nicht nur Beifall aus Baden-Württemberg.

Aufgrund der globalen Umwälzungen fragen sich in der CDU viele: Was gilt noch von dem, was lange Zeit galt? Deshalb werden wir nach der Sommerpause lebhafte Diskussionen auf allen Ebenen der Partei führen. Das ist wichtig, um Konsens und Verständnis zu schaffen für die Schritte, die wir gegangen sind - bei der Wehrpflicht und der Energiewende. Und wir müssen einen Konsens erreichen über die Schritte, die wir in den nächsten zwei Jahren in dieser Bundesregierung noch gehen wollen.

Ein Zurück zu Teufels Politik wäre falsch?

Würde Erwin Teufel heute Verantwortung tragen, würde er handeln wie in seiner aktiven Zeit: stets auf der Suche nach besten Lösungen für aktuell drängende Herausforderungen. Er würde das Land modernisieren und nicht konservieren wollen. Wir wollen das auch. Seine Mahnung ist: verbindet Modernisierung mit den Grundwerten, die diese Partei groß gemacht haben. Das werden wir berücksichtigen.

Angela Merkel habe der CDU zu viel Modernisierung zugemutet, heißt es. Jetzt kommen Sie und provozieren heftige Kritik mit Ihren bildungspolitischen Thesen. Sind Sie die Watschenfrau der Kanzlerin?

Das sagt man mir ja ganz offen. Es heißt, die Debatte über unsere Bildungspolitik finde zur Unzeit statt. Doch wir werden uns viel Zeit für die Debatten nehmen.

Warum die Hauptschulen abschaffen?

Niemand muss eine Hauptschule auflösen, aber jeder muss sie weiterentwickeln. Mich treiben die gleichen Überlegungen an, die mich zehn Jahre als Kultusministerin in Baden-Württemberg geleitet haben. Schulstrukturen waren nie unser vorrangiges Thema. Uns geht es um Inhalte und pädagogische Konzepte. Zum Markenkern der CDU gehört eine am Kind orientiere Bildungspolitik. Baden-Württemberg hat eines der leistungsfähigsten Bildungssysteme. Dort fanden Modernisierungen statt, die sich andere nicht getraut haben. Das Bildungspapier der CDU enthält deshalb auch enorm viel Baden-Württemberg. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, die Hauptschule als Restschule darzustellen. Wir haben sie in Baden-Württemberg in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt - letztlich zur Werkrealschule.

Als Landesministerin haben Sie für die Hauptschulen gekämpft, jetzt fordern Sie ein zweigliedriges Schulsystem. Weshalb?

Unser Bildungspapier nimmt an dieser Stelle nur auf, was in vielen von der CDU regierten Ländern schon Realität ist. Nur weil ich aus Baden-Württemberg komme, kann ich doch nicht ignorieren, was in den meisten CDU-Landesverbänden diskutiert wird. Für uns steht die Frage im Vordergrund: wie sieht ein attraktives Bildungssystem aus, wenn die Schülerzahlen etwa in Baden-Württemberg binnen zehn Jahren um 23 Prozent zurückgehen?

Vielfalt statt Einheitsschule

In Baden-Württemberg sind Ihre Ideen wie der berühmte Stich ins Wespennest. Warum?

Da ist manches völlig überspitzt angekommen. Die Botschaft "Bundes-CDU schafft die Hauptschule ab" beschreibt unser Anliegen nicht korrekt, sorgt aber zuverlässig für Streitigkeiten. Das ist ungut. Unser Bildungspapier ist sehr viel differenzierter. Unsere Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit - da handeln wir ganz im Sinne von Erwin Teufel. Die Wirklichkeit im ländlichen Raum verlangt dringend nach einer Antwort auf die Frage, wie bei drastisch sinken Schülerzahlen unsere Alternative zur Einheitsschule aussieht.

Sie wollen die Oberschule. Was ist das?

Unser Credo heißt Vielfalt statt Einheitsschule. Wir erhalten zum einen das Besondere einer Hauptschule und zum anderen die pädagogische Vielfältigkeit. Ob Sie das nun Oberschule, Sekundarschule oder Werkrealschule nennen, ist mir egal. Hinter der erregten Debatte verbirgt sich ein weiteres Problem: Ich erlebe keine einzige Veranstaltung, bei der mir nicht gesagt wird, dass wir mehr Vergleichbarkeit unter den Schulen in den Bundesländern brauchen. Das habe ich immer unterstrichen. Bei der Kritik an unseren Vorschlägen spielt auch eine Rolle, dass man unterstellt, der Bund wolle sich in die Kompetenzen der Länder einmischen.

Tun Sie das etwa nicht?

Nein, ich nehme meine Aufgaben wahr. Dazu gehört etwa das Berufsbildungsgesetz. Niemanden in der föderalen Ordnung stört, dass Ausbildungsordnungen für alle 16 Länder gelten. Der Schreiner oder Mechatroniker wird überall nach der gleichen Ordnung ausgebildet. Warum also keine vergleichbaren Bildungsabschlüsse, die die Länder miteinander vereinbaren?

Warum ist das so schwierig?

Weil das Selbstbewusstsein der Landespolitiker sich offenbar aus den Unterschieden speist, obgleich die öffentliche Erwartung eine völlig andere ist. Die Kunst der Politik besteht darin zu unterscheiden zwischen dem, was wir gemeinsam regeln müssen, was vergleichbar sein muss, und dem, was der Souveränität vor Ort überlassen werden kann. Wir sollten unser Streben darauf ausrichten, in zehn Jahren eines der besten Bildungssysteme der Welt zu haben. Baden-Württemberg könnte dabei ein Motor sein, da es dort viel Vorbildliches gibt.