Dass wir nicht funktionieren sollen und es besser wäre, der Lebendigkeit mehr Raum zu geben, ist nichts Neues.
Ich bin die erste, die zugibt, dass ich nichts Neues schreibe. Nichtsdestotrotz beobachte ich, dass wir inzwischen fast alles zu Markte tragen – sei es unsere Sexualität, unsere Persönlichkeit oder unseren Körper. Das war vor zehn Jahren noch nicht so umfassend. Dabei geht viel von dem verloren, was ich für lebenswert halte: Respekt, Zärtlichkeit, absichtslose Freundlichkeit. Interessant ist, dass wir das alle wissen und trotzdem nichts passiert. Wie mit der Internetüberwachung. Alles geht einfach so weiter. Nur die Angst wird größer. Das besorgt mich.
Sie schreiben, dass die Liebe besonders unter der unterkühlten Gesellschaft leidet. Woran machen Sie das fest?
Die Liebe ist ein ambivalentes, unberechenbares Gefühl. Da es immer mehr um Berechenbarkeit, Effizienz und Kontrolle geht, ist genau diese Lebendigkeit der Liebe bedroht. Innerhalb der Datingkultur versuchen sich Menschen in Fragebögen zu verwandeln, um dann einen dazu passenden Fragebogen zu finden. Trotzdem gibt es immer mehr Singles. Die sich so sehr mit sich beschäftigen, dass da fast kein Platz mehr ist für einen echten anderen. Egoismus ist der größte Feind der Liebe.
Machen wir uns ein falsches Bild von der Liebe?
Die romantische Liebe ist gerade stark mit Konsum und Selbstwert verknüpft. Dazu hat sie eine fast religiöse Aura, wie ein heiliges Versprechen, dass dann endlich alles gut würde. Dadurch fängt sie an, alle anderen Formen der Liebe aufzusaugen: Freundschaft oder Solidarität zum Beispiel. Man kann auch die Natur lieben, eine Idee, ein Tier. Diese kleinen Lieben scheinen neben der großen Romantikshow zu verblassen. Dabei sind sie es doch, die unser Leben zusammenhalten.
Was macht das Internet mit unseren Beziehungen?
Das Internet erschwert die emotionale Anteilnahme. Wenn ich maile, kommentiere oder chatte, nehme ich keine direkte körperliche Reaktion des Gegenübers wahr. Der Philosoph Emmanuel Levinas schreibt über das Antlitz des anderen als Anrufung. Der Blick eines Menschen hat eine ethische Wucht. Doch diese Anwesenheit des anderen, seine emotionalen Reaktionen wie Freude, Scham oder Schmerz sind im Netz meist nicht erfahrbar. Da lassen sich leicht gemeine Sachen schreiben oder irgendwelche Fantasien entwickeln. Und doch ist am anderen Ende jeder virtuellen Kommunikation immer ein lebendiger Mensch.