Ob Castingshow oder Dating-Portal: Ariadne von Schirach kritisiert, dass wir immer mehr vermarkten – unseren Körper, unsere Sexualität, unsere Persönlichkeit. Foto: Detlef Eden
Welche Folgen haben Kapitalismus, Konkurrenzdenken und die totale Vermarktung des Einzelnen auf unser Leben? Die Berliner Philosophin Ariadne von Schirach sorgt sich vor allem um die Liebe und ihre Leichtigkeit, wie sie im StZ-Interview erklärt.
sdr
02.05.2014 - 12:27 Uhr
Berlin – - Selbstoptimierung, Konkurrenzdenken und Berechnung haben sich heute fast schon zu positiven Werten entwickelt. Das beanstandet die Berliner Philosophin und Publizistin Ariadne von Schirach und fragt sich in ihrem Buch „Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst“, was dieses Denken mit den Menschen und ihren Beziehungen macht. Im StZ-Interview beschreibt sie ihr Unbehagen angesichts der auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft und erklärt, warum es wichtig ist, alte Fragen neu zu stellen.
Frau von Schirach, sind Sie damit einverstanden, dass ich Ihr Buch folgendermaßen zusammenfasse: Der Kapitalismus ist böse, der Schönheitswahn wird immer schlimmer, die Menschen immer oberflächlicher?
Unter keinen Umständen. Das ist viel zu einfach. Ich denke, dass die ökonomische Sphäre angefangen hat, ihre Werte wie Sicherheit, Effizienz und Profitmaximierung in anderen Sphären auszubereiten. Zum Beispiel in Universitäten oder Krankenhäusern und mehr und mehr beim Menschen selbst, der sich in eine Ich-AG verwandelt und dadurch auch zum Produkt wird: sichtbar, lesbar und vergleichbar. Ob in sozialen Netzwerken, Castingshows oder innerhalb der Datingkultur: jeder steht in der Konkurrenz zu den Bildern der anderen. Am Ende der Ökonomisierung steht die totale Vereinzelung.
Und daran ist das System schuld?
Es geht nicht um Schuld. Sondern um Verantwortung und Wechselwirkung. Systeme produzieren Meinungen und Werte, und Menschen produzieren Systeme. Der Kapitalismus sitzt ja nicht irgendwo und ist ein dicker Mann. Obwohl wir in den Verhältnissen leben und leben müssen, sind wir zugleich die Verhältnisse. Es liegt an jedem Einzelnen, wie viel er vom herrschenden Zeitgeist verkörpert.
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Ariadne von Schirachs Buch ist gerade erschienen. Foto: Verlag
Ist es nicht so, dass sich Menschen in kapitalistisch geprägten Gesellschaften besonders nach ideellen Werten wie Solidarität und Freundschaft sehnen und das auch ausleben?
Es gibt immer Gegenkräfte. Ich schreibe im Buch auch über Geschichten des Gelingens, über Menschen, die aneinander festhalten und sich für einander einsetzen, die Verantwortung übernehmen für die Welt, die um sie herum ist. Mein Anliegen ist die Verteidigung des Lebendigen angesichts seiner schleichenden Totalverwertung.
Auf der anderen Seite beschreiben Sie den Menschen als Ich-AG, der sich ständig selbst optimiert. Wie meinen Sie das?
Der Markt beruht auf Konkurrenz. Wenn sich unser soziales Leben den Normen des Marktes unterwirft, dann wird der Konkurrenzkampf zum Alltag. Ich habe gerade eine Anzeige eines großen Versandhauses gesehen, darauf trägt eine Frau ein Kleid, auf dem steht „Meins, nicht deins“. Das ist doch zum Heulen! Das ist das Gegenteil von Solidarität. Oder nehmen wir das Beispiel der Datingkultur: Da geht es doch darum, immer ganz genau zu wissen, wer man ist und was man will. Dabei wissen wir eigentlich gar nicht immer, wer wir sind und was wir wollen. Der bildgewordene Mensch ist ziemlich tot.