Nach dem Erfolg von „Nader und Simin“ fühlt sich der Regisseur Asghar Farhadi unter strenger Beobachtung, sagt er im StZ-Interview.

Stuttgart - Es ist nicht schön, jederzeit mit einem Berufsverbot rechnen zu müssen, sagt der in Teheran lebende Asghar Farhadi. Aber so, wie sich Eskimos mit der Kälte arrangieren, müsse auch er prekäre Lebensumstände akzeptieren.

 

Herr Farhadi, nachdem Sie im Februar den Goldenen Bären gewonnen haben, ist Ihr Film auch im Iran in die Kinos gekommen. Wie waren die Reaktionen?

Ich habe eine Welle der Begeisterung erlebt wie noch bei keinem anderen meiner Filme. Tatsächlich gehört "Nader und Simin" zu den erfolgreichsten iranischen Filmen der vergangenen Jahre. Was noch wichtiger ist: es wurde wirklich viel über ihn gesprochen, im Internet und in Zeitungen. Nicht nur von Filmkritikern, sondern auch von anderen Intellektuellen und sogar von Politikern.

Waren die Politiker auch so begeistert?

Die Meinungen haben das gesamte Spektrum abgedeckt, von Begeisterung bis Missfallen. Aber von Kontroversen würde ich nicht sprechen. Dafür bietet mein Film zu wenig politischen Sprengstoff, auch wenn ich ihn nicht als völlig unpolitisch bezeichnen würde. Es bleibt nur eben jedem Zuschauer selbst überlassen, das Politische im Privaten zu erkennen.

Liegt dieser Rückzug ins Private an der mangelnden Meinungsfreiheit im Iran?

So würde ich das nicht sagen. Meiner Meinung nach ist meine Art des Filmemachens die politischste, die ich mir überhaupt vorstellen kann. Ich rege die Menschen zum Nachdenken an, was könnte politischer sein? Selbst wenn sich unser System plötzlich wandeln würde, wäre meine Arbeit kein bisschen anders als jetzt. Statt politischer Pamphlete bevorzuge ich Subtilität.

Verstehen Sie, warum manche Ihrer Kollegen, nicht zuletzt Jafar Panahi, sehr viel offensiver die Missstände im Iran anprangern und sich damit in Gefahr begeben?

Selbstverständlich. Aber Sie müssen auch verstehen, dass jeder Regisseur anders arbeitet und andere Themen sucht.

Haben Sie eigentlich Kontakt mit Panahi?

Wir sehen uns oft in Teheran. Er kann sich, während er auf sein Revisionsurteil wartet, ja frei bewegen. Für mich sind Panahi und der ebenfalls verurteilte Regisseur Mohammad Rasoulof enge Freunde, mit denen ich mitleide.

Berufsverbote sind Normalität

Sich frei zu bewegen ist eine Sache, das Berufsverbot eine andere...

Richtig, das ist gerade für einen engagierten Filmemacher schrecklich. Aber ein neues Phänomen ist diese Art der Strafe im Iran nicht. Schon nach der islamischen Revolution wurden viele Regisseure damit belegt, und zwar lebenslang. Anders als heute gab es damals allerdings kaum empörte Reaktionen aus dem Ausland, wohl deshalb, weil viele Intellektuelle die Revolution zunächst unterstützten. Ich empfinde das durchaus als eine ärgerliche Doppelmoral des Westens.

Womöglich ist das nicht doppelmoralisch, sondern der Anfang eines Wandels?

Das mag sein. Und ich bin durchaus überzeugt, dass dem Iran Veränderungen der positiven Art bevorstehen. Aber ich würde trotzdem immer fordern, dass man als Intellektueller nicht einfach einer solchen Welle folgt, sondern stets eine gewisse Distanz wahrt.

Haben Sie durch den Erfolg von "Nader und Simin" mehr Freiheit? Oder stehen Sie unter noch strengerer Beobachtung?

Ich würde denken, dass eher Letzteres der Fall ist, und zwar im politischen Sinn genauso wie im künstlerischen. Je größer der Erfolg, desto genauer schauen dir alle auf die Finger und warten womöglich sogar auf einen Fehltritt. Aber das muss nichts Schlechtes sein, denn es hat zur Folge, dass man noch gründlicher arbeitet und an seiner Selbstkontrolle feilt.

Ist es nicht unerträglich, dass ein falsches Wort zum Berufsverbot führen kann?

Natürlich ist das nicht schön. Aber Eskimos können sich auch Schöneres vorstellen als die Kälte, und trotzdem ziehen sie nicht alle nach Italien. Unsere Lebensumstände sind für uns Normalität.

Jenseits cineastischer Moden: Asghar Farhadi

Nachzügler Auch Filmkunst kennt Modewellen. Als Asghar Farhadi, Jahrgang 1972, der zunächst fürs iranische Fernsehen gearbeitet hatte, Mitte des vergangenen Jahrzehnts in den internationalen Festivalzirkus vorstieß, schien dessen innigstes Interesse am Iran bereits Geschichte.

Aufholer Farhadi konnte sich immerhin einen guten Namen machen. Seine Filme aber fanden zunächst kaum Verleiher, auch dies ein Zeichen, dass der iranische Film aus dem Blick rückte. Schon vor dem Goldenen Bären dieses Jahr für „Nader und Simin“ erlebte Farhadi aber den Durchbruch in Berlin. Sein Film „Alles über Elly“ erhielt 2009 schon den Silbernen Bären.