Exklusiv Gibt Syrien wirklich seine Chemiewaffen auf? Außenminister Guido Westerwelle mahnt, das Regime in Damaskus nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten zu messen.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)
Stuttgart – - In Genf verhandeln die USA und Russland, wie das syrische Chemiewaffenarsenal unter internationale Kontrolle gebracht werden kann. Der Bundesaußenminister bietet für die Entsorgung der Giftgasarsenale deutsche Hilfe an.
Herr Westerwelle, der syrische Präsident Assad hat einen Militärschlag der USA abgewendet und ist plötzlich wieder ein anerkannter Verhandlungspartner auf der internationalen Bühne. Ist Assad der heimliche Sieger des diplomatischen Blitzschachs der letzten Tage?
Wenn es zu einer politischen Lösung ohne militärische Intervention in Syrien käme, dann wären die Sieger die Menschen, die erstmals seit mehr als zwei Jahren eine Perspektive für Frieden sähen. Es sind bereits mehr als hunderttausend Syrer gestorben, Millionen sind auf der Flucht. Ein Ende der Gewalt und ein demokratischer Neuanfang wird nur über einen politischen Prozess gelingen.
Sind wir einer solchen politischen Lösung wirklich näher gekommen?
Jedenfalls würden sich die Chancen für eine politische Lösung durch eine Einigung zwischen Russland und den USA verbessern. Aber Skepsis ist noch immer angebracht. Wir messen das Regime in Damaskus an seinen Taten, nicht an seinen Worten.
Assad stellt doch schon wieder Bedingungen – unter anderem, dass die USA auf die Drohung mit Gewalt verzichten sollen. Ist nicht offensichtlich, dass er auf Zeit spielt?
Das Regime hat am Donnerstag den Beitritt zum Chemiewaffenübereinkommen beantragt. Das ist nur ein erster Schritt, aber er geht in die richtige Richtung. Aber die Verfahren des Beitritts dürfen nicht dazu genutzt werden, um Zeit zu schinden. Assad muss jetzt Farbe bekennen.
Wie kann man denn verhindern, dass er und die Russen auf Zeit spielen?
Indem ein konkreter Fahrplan vereinbart wird, der Schritt für Schritt zu greifbaren Ergebnissen führt. Mit der Unterzeichnung des Chemiewaffenabkommens, das zur Offenlegung, Kontrolle und Vernichtung der Waffen verpflichtet. Mit unverzüglicher Herstellung von Transparenz, welche Waffen in Syrien lagern. Und indem sofort daran gearbeitet wird, wie eine internationale Aufsicht über die Chemiewaffen erfolgen kann.
Bisher stand Russland fest an der Seite des Assad-Regimes, was sollte hier einen Sinneswandel erzeugen?
Der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien – der auch von Präsident Putin nicht mehr bestritten wird – könnte in Russland, aber auch in China zu einem Umdenken führen. Es gibt ja nicht nur in Syrien, sondern auch in Nordkorea große Chemiewaffenarsenale. Würde die Weltgemeinschaft den Einsatz von Chemiewaffen hinnehmen, dann wächst die Gefahr, dass in Syrien nicht der letzte Einsatz von solchen Waffen in diesem Jahrzehnt war.
Für die Zerstörung des Giftgases in Syrien müsste eine internationale Schutztruppe aufgestellt werden. Stünden dafür deutsche Soldaten und deutsches Material – etwa der Fuchs-Spürpanzer – zur Verfügung?
Deutschland wird sich nicht militärisch in Syrien engagieren. Aber wenn uns jetzt bei den Chemiewaffen echte Bewegung gelänge, wäre es denkbar, dass wir bei der Vernichtung eine wichtige Rolle spielen. Dass Deutschland eine besondere Expertise bei der Kontrolle und Vernichtung von chemischen Waffen hat, haben wir in den letzten Jahren bewiesen. So wirken wir beispielsweise ohne großes öffentliches Auf sehen an der Vernichtung von Chemie waffen in Libyen mit.
Kann es eine politische Lösung in Syrien noch mit Assad geben?
In der ersten Genfer Syrien-Konferenz wurde vereinbart, dass eine Übergangsregierung aus Vertretern der Bürgerkriegsparteien gebildet wird, über die Einvernehmen erzielt werden muss. Schon daraus ergibt sich, dass Präsident Assad nach all den Grausamkeiten kaum noch für sein Land sprechen kann. Für uns ist wichtig, dass der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof beauftragt, unabhängige Ermittlungen einzuleiten, damit die Verantwortlichen für den Chemiewaffeneinsatz zur Rechenschaft gezogen werden.
Assad hat nur unter der Androhung amerikanischer Gewalt eingelenkt. Müssen Sie und die Bundesregierung Ihre skeptische Haltung gegenüber einem möglichen Militärschlag nachträglich revidieren?
Die Europäische Union hat eine einstimmige Position, dass nur eine politische Lösung Frieden und dauerhafte Stabilität bringen kann. Das ist weiterhin richtig.
Präsident Obama will die militärische Drohung dennoch aufrechterhalten.
Ich bewerte in so einer schwierigen Lage die inneren Diskussionen von Bündnispartnern nicht. Gelegentlich heißt es fälschlicherweise, dass sich die Amerikaner bereits für einen Militärschlag entschieden hätten. Richtig ist, dass Präsident Obama angekündigt hat, ein Votum des Kongresses abzuwarten. Die Debatte in Washington konnte jeder verfolgen.
Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, vermutet allerdings, dass sich Deutschland nach der Bundestagswahl neu aufstellen muss und seine Politik militärischer Zurückhaltung nicht fortführen kann. Liegt er richtig?
Wenn die FDP in der nächsten Bundesregierung vertreten ist, wird die deutsche Außenpolitik den Kurs der militärischen Zurückhaltung weiter verfolgen. Ich kann kein „Erwachsenwerden“ Deutschlands darin erkennen, dass wir leichter bereit sind, bei Militärinterventionen mitzuwirken.
Wäre nicht wenigstens mehr deutscher Einsatz bei der Flüchtlingshilfe notwendig?
Wir haben mehr als 400 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in und aus Syrien bereitgestellt, weit mehr als jemals zuvor. Wir haben 18 000 Menschen aus Syrien bereits Zuflucht in Deutschland gewährt, weitere 5000 werden aufgenommen. Das ist vorbildlich. Ich halte es für wünschenswert, dass andere europäische Partner dem Beispiel folgen.