Kultur: Stefan Kister (kir)
Haben die Verlage ein Solidarisierungsproblem?
Das müssen sie sich vorwerfen lassen. Es reicht nicht, Amazon zu dämonisieren und zu versuchen, in einer verworrenen Situation mit der Moralkeule Klarheit zu schaffen. Wir haben hier neue Strukturen, die sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren herausgebildet haben. Immer wenn sich etwas ändert, kommt es zu solchen Akkumulationen von Macht. Wenn dann nicht Organisation stattfindet, egal ob unter Arbeitnehmern oder den Verlagen, ist es sehr schwer, sich zu wehren. Der Einzelne ist machtlos, es geht nur zusammen.
Gilt das auch für Autoren? Was, wenn die vielen, die sich dem Protest angeschlossen haben, Amazon boykottieren würden?
Als Autor verkauft man seine kompletten Rechte an die Verlage. Wir können nicht darüber entscheiden, wer wo und wie unsere Bücher vertreibt.
Wer ist eigentlich der Adressat des Protestes: der Amazon-Konzern, an den der Brief gerichtet ist, die Politik oder der Verbraucher?
Das strahlt in alle Richtungen. Mich hat vor allem die mediale Resonanz positiv überrascht. Das zeigt, dass längst eine große Sensibilisierung stattgefunden hat. Das ist Teil eines allgemeinen Bewusstseinswandels gegenüber der digitalen Sphäre. Es ist eben nicht mehr so, wie immer behauptet wird, dass allen alles egal wäre. In Wahrheit interessiert das die Leute sehr, es weiß nur noch keiner so richtig, was jetzt eigentlich gemacht werden soll. Und das liegt zum Teil am Versagen der Politik. Die müssten längst Vorschläge bringen, Konzepte erklären, Visionen entwickeln. Wenn keine Ideen entwickelt werden, ist es auch ziemlich schwierig, sich darüber zu unterhalten, was man eigentlich will.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat eine kartellrechtliche Klage gegen Amazon eingereicht. Andererseits geben Wettbewerbsökonomen zu bedenken, dass der Konzern mit einem Marktanteil von etwas über 20 Prozent weit davon entfernt ist, jener Monopolist zu sein, als der er gilt.
Wir kommen nicht damit weiter, hundert Jahre alte Gesetze auf eine neue Situation anzuwenden. Die Dinge ändern sich und möglicherweise auch das, was unter einem Kartell im Internetzeitalter zu verstehen ist. Die Frage, ab wann die Macht einzelner Marktteilnehmer das Gesamtgleichgewicht stört, muss neu beantwortet werden, auch durch Gesetzesänderungen.