Der Chef der Barmer Ersatzkasse im Land, Winfried Plötze, fordert eine engere Zusammenarbeit zwischen Ärzte in Kliniken und Praxen.

Stuttgart - Medizinische Angebote von der Arztpraxis bis hin zum Krankenhausbett sind zu wenig bedarfsorientiert verteilt. Auch im Südwesten gibt es Über- und Unterversorgung. Das müsse sich ändern, fordert die Barmer Ersatzkasse.

 
Herr Plötze, die sogenannte sektorenübergreifende Versorgung im Gesundheitswesen ist wieder mal aller Munde. Eine bessere Verzahnung der Arbeit vor allem von Kliniken und niedergelassenen Ärzten wird seit Jahrzehnten gefordert, doch getan hat sich wenig. Woran liegt‘s?
Wir haben diese Diskussion tatsächlich seit 25 Jahren. Davor gab es keine Notwendigkeit, etwas zu ändern. Die Zementierung der Sektoren begann mit Einführung des Kassenarztrechts 1955. Nun wird angesichts der demografischen Herausforderung immer klarer, dass wir so nicht weiter machen können.
Warum?
Die erhöhte Krankheitslast in einer Bevölkerung, die immer älter wird, schafft enormen Druck. Die Politik muss einfach reagieren.
Tut sie das?
Schon. Selbst Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nimmt das Wort von der sektorenübergreifenden Versorgung jetzt öfter in den Mund, Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) sogar noch häufiger. Das ist kein Wunder: In den Landkreisen Biberach, Reutlingen und Ravensburg läuft ein Modellversuch des Landes, dort wird die Vernetzung aller Ärzte und Kliniken sowie sonstiger ambulanter und stationärer Anbieter erprobt. Baden-Württemberg ist das einzige Land, in dem es so etwas gibt.
Wie bekommt man es hin, Patienten sektorenübergreifend zu versorgen?
Alles steht und fällt mit der Bedarfsplanung. Man muss sich fragen: Wo wird welches Angebot für welche Patientengruppe benötigt? Bisher werden die Bedarfe für Arztpraxen und Kliniken getrennt voneinander ermittelt. Für Kliniken sind die Länder zuständig, für Praxen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) , in dem Ärzte, Krankenkassen und Kliniken vertreten sind. Schon die Bedarfsplanung muss deshalb besser verzahnt werden, und zwar auf einer breiteren Datenbasis.
Was meinen Sie damit?
Bisher wird nur die reine Kopfzahl berücksichtigt, also die Zahl der Menschen, die in einer Region leben. Wir als Barmer wünschen uns, dass Demografie und Krankheitslast stärker mit eingebunden werden. In einer Region mit sehr vielen jungen Familien würde man mehr Kinder- und Jugendärzte vorsehen. Und dort, wo mehr Ältere Menschen über 60 leben, mehr Orthopäden und Internisten. Die Praxissitze sind im Moment dem Prinzip nach über alle Regionen gleich verteilt, das sorgt für Wartelisten vor allem bei Fachärzten.
Wie spielen die Kliniken mit hinein?
Mittlerweile existieren 20 ambulante Maßnahmen, die an Krankenhäusern erbracht werden. Einzeln betrachtet mag das sinnvoll sein, aber diese stationären Angebote sind nie in einen Gesamtkontext eingebettet worden. Wenn es ausreichend niedergelassene Fachärzte in der Nähe einer Klinik gibt, die deren ambulante Leistungen auch anbieten, bedeutet das eine Überversorgung, wenn es für die abgebildeten Krankheitsbilder nicht ausreichend hohe Patientenzahlen gibt. Gerade bei Kliniken der Grund- und Regelversorgung haben wir eine große Schnittmenge zum ambulanten fachärztlichen Bereich. Das spricht für eine gemeinsame Bedarfsplanung.
Wie würden Versicherte das spüren?
Im Moment haben wir das Problem, dass es in vielen Großstädten eine Überversorgung gibt, im hausärztlichen wie im fachärztlichen Bereich. Auf dem Land dagegen droht eine Unterversorgung, Stichwort: Wartelisten. Sollte es zukünftig nicht möglich sein, diese drohende Unterversorgung durch Förderprogramme zu verhindern, könnten Fachärzte, die im Krankenhaus angesiedelt sind, die Lücke ausfüllen. Bei den Kliniken sehe ich durchaus die Bereitschaft, in diese Richtung zu gehen. Es gibt einige Häuser, die Kassenarztsitze aufkaufen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gründen, um in die ambulante Versorgung einzusteigen. Allerdings muss das geregelt laufen, dazu braucht es Richtlinien des G-BA.
Sollte man darauf setzen? In diesem Selbstverwaltungsgremium werden doch gerne auch Erbhöfe verteidigt.
Ich gebe Ihnen recht, deshalb muss der Initialfunke von der Politik kommen. Der G-BA muss den politischen Auftrag für eine übergreifende Bedarfsplanung erhalten mit den Komponenten Demografie, Morbidität und Bevölkerungsanzahl. Aber auch damit wäre es noch nicht getan.
Was meinen Sie?
Die Messe ist erst gelesen, wenn die Vergütung geregelt ist. Dann wird sich zeigen, wie hoch die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wirklich ist. Nur ein Beispiel: Eine Linksherzkatheter-Untersuchung kostet im Krankenhaus dreimal so viel wie beim niedergelassenen Arzt. Gleicher Preis für gleiche Leistung – dieses Prinzip muss gelten.

http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.medizinermangel-der-arzt-bleibt-im-dorf.1d3abe4e-2d62-4d40-8963-52dd1a69fa17.html