Bela B auf Solopfaden: der Schlagzeuger der deutschen Rockband Die Ärzte stellt in Stuttgart seine drittes Album „Bye“ vor. Im StZ-Interview spricht er über neue Inspirationen, Kochshows und Spermaflecken im Auto.

Stuttgart – - Dirk Felsenheimer alias Bela B, 51, den meisten bekannt als singender Schlagzeuger der Band Die Ärzte, widmet sich auf seinem neuen, dritten Soloalbum „Bye“ der Country- und Americana-Musik. Vor seinem Konzert in Stuttgart erzählt er, was ihn an diesem Genre reizt, wieso er unbedingt über Spermaflecken im Auto singen wollte und warum er als Familienvater nicht in Familienshows auftreten will.
Bela B, auf Ihrem neuen Album „Bye“ spielen Sie Country- und Americana-Musik. Auf die Idee gebracht hat Sie das Quartett Smokestack Lightnin’ aus Nürnberg. Hat es zwischen Ihnen sofort gefunkt?
Ich hab diese Band im Radio gehört und war sofort gefesselt von ihrem Sound. Ihre Musik führt den Hörer hinaus ins Weite und transportiert Aufbruch. Man kann sich dazu eine Wüste vorstellen. Solch einen kompakten und gleichzeitig großen Sound habe ich von einer deutschen Band noch nicht gehört. Ich finde sie auch live sehr überzeugend. Und jetzt gibt es unser gemeinsames Album.
Aber Sie nutzen nicht alle verfügbaren Mittel, um die Platte zu bewerben.
Da gibt es eine ganze Verlagsgruppe, die ich versuche, möglichst zu umgehen. Wobei das inzwischen leider nicht mehr funktioniert, weil dort auch bestimmte Musikzeitschriften erscheinen. Die Ärzte sind die einzige Band, die viermal „Wetten, dass . . ?“ abgesagt hat. Es gibt Formate und ein Umfeld, in dem wir nicht stattfinden wollen. Ich finde auch Frühstücksfernsehen schwierig. Ich kann mir nicht vorstellen, dort Brötchen essend zu sitzen und darüber zu reden, wie müde ich am Morgen bin. Man sollte aber niemals nie sagen.
Wäre es nicht herrlich subversiv, mit der Ballade „Sentimental“, in der Sie Spermaflecken besingen, in einer Familiensendung wie „Wetten, dass . . ?“ aufzutreten?
Bela B solo würden die wahrscheinlich gar nicht haben wollen. Zudem ist „Wetten, dass . . ?“ kein Format für Musik, die für mich persönlich eine Rolle spielt. Innovativ wäre es dagegen, als Musiker in Kochshows aufzutreten. Das ist ein Aufruf an mutige Sendungsmacher, aber ich glaube, „Sendungsmacher“ und „mutig“ schließt sich in Deutschland aus. Ich will aber nicht zu sehr auf alle eindreschen, das liest der Falsche, und dann stehe ich schon wieder auf irgendeiner roten Liste. Aber mir kann es auch egal sein.
In der Ballade „Sentimental“ geht es um einen Spermafleck auf dem Rücksitz Ihres Wagens. Ist das nicht ein bisschen pubertär für einen erwachsenen Musiker?
Nein. Würde das ein englischer Musiker singen, hätte de facto niemand etwas dagegen einzuwenden. In dem Song geht es ja auch nicht wirklich um Spermaflecken, das ist nur ein Wort, an dem sich die Leute gerne aufhalten. Ursprünglich hatte ich das Stück für Die Ärzte geschrieben. Die Idee war, ein tragisches Liebeslied zu schreiben, in dem dieses furchtbar sperrige Wort „Spermafleck“ möglichst häufig vorkommt. Das habe ich dann aber fast komplett eliminiert, nur einmal sollte es noch vorkommen und zwar direkt am Anfang. Herausgekommen ist ein selbstbemitleidendes, ganz tragisches Lied, das auch noch in einem Auto spielt.
Mithin ein klassischer Country-Song?
Ein klassischer Country-Song, der allerdings durch dieses Wort gebrochen wird. Wenn das jetzt nicht intellektuell verklärt ist, dann weiß ich auch nicht. Neulich habe ich den Song bei einem Akustikkonzert für Radio Eins, dem sogenannten Erwachsenensender, gespielt. Deren Macher haben meine Jugend geprägt mit jungem anarchistischem Radio. Von den 100 Anwesenden mussten 80 kichern in dem Moment, als ich „Spermafleck“ sang. Aber eine Minute später waren alle gebannt von der traurigen Geschichte.
Ist abseitiger und schwarzer Humor für Sie die einzige Möglichkeit, die Welt zu ertragen, ohne wahnsinnig zu werden?
Nein, ich bin eigentlich fein mit der Welt. Aber es macht mich schon nachdenklich, wenn ich sehe, was mit der Musik passiert. Als ich meinen ersten Vertrag bekam, hat der Chef der Plattenfirma gesagt, dass sein Geschäftsbereich zwar sehr erfolgreich sei, aber nach wie vor stehe die Musikindustrie hinter der Christbaumschmuck-Industrie. Heute ist Musik nur noch eine Dreingabe, meine Platte war eine Woche nach Erscheinen bei einem großen Internetkaufhaus bereits ausverkauft. Ich finde, es ist ein Unding, dass Maschinen über die Verfügbarkeit meiner Platte bestimmen. An einer Waschmaschine verdient dieser Händler mehr Geld, als wenn er 30 Platten von mir verkauft. Gleichzeitig wird erwartet, dass man als Musiker seine Songs umsonst ins Netz stellt. Es ist traurig.
Sie sind vor einiger Zeit zum ersten Mal Vater geworden. Haben Sie sich jetzt einen relativ normalen, gesellschaftsfähigen Arbeitsrhythmus angeeignet?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Mein Privatleben halte ich aus der Öffentlichkeit komplett raus. Natürlich bin ich älter geworden, und eine voll besetzte, verqualmte Kneipe inspiriert mich heute nicht mehr so sehr. Seit einigen Jahren sehe ich mehr Tageslicht als ich es früher für möglich gehalten habe.
Beflügelt Sie das Tageslicht heute genauso wie die Nacht?
Die Inspiration kommt von überall. Ich notiere mir ständig Sachen, über die ich mal schreiben will. Früher kam das tatsächlich überwiegend aus der Nacht heraus. Inspirierend war auch die Zusammenarbeit mit Lee Hazlewood.
Apropos Zusammenarbeit: Sie haben diverse bekannte Country-Sängerinnen gebeten, Ihnen „One, two, three, four“ auf Band zu sprechen, und das dann in Lieder eingebaut. Welche Begegnung hat Sie besonders beeindruckt?
Emmylou Harris hat mir den Einzähler in mein Aufnahmegerät gesprochen, ich habe nur vergessen, auf Aufnahme zu drücken, weil ich zu aufgeregt war. Diese Frau ist ein wandelndes Denkmal, sie hat „Love hurts“ mit Gram Parsons gesungen. Wenn man ihr gegenübersteht, kann man nicht anders als sich in die Hosen zu machen. Selbst mit schlohweißen Haaren ist Emmylou Harris noch charismatisch und wunderschön. Eine Woche später bekam ich eine Einladung zum Lucinda-Williams-Konzert, ihre Musik taucht oft in den Filmen der Coen-Brüder auf. Alle prophezeiten mir, diese Frau sei schwierig, und der Tourmanager sagte: „Nur immer meine Leiche!“ Und am Ende des Abends war ich in Berlin mit ihr und ihrem Mann essen, und zwischen Salat und der Hauptspeise gingen wir kurz vor die Tür und nahmen ein paar Einzähler auf.
Warum sind diese Einzähler so wichtig?
Das war eine echte Schnapsidee, aber ich mache es mir nicht gerne einfach. Eine Sängerin, die in Hamburg wohnt und die ich sehr verehre, war eine Enttäuschung, denn ihr Mann wollte erst mal über Geld reden. In welcher Welt lebt der? Mit Doris Day und Petula Clark hat es nicht funktioniert, dafür habe ich mit Wanda Jackson telefoniert, als sie gerade in Oklahoma am Frühstückstisch saß. Es war fast ein Abenteuer. Aber auch das ist Pop: sich mit Details aufzuhalten und diesen Leuten noch mal Tribut zu zollen. Auf meiner Website kann man sich über jede einzelne Dame und deren Werk informieren.