Bekommt die Hauptstadt zu viel Geld? Berlins scheidender Finanzsenator Ulrich Nußbaum fordert eine ehrliche Debatte – und verlangt die Offenlegung aller Finanzströme zwischen Bund und Ländern.

Berlin – - Das Land Berlin spare seit Jahren härter als andere Bundesländer, sagt der scheidende Finanzsenator Ulrich Nußbaum im Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Aber wirtschaftlich sei die Stadt immer noch im Hintertreffen.
Herr Nußbaum, Sie scheiden in dieser Woche gemeinsam mit Klaus Wowereit aus dem Amt. Was wird Ihnen am meisten fehlen?
Puh, gute Frage. Was mir bestimmt nicht fehlen wird, sind die selbstbezahlten Brötchen bei den Sitzungen zur Senatsvorbereitung. Oder der Senatorentitel. Aber ich werde es wirklich vermissen, an vorderster Stelle Berliner Politik mitgestalten zu können. Gemeinsam mit wirklich tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Finanzverwaltung.
Berlin hat in den vergangenen Jahren große Sparbemühungen unternommen und ist trotzdem noch hoch verschuldet. Nehmen wir an, der Weg von der Totalpleite bis zur gesunden Stadt ist zehn Kilometer lang. Wo steht Berlin dann heute?
Was die Konsolidierung des Haushaltes angeht, sind wir eigentlich nahezu am Ende des Weges. Wir werden zum dritten Mal in Folge Überschuss machen und damit Schulden tilgen. Aber wirtschaftlich ist die Stadt trotz des starken Wachstums immer noch im Hintertreffen. So schnell lässt sich Geschichte nicht wieder aufholen. Davon zeugt ja auch der immer noch hohe Schuldenstand.
Eine Sache, die jeder Mensch mit Berlin und Geldverschwendung in Verbindung bringt, ist der Pannenflughafen BER. Wie sehr schadet der Flughafen der Stadt finanziell?
Der Flughafen selbst wird eine Erfolgsgeschichte, wir transportieren jetzt schon mehr als 26,3 Millionen Passagiere im Jahr. Finanziell ist der Bau natürlich eine sehr starke Belastung. Aber es wird ja gerne vergessen: das ist nicht nur ein Berliner Flughafen. Er gehört ja zu fast gleichen Teilen drei Gesellschaftern, dem Bund, dem Land Brandenburg und Berlin. Also werden auch die Lasten entsprechend aufgeteilt. Zuletzt hat Berlin 444 Millionen Euro bereitgestellt, und da er noch nicht fertig ist, werden auch weiter Mittel in den Flughafen fließen müssen. Trotzdem ist es ein zentrales Infrastrukturprojekt, das wir brauchen und das am Ende funktionieren wird.
An Tag Ihres Rücktritts, dem 11. Dezember, treffen sich die Ministerpräsidenten mit dem Bund um über Geld zu reden. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem die Neuregelung des Länderfinanzausgleiches und der Solidaritätszuschlag. Worum geht es dabei für Berlin?
Für Berlin und für die Ostländer geht es um sehr viel. Ein Viertel unseres Staatshaushaltes kommt aus dem Länderfinanzausgleich oder Finanzzuweisungen des Bundes. Deswegen sind die Gespräche über die Finanzbeziehungen zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern extrem wichtig. Die Positionen sind aber so weit auseinander, dass sich diese Woche vermutlich nichts entscheiden wird.
Was will Berlin erreichen?
Berlin verliert schon jetzt allein durch den Wegfall des Solidaritätszuschlages allein in diesem Jahr 1,1 Milliarden Euro. Die sind einfach weg. Wir dürfen uns aber nicht verschlechtern. Berlin wächst und wir müssen weiterhin in notwendige Aufgaben wie Polizei, Kitas, Schulen oder Krankenhäuser investieren können. Wir leisten uns mitnichten mehr als andere. Im Gegenteil: Wir haben deutlich weniger ausgegeben als alle anderen.
Sie wollten einen Altschuldenfonds – das wird wohl eher nichts, oder?
Mit Blick auf die Schuldenbremse, die 2020 in Kraft tritt, wollen wir gemeinsam mit anderen Ländern mit hoher Pro-Kopf-Verschuldung über das Thema Altschulden reden. Das Thema ist aber zugegeben noch offen. Zur Zeit sind die Positionen insgesamt noch so weit voneinander entfernt, dass man nicht einzelne Teile vorschnell aufgeben sollte.
Was ist denn aus Ihrer Forderung geworden, der Bund möge mal alle Finanzströme an die Länder offenlegen?
Das ist eine zentrale Forderung, die ich schon als Bremer Finanzsenator gestellt habe. Denn beim Länderfinanzausgleich reden wir über ein Volumen von acht Milliarden. Aber aus dem Bundeshaushalt fließen zusätzlich Milliarden für andere Projekte an die Länder, zum Beispiel die Solarförderung oder Infrastrukturmittel. Aber darüber möchten meine Kollegen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen dann lieber nicht reden. Das halte ich für eine unehrliche Diskussion. Wenn man über die Verteilung von Mitteln aus dem Länderfinanzausgleich redet, muss man auch über alle anderen Finanztransfers reden, was die Geberländer leider verhindern.
Von all diesen Mitteln abgesehen bekommt Berlin ja für seine Lasten eine eigene Hauptstadtförderung von 60 Millionen Euro. Ist das nicht genug?
Die Hauptstadt ist ein Verlustgeschäft. Wir haben Aufwendungen für den Bund und die anderen Länder, wir müssen Botschaften schützen, Demonstrationen begleiten, der Staatsapparat kostet Geld. Das wird im Hauptstadtvertrag nicht erstattet. Bei der Neuverhandlung muss klar werden, dass die Hauptstadtfunktion kein Zuschussgeschäft sein kann.
Es wurde immer mal wieder diskutiert, aus Berlin verwaltungstechnisch so etwas wie Washington D.C. zu machen. Was halten Sie davon?
Wenn man das ernst meint, würde das eine territoriale Neuordnung bedeuten. Berlin wäre kein Bundesland mehr. Dazu gäbe es sicherlich keine Zustimmung der Berliner. Wir wollen keinen Sonderstatus! Außerdem würde man insgesamt eine Diskussion über die territoriale Neugliederung der Republik bekommen. Das würde Bremen, Hamburg, das Saarland betreffen. Das will niemand, also führt der Vorschlag nicht weiter
Wenn Ihnen ein Stuttgarter sagt, Berlin macht es sich bequem auf Kosten der Leistungsträger im Bund – was antworten Sie dem?
Ich sage: Das stimmt nicht. Berlin hat in den letzten Jahren einen ganz harten Konsolidierungskurs gefahren. Das sieht man auch an den Zuständen, die jetzt beklagt werden, wie zum Beispiel den nicht umfassend sanierten Schulen. Wir bezahlen unsere Beamten deutlich schlechter als beispielsweise Baden-Württemberg, Lehrer verdienen bei uns viel weniger. Ich gönne anderen Ländern ihren wirtschaftlichen Erfolg, wir nehmen uns das sicherlich zum Maßstab. Aber man muss auch respektieren, dass die Unternehmen, die nach der Teilung die Stadt verlassen haben, nicht wiederkommen, weil die Stadt vereinigt ist. Für Berlin ist es sehr schwierig, da wieder anzuknüpfen, wo die Stadt vor dem Krieg mal war. Dabei gibt es Erfolge: Wir haben das stärkste Wirtschaftswachstum. Aber wir kommen von einem niedrigen Niveau. Es wird sicher noch eine Generation dauern.
Wowereit hat die Stadt einmal als unregierbar bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Ich würde das einschränken und lieber sagen: hier herrscht eine hochgradige politische Komplexität – zwischen den zwölf Bezirken, der Landesregierung und der Bundesregierung. Dazu gibt es auch festgefahrene Strukturen. Vielleicht ist es aber auch Teil des Berliner Erfolgsmodells, dass Berlin nicht so typisch deutsch ist: einerseits ergibt sich aus starken Veränderungsprozessen, denen die Stadt ausgesetzt ist, ein enormes kreatives Potenzial. Andererseits muss man die Stadt dann eben auch ein bisschen so nehmen, wie sie ist.