Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)
Surfen steht für mich für Urlaubsvergnügen mit Freunden bei Sonnenschein, hinterher gibt’s am Strand ein Bier. Sie sind auf der Jagd nach den ganz großen Wellen, das heißt harte Arbeit unter – aus Sicht der Allgemeinheit– großer Gefahr bei widrigen Bedingungen. Was ist der Reiz daran für Sie?
Bei uns ist es die Performance. Wir sind natürlich auch an Orten, wo es einen schönen Strand und einen schönen Sonnenuntergang gibt und können es dann genießen. Aber wenn ich in Irland bin, es hat vier Grad Wassertemperatur und minus ein Grad Außentemperatur, dann ist es trotzdem die Performance. Die Kälte ist dann halt noch eine Herausforderung mehr. Die Frage ist dann, habe ich den richtigen Neoprenanzug, habe ich mich richtig aufgewärmt und vorbereitet, habe ich das Richtige gegessen und getrunken, habe ich es geschafft, meine Performance zu bringen, ja oder nein? Das ist der Antrieb und die Motivation die Performance.
Heute sind Sie Profi. Früher haben Sie nebenbei auf dem Bau geschuftet und Zementsäcke geschleppt, um sich den Sport zu finanzieren. Nehmen Sie uns mal mit zurück in diese Zeit, das war ja ein ganz anderes Leben.
Ich habe damals ein Interview in einem Surf-Magazin gegeben und gesagt, ich surfe die größte Welle. Vielen aus der Surf-Industrie ging das gegen den Strich – der Deutsche, respektlos, wie kann er sich anmaßen, dass er irgendwann mal eine große Welle surft? Ich habe seinerzeit beim Umstieg aufs Big-Wave-Surfen auch meine Windsurf-Sponsoren verloren. Da hatte ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich gehe zurück nach Deutschland und versuche die Schule fertig zu machen, oder ich finde einen Weg, wie ich mich selbst auf Hawaii trage. Ich habe dort in einer hawaiianischen Großfamilie gelebt, in einer sehr rauen Umgebung, es gibt da ja ähnlich wie bei den Indianern einen politischen Konflikt, wodurch es parallele Welten gibt. Ich musste irgendwas machen, womit ich Geld verdiene, aber wo ich frei bin, an den großen Tagen zu surfen – und wo ich nicht hinter Gitter gehe oder irgendwelche Konflikte in meinem Leben aufbaue. So kam ich zum Schwimmbadbau.
Sie haben sich mal als „nicht systemkonform“ bezeichnet. Was wäre Plan B gewesen, wenn es doch nicht geklappt hätte, vom Surfen leben zu können?
Dann hätte ich was anderes gemacht. Ich mache mir keine Gedanken ums Geldverdienen. Ich bin auch nicht jemand, der auf Status und Luxus und diese ganzen Dinge angewiesen ist. Deshalb fällt es mir leicht, wenn ich eine Idee habe und dafür erst einmal fünf Jahre kleine Brötchen backen muss, dann kann ich das machen. Mir geht es immer um die Leidenschaft – ich muss Spaß dran haben, was ich mache.
Tauchen Sie mal mit uns in Ihre Gefühlswelt ein im Angesicht einer Riesenwelle oder wenn Sie diese dann auch bezwingen – ist das pure Euphorie, ein Gefühl der Sorgenfreiheit oder ist es auch ein Gefühl der Macht?
Alles so ein bisschen. Wenn ich in einer Welle drin bin und gut performe, fühle ich mich auf der einen Seite sehr mächtig, weil ich Teil von etwas sehr, sehr Mächtigem bin. Man spürt die Energie, die physische Kraft von so einer Welle. Und dass ich die Fähigkeit habe, da zu performen und nicht nur zu überleben, sondern meine eigene Linie zu fahren, mich durchzusetzen und Gas zu geben, das ist mächtig. Aber auf der anderen Seite merke ich immer wieder, bei jeder großen Welle, dass ich so klein bin – mit Hut. Dass ich eigentlich gar nichts im Vergleich zu dieser Macht an Tonnen von Wasser bin.
Die 20-Meter-Wellen, die Sie reiten, umfassen eine Wassermasse von 500 000 Tonnen. Mich hat mal in Australien eine vielleicht zwei oder drei Meter hohe Welle etwas weiter draußen blöd erwischt, mit sich gerissen, verstrubbelt und eine ganze Weile unter Wasser gehalten. Es war eines der unschönsten Erlebnisse meines Lebens, ein bedrückendes Gefühl der Hilflosigkeit, was das Wasser mit einem machen kann. Was für Erfahrungen haben Sie in dieser Richtung gemacht?
Soll ich Ihnen mal ein Bild zeigen? (Er zeigt ein Foto mit einer gewaltigen Riesenwelle, die in Strandnähe über ihm bricht). Das war im Februar in Nazaré in Portugal. Drei von diesen Wellen haben mich erwischt. Es zerreißt einen, es zerreißt einen einfach. Der Neoprenanzug wird weggerissen. Die Sicherheitsrettungsweste bläst sich auf, damit ich schneller nach oben komme. Ich werde völlig unkontrolliert hin und her geschleudert, pralle am Wasser ab, drehe mich 20-mal, das Wasser kommt überall rein. Das könnte absoluter Horror sein. Ich verstehe Leute, die Panik haben und das nie wieder machen wollen, nie wieder ins Wasser gehen oder nie wieder in größere Wellen, für mich ist es aber wieder so ein bisschen Performance, in dem Sinn, dass ich es gut überstehe. Ich weiß ich habe genug Sauerstoff. Ich performe dann, indem ich die Ruhe bewahre, damit ich nicht zu viel Sauerstoff verschwende, dass ich weitersurfen kann, wenn die anderen nicht weitersurfen können und dass ich mental nicht geschädigt herauskomme, sondern das halt einfach abhaken kann. Okay, ich habe fürs nächste Mal gelernt. Das gehört halt einfach dazu. Man muss jedes Mal damit rechnen, wenn man reingeht, aber vergangene Saison war das bei mir das einzige Mal.
Ihre Saison geht hauptsächlich von September bis März, weil es da die größten Stürme auf der Erde gibt. Von Mitte März 2016 bis 2017 lief die Frist für die XXL Global Big Wave Awards, die nun an diesem Samstag in Huntington Beach vergeben werden. Wie stehen Ihre Chancen auf den dritten Titel in der mit 20 000 US-Dollar dotierten Kategorie „Biggest Wave“?
Ich sehe die Chance als relativ groß an. Es war meinem Gefühl nach die größte Welle, die ich jemals in Nazaré gesurft habe. Alles weitere sehen wir bei der Award-Show, es wird spannend.