Oliver Zipse, der Produktionsvorstand des Münchner Autoherstellers BMW, sagt, was Fahrverbote in Innenstädten für die Industrie bedeuten und verrät, ob er neidisch darauf ist, dass der Stuttgarter Hersteller Daimler vergangenes Jahr mehr Autos der Stammmarke verkauft hat als BMW.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart/München - Am Donnerstag beginnt mit dem Genfer Automobilsalon das wichtigste Branchentreffen im Frühjahr. Neben Fahrverboten für Dieselfahrzeuge treibt der drohende Protektionismus die Branche um. Doch kaum ein Hersteller bietet dem US-Präsidenten Donald Trump derzeit öffentlich die Stirn – außer BMW. Die Münchner weichen nicht von den Plänen ab, in Mexiko eine Fabrik zu errichten. Im Interview spricht BMW-Produktionschef Oliver Zipse über die Bedeutung von Schutzzöllen und sagt, warum er einen Abzug aus Großbritannien erwägt.

 
Herr Zipse, die Branche diskutiert derzeit intensiv die Auswirkungen der Fahrverbote von älteren Dieseln. Überwiegt bei Ihnen die Sorge, dass die Verbote dem Diesel schaden oder die Hoffnung, dass sie den E-Fahrzeugen einen Nachfrageschub verleihen?
Der Diesel bleibt auch in den kommenden Jahren unverzichtbar für uns. Die bisher erreichten Fortschritte bei der CO2 Reduzierung in Europa sind überwiegend dem Einsatz der Dieseltechnologie zu verdanken. Das Erreichen der künftigen Anforderungen ist ohne Dieselantriebe undenkbar. Alle aktuellen Diesel-Modelle bei BMW erfüllen bereits die sehr anspruchsvolle Euro 6 Norm. Der Diesel ist eine der effizientesten und saubersten Antriebsformen. Verglichen mit einem Otto-Motor stößt er zehn bis 15 Prozent weniger CO2 aus.
Bei vielen Kunden herrscht aber der Eindruck, dass der Diesel schmutzig ist und dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch Euro-6-Diesel irgendwann verboten werden. Wie reagieren Sie darauf?
Wir haben bereits darauf reagiert. Schon 2007 haben wir unser project i aufgesetzt, mit dem wir zum Pionier und Vorreiter in der Elektromobilität wurden. Mitte dieses Jahres, also zehn Jahre später, haben wir neben dem BMW i3 und dem i8 bereits sieben weitere elektrifizierte Modelle auf dem Markt. Der i3 ist als Elektroauto für Großstädte konzipiert und damit auch eine Antwort auf mögliche regulatorische Einschränkungen wie Fahrverbote.
In Deutschland hängen jedoch viele Arbeitsplätze am Diesel. Wie wird sich der Wandel zur Elektromobilität auf die Beschäftigungsstruktur auswirken?
Das hängt stark von der bestehenden Produktionsstruktur ab. BMW hat bei der Produktion des Antriebsstrangs eine vergleichsweise niedrige Eigenleistungsquote. Wir haben beispielsweise keine eigene Getriebefertigung. Die Anzahl der Beschäftigten in der Motorenproduktion bei BMW erreicht daher keine fünftstellige Zahl. Bei uns wird die höhere Eigenleistung bei den E-Motoren den niedrigeren Anteil bei den Verbrennern ausgleichen. Denn beim Elektroantrieb machen wir bis auf die Batteriezelle fast alles selbst.
Warum ist Ihnen die hohe Eigenleistung so wichtig? Viele Wettbewerber sagen, dass der E-Motor – anders als der Verbrennungsmotor – im Wettbewerb gar nicht mehr differenzierend wirkt und kaufen ihn daher zu.
Wir prüfen bei jeder Eigenleistung, ob diese günstiger ist als die Fremdvergabe. Und gerade im Bereich der Elektromobilität gewinnen wir viele dieser Wettbewerbe und produzieren die Komponenten selbst. E-Motoren, die es vor fünf Jahren auf dem Markt gab, waren groß, schwer und wurden statisch bei gleichmäßigen Drehzahlen betrieben. Wir brauchten für ein E-Auto dagegen dynamische Motoren und die gab es gar nicht zu kaufen. Also haben wir angefangen, selbst zu entwickeln und zu produzieren. Seitdem haben wir es geschafft, dass die Motoren bei steigender Leistung immer kleiner wurden. Auf dem Markt bekämen wir kein vergleichbares Produkt. Elektrisches Fahren und die Freude am Fahren bei BMW passen sehr gut zusammen.
Was folgt für Sie daraus?
Dass der elektrifizierte Antriebsstrang eben keine austauschbare Handelsware ist, sondern eindeutig differenzierend wirkt. Unser Ansatz ist, den elektrischen Antriebsstrang als Teil des Gesamtfahrzeugs zu sehen. Denn bei einem E-Auto sind die Antriebskomponenten im ganzen Fahrzeug verteilt und werden dadurch viel mehr zum Teil des Gesamtfahrzeugs als sie es beim Verbrenner sind. Für uns ist es daher von großer strategischer Bedeutung, der beste Systemintegrator zu sein und nicht nur jede Einzelkomponente wettbewerbsfähig herstellen zu können. Das wird bei der Elektromobilität noch wichtiger als es in der Vergangenheit war.
Das heißt, Sie werden auch künftig bei den E-Versionen der Kernbaureihen den Antriebsstrang samt Motor selbst bauen?
Ja. Wir heißen ja auch Bayerische Motorenwerke.
Braucht es Ihrer Ansicht nach auch eine Zellfertigung in Deutschland?
Diese industriepolitische und weitreichende Entscheidung könnte man treffen, wenn man der Ansicht wäre, dass man sich bei den Zellen nicht in die Abhängigkeit von ausländischen Standorten begeben darf. Ich glaube aber, dass man sich diesen Schritt sehr genau überlegen sollte. Dass wir beim Stahl oder den Reifen auch abhängig sind von anderen Industrien, thematisiert auch niemand. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die hochautomatisierte Zellfertigung keine großen Beschäftigungseffekte hat. Entscheidend bei der Diskussion ist, ob man sich durch eine eigene Zellfertigung differenzieren kann.
Der i3 hat eine Reichweite von 300 Kilometern. Kritiker sagen, dass Sie im Hinblick auf die reichweitenstarken E-Autos der Konkurrenz hinterherfahren. Auf dem Autosalon in Paris etwa haben sich Ihre Wettbewerber mit Ankündigungen von Elektrofahrzeugen mit einer Reihweite von über 500 Kilometer überboten. BMW hingegen war gar nicht da.
Wir beschäftigen uns nicht mit Ankündigungen, sondern mit den Autos, die es auf die Straße schaffen. Wir haben vom i3 bislang in jedem Jahr mehr verkauft als im Vorjahr. Letztes Jahr war der i3 das erfolgreichste E-Auto in Deutschland und weltweit auf Platz drei. Insgesamt haben wir vergangenes Jahr weltweit über 62 000 Fahrzeuge mit elektrifiziertem Antriebsstrang verkauft und wollen allein in diesem Jahr weitere 100 000 verkaufen. Die Tendenz ist also deutlich steigend. Wir haben hier von Anfang an einen Führungsanspruch gehabt und den wollen wir auch nicht wieder hergeben. Hinterherfahren sieht jedenfalls anders aus.
Wenn man die Verkaufszahlen insgesamt anschaut, gibt es aber einen Stuttgarter Autobauer, der mehr Fahrzeuge abgesetzt hat. Sind Sie bisschen neidisch?
Neid ist kein guter Ratgeber. Wir haben 2016 unser bestes Absatzergebnis aller Zeiten erzielt und zum sechsten Mal in Folge einen Absatzrekord verzeichnet. Damit bleiben wir mit unseren drei Marken BMW, Mini und Rolls-Royce der weltweit führende Hersteller von Premium-Automobilen. Aber wir haben immer gesagt, dass die reine Stückzahl für uns kein Ziel an sich ist. Profitabilität ist uns wichtiger als das absolute Volumen. Darüber hinaus geht es uns darum, die Industrie richtig zu interpretieren und vorausschauend die richtigen Dinge in die Wege zu leiten.
Kaum ein Hersteller bietet dem US-Präsidenten Donald Trump öffentlich die Stirn. Würden Sie sich da in der Wirtschaft einen größeren Zusammenhalt wünschen?
Mir ist wichtig, dass unsere Wirtschaftsordnung auch in Zukunft von freiem Handel geprägt sein wird und davon gehe ich auch aus. Wohl wissend, dass es viele Länder gibt, die auch heute schon protektionistisch geschützt sind. Es war immer unsere Herausforderung, damit so gut wie möglich umzugehen und für Lösungen zu sorgen. Ich könnte es niemals rechtfertigen, wenn wir eine Milliardeninvestition wie in Mexiko einfach rückgängig machen würden. Der Grund, warum wir weiterhin an Mexiko festhalten werden ist auch, dass das Land Freihandelsabkommen mit 45 Ländern hat. So viel wie kein anderes Land.
Und was wäre, wenn die USA einen Schutzzoll einführt?
Dann wären es eben noch 44 Länder. Ich will eine Sache betonen: Wir sind von allen Herstellern der größte Exporteur von Fahrzeugen aus den USA. Der Exportwert aus unserem Werk in Spartanburg beträgt rund zehn Milliarden Dollar. Wir produzieren mehr Fahrzeuge in den USA als wir dort verkaufen. Wie immer die Zollpolitik der USA künftig aussehen wird – aus unserer Sicht ist wichtig, dass diese unserer hohen Wertschöpfung in den USA Rechnung trägt und man unsere Exportleistung berücksichtigt. Unser Werk in den USA hat letztes Jahr über 411 000 Fahrzeuge produziert und ist damit das weltweit größte Werk der BMW Group. Grundsätzlich ist der Vorteil unserer Produktionsstrategie aber, dass wir im Krisenfall flexibel reagieren und auch auf andere Standorte ausweichen können.
Diese Frage stellt sich auch in Großbritannien. Warum prüfen Sie, ob Sie die elektrifizierte Version des Minis in Leipzig, Regensburg oder den Niederlanden und nicht in Großbritannien produzieren?
Wir haben noch nicht entschieden, wo wir den vollelektrischen Mini produzieren. Wir prüfen mehrere Standorte und wollen bis zum Ende des Jahres eine Entscheidung treffen. Uns ist zum jetzigen Zeitpunkt wichtig, klarzumachen, dass wir Planungssicherheit benötigen und sehr genau beobachten, ob sich die Rahmenbedingungen ändern.
Das bezieht sich dann aber nicht nur auf die elektrischen Minis, sondern auf alle Autos, die Sie in Großbritannien bauen.
Natürlich. Der elektrifizierte Mini ist nur die nächste Entscheidung, die jetzt ansteht.